Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL
2006

Frankfurter Rundschau vom 30.10.2006

Bürger engagieren sich gegen "Abschreckungspolitik"
Pro Asyl setzt sich seit 20 Jahren für Flüchtlinge ein

INHALT

Massive Kritik an der Asylpolitik in Deutschland hat der Begründer von Pro Asyl, Herbert Leuninger, anlässlich des 20-jährigen Bestehens seiner Organisation geäußert.

Frankfurt - Stets habe er sich eingesetzt, dass Menschen, die aufgrund politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse in ihrem Herkunftsland zur Flucht gezwungen waren, nach Deutschland einreisen konnten. So stellte die Moderatorin Ulrike Holler den Begründer der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, Herbert Leuninger, dem Publikum bei der von "Business Crime Control" und der "Kunst-Gesellschaft" veranstalteten Matinee im Dachcafé an der Zeil vor.

Zunächst berichtete der katholische Pfarrer und langjährige Migrationsreferent des Bischofs von Limburg über die Gründungszeit von Pro Asyl. Bereits Anfang der 80er Jahre sei Asylpolitik restriktiver ausgelegt und Flüchtlinge zunehmend als "soziale und finanzielle Belastung" wahrgenommen worden. Eine "Abschreckungspolitik" sei vorbereitet worden, um Flüchtlinge an der Einreise zu hindern. Bürger hätten sich zur Solidarität herausgefordert gefühlt. Insbesondere Menschen, die unmittelbar in Kontakt zu Migranten kamen, seien zur Einsicht gekommen, dass die Abwehrhaltung der Politiker mit Menschenwürde und Grundgesetz nicht vereinbar sei. Eine Graswurzelbewegung von unten habe sich entwickelt. So beschrieb Leuninger die Notwendigkeit der Gründung des Vereins Pro Asyl.

Kämpferisch wurde die Stimme des Pfarrers, als er auf die Grundgesetzänderung vom 26. Mai 1993 zu sprechen kam. Die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl habe bedeutet, dass Flüchtlinge aus Nachbarländern jederzeit in diese zurückgeschoben werden konnten. "Damals haben wir gesagt, man kann jetzt nur noch mit dem Fallschirm nach Deutschland kommen." Geplante öffentlichkeitswirksame Aktionen mit Fallschirmen seien allerdings entweder am Nebel oder der Anwesenheit des Bundesgrenzschutzes gescheitert. "Es war für uns ein Signal. Wer das Asylrecht verändert, hat auch keine Hemmungen in andere Grundrechte einzugreifen", betonte Leuninger. Er schilderte den historischen Wandel bis hin zum Asylbewerberleistungsgesetz (1997): Flüchtlinge seien aus der allgemeinen Sozialhilfe heraus genommen worden, "um sie unter die Armutsgrenze zu drücken". Gipfel der Entwicklung sei der aktuelle Plan der CDU/CSU einer Sozialhilfekürzung von 30 Prozