Franz Leuninger zum Gedenken

Eltern und Geschwister
Die Eltern Elisabeth und Weinand Leuninger mit ihren neun Kindern.
o.R.v.l.n.r.:
Alois, Franz, Margarethe, Josef (als Soldat)
m.R.:
Georg, Mutter, Anna, Vater, Christian
u.R.:
Ernst, Agnes

In der Gemeinschaft

I

n der Landschaft und unter den Leuten von Mengerskirchen lebte der Kleinbauer und Nagelschmied Weinand Leuninger mit seiner Familie. In beengten wirtschaftlichen Verhältnissen, wie die meisten anderen. Im Jahre 1894 wurde die Familie gegründet. Gering war Hab und Gut, das beide Elternteile in die Ehe einbrachten.

Ursprünglich dienten als Wohnung zwei kleine gemietete Zimmer, mit einer bescheidenen Ausstattung. Aber die Eltern waren strebsam. Der Vater arbeitete als Nagelschmied und bebaute gemeinsam mit der Mutter zunächst einige Äcker. Noch in Miete wohnend, brachten sie es zu einem kleinen Viehbestand. Indessen reichte die Wohnung für die größer werdende Familie nicht mehr aus. Durch den Erwerb des recht geräumigen ehemaligen jüdischen Gemeindehauses auf dem Damm war dem abgeholfen. Als das Haus bezogen wurde - es war kurz nach Auflösung der kleinen jüdischen Gemeinde - befanden sich an den Türpfosten noch Kapseln, ,,Mezuza" genannt, in denen von den Juden winzige Schriftrollen mit Bibelstellen und dem Namen Gottes aufbewahrt wurden. Zunächst war noch das große Zimmer im oberen Stockwerk, das ehedem der jüdischen Gemeinde als Bet- und Versammlungsraum diente, für fünf Mark im Monat an einen Schneider vermietet, der gleichzeitig Nachtwächter des Ortes war.

Das Hausgrundstück, im Schatten von Schloßburg und Kirche liegend, bot räumlich gute Ausdehnungsmöglichkeiten. Der Vater konnte eine Nagelschmiede für mehrere Nagler einrichten, und es ermöglichte auch die Vergrößerung des landwirtschaftlichen Betriebes. Mittlerweile wuchs die Zahl der Kinder. Franz, das drittälteste Kind von insgesamt neun, wurde im Jahre 1898 geboren.

Mit alledem wuchsen auch die Arbeitslast und die Sorgen der Eltern. Neben der Arbeit in der nun größeren Landwirtschaft übte der Vater noch immer sein Handwerk aus, und die Mutter versorgte das große Hauswesen. Es war so unumgänglich, daß die älteren Kinder, auch wenn sie noch die Schule besuchten, ihnen gemäße Arbeiten im Haushalt und in der Landwirtschaft verrichteten. An dem hierzu nötigen guten Willen und Fleiß ließen sie es nicht fehlen. Sie trugen so die Verantwortung für die Existenz der Familie mit, soweit es von ihnen zu erwarten war.

Schulprobleme gab es in der Familie nicht, denn die Begabung reichte bei allen Kindern so weit, um solche nicht aufkommen zu lassen. Es fehlte aber an den materiellen Voraussetzungen, um einem der Kinder den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen.

So unkompliziert wie das Verhältnis zur Schule war auch das Verhältnis zu Religion und Kirche. Alle fügten sich gut in die Ordnung, die vom Elternhaus her gesetzt war. Hier herrschten feste religiöse Grundsätze. Das gemeinsame Tischgebet wurde nie versäumt, und der Besuch der Gottesdienste war durch unumstößliche Regeln geordnet. Zu Kirche und Schule waren es nur wenige Schritte über eine primitive Treppe, welche über die Reste der alten Stadtmauer führte. Die sechs Buben der Familie waren alle Meßdiener und führten dieses Amt gewissenhaft aus. Über all dies hinaus respektierte man religiöses Brauchtum. Da war das gemeinsame Gebet zum Angelusläuten und in der Fastenzeit das allabendliche Beten des Rosenkranzes im Wohnzimmer - an der Bank und an den Stühlen knieend. Diese Haltung entsprach nicht nur der religiösen Einstellung, sondern auch dem Begehren, durch das Gebet Sorgen und Not von der Familie abzuwenden oder sie doch meistern zu können. Und ihrer waren gar oft nicht wenige.

In späteren Jahren führte Franz einmal ein Gespräch mit einer jungen Frau, die dem Wert des Gebetes keine Bedeutung beimessen wollte. Er widersprach ihr und schilderte dabei, wie er als ganz junger Mensch am Bau Steinträger gewesen und wie schwer ihm diese Arbeit mitunter geworden sei. Wenn ihm dabei die Kräfte zu versagen drohten, habe er manchmal auf einer Sprosse der Leiter, die er mit den schweren Steinen zu ersteigen hatte, angehalten und ein kurzes Gebet verrichtet, dann sei es wieder weitergegangen.

Christentum wurde indessen nicht nur im Gebet, sondern auch anders praktiziert. Vor allem an den in Not befindlichen Mitmenschen. Zwar standen hierfür nur beschränkt materielle Mittel zur Verfügung. Aber für die, welche noch weniger hatten, reichte es immer noch zu einer bescheidenen Gabe. Es waren dies nicht nur Bettler und die Menschen, die in Kriegszeiten besonderen Mangel an Nahrung litten, sondern auch viele andere.

Die Autorität der Eltern galt viel in der Familie. Das beeinträchtigte jedoch nicht die tiefe Zuneigung zwischen ihnen und den Kindern. Man begegnete sich in uneingeschränktem Vertrauen zueinander. Dementsprechend war die familiäre Atmosphäre. Alle mühten sich, einander zu erfreuen. Am Weihnachtsfest sorgte der Vater für den Christbaum, der noch nicht in allen Familien selbstverständlich war. Die Mutter war darauf bedacht, für jedes Kind ein kleines Geschenk zum Fest zu haben; eine bunte Tasse, ein bebildertes Taschentuch, ein Wollschal und ähnliches. Einmal erstand der Vater ein ungewöhnlich großes Schaukelpferd in Hachenburg, das er viele Kilometer weit auf den Schultern nach Hause brachte.

Indessen war das Bedürfnis, durch Geschenke Freude zu bereiten, in der Familie nicht einseitig auf die Eltern beschränkt. Eine besondere Gelegenheit hierzu bot sich den Kindern jeweils am Namenstag der Mutter. Einmal sprengten hierbei die drei ältesten, aber noch schulpflichtigen Kinder - zu denen auch Franz gehörte - den Rahmen. Sie sammelten Schwarzdornschlehen, die sie an den Apotheker verkauften. Mit dem Erlös erstanden sie für die Mutter ein Paar warme Schuhe für den Winter, zu dem damals ungewöhnlich hohen Preis von 13,50 Mark. Aber die Leistung der Kinder war auch ungewöhnlich, denn sie hatten dreieinhalb Zentner Schlehen gesammelt.

Im Ablauf des Familiengeschehens ereignete sich im Grunde genommen nichts Außergewöhnliches. Aber alle Bereiche wurden sorgfältig gepflegt. Das traf auf das Bemühen der Eltern um eine ausreichende materielle Existenz der Familie zu, ebenso wie auf die Erziehung der Kinder und das Zusammenleben. Von nachhaltigem Einfluß ist dabei sicherlich das religiöse Klima gewesen. Dieses war nicht gezeichnet durch enge puritanische Strenge, sondern es bestand in einer aufgeschlossenen christlichen Lebensauffassung.

Franz war ein geistig sehr aufnahmefähiger und aufnahmebereiter Junge. Aber er betrachtete seine Umwelt schon frühzeitig kritisch. Daraus entwickelte sich ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern. Er nahm inneren und äußeren Anteil an dem Leben eines jeden einzelnen Familienmitgliedes. Zahlreich sind die Sorgen und oft schwer das Leid in einer großen Familie. Er konnte gar nicht anders, als tragen helfen, ganz gleich, wen es traf und wie es traf. In unvergleichlicher Weise trug schon der Knabe auf seinen schwachen Schultern mit an den Sorgen der Eltern, denen er Stütze bis zu deren Lebensende war. Beim Heimgang der Mutter richtete er den Vater in seinem Schmerze mit folgenden Worten auf: ,,Nun ist unsere gute Mutter tot. Das darf Dich nicht niederdrücken. Wir wollen an die Verstorbene so lieb und gut denken, wie sie zu Lebzeiten zu uns war, aber Du mußt leben... Wir brauchen Dich, unseren Vater, noch sehr lange." Mit Dankbarkeit und Freude erfüllte ihn aber auch die Liebe, die seine Eltern und Geschwister ihm entgegenbrachten. Allen ist er gut gewesen, und keines hat auf seinen Rat und seine Unterstützung verzichten müssen. Ein jedes war seiner Anteilnahme gewiß, ganz gleich, ob es sich um das schwerkranke Kind des Bruders handelte oder um das Leid der Schwester um den im Krieg vermißten Sohn. Gerade der letzte Krieg brachte viel Sorgen in die Familie.

Franz Leuninger im Polenfeldzug

Franz Leuninger (2.v.l.) war im Krieg gegen Polen als Feldwebel eingesetzt.


F

ranz war der erste von sechs Söhnen, der aktiv am Kriegsgeschehen teilnehmen mußte. Hierüber schreibt er von sich: ,,Ich wollte gerne die schwere Last des Soldatseins auf mich nehmen, wenn ich dadurch meine Brüder vor diesem Geschick bewahren könnte." Er aber wurde entlassen, und andere Brüder mußten Soldat werden. Wie hat er mit diesen die Härte des Soldatenlebens empfunden! Dem während des Weihnachtsfestes 1943 in Rußland fern von Frau und Kindern weilenden Bruder schreibt er: ,,Ich werde an Dich denken und Dich rufen, wenn wir unter dem Weihnachtsbaum stehen." Und dem gleichen Bruder, der kurze Zeit später Hab und Gut bei einem Fliegerangriff verlor, gibt er die Versicherung: ,,Wenn wieder einmal normale Zeiten sind, wirst Du nicht weniger haben, wie Du vorher gehabt hast. Dafür stehe ich!"

Die Achtung vor der Menschenwürde zeichnete Franz aus. Sie ergab sich für ihn aus der Kindschaft Gottes und war Richtschnur seines Handelns gegenüber dem Nächsten. Ohne Unterschied in der Person versuchte er, den Bedürftigen und Notleidenden Freund und Helfer zu sein. Aus dem Polenfeldzug

- den Franz aktiv mitmachte - schrieb er: ,,Viel Not und Elend sah ich in diesem Krieg. Ich habe überall geholfen, wo ich nur konnte und soviel ich konnte." Zwei Begebenheiten mögen seine soziale Haltung noch deutlicher machen. In Breslau fuhr er eines Tages mit der Straßenbahn. Da fiel ihm eine Frau auf, die offensichtlich starke körperliche Beschwerden hatte. Bei näherer Beobachtung und durch Befragen stellte er fest, daß die Frau unmittelbar vor ihrer schweren Stunde stand und in ein Krankenhaus wollte. An der nächsten Haltestelle hieß er sie aussteigen, besorgte ein Taxi, half der Frau beim Einsteigen, wies den Fahrer an, sie zum Krankenhaus zu bringen, und beglich sogleich die Fahrtkosten. Einmal erlebte er aber auch eine große Überraschung. Wie schon öfter hatte er einen bedürftigen Mann von der Straße zum Mittagessen mit in die Wohnung gebracht. Als derselbe gegangen war, mußte Franz feststellen, daß seine Brieftasche, die sich in seiner Jacke in der Garderobe befunden hatte, mit dem Gast verschwunden war. Ein solcher Vorgang konnte ihn aber nicht in seiner Haltung beeinträchtigen.




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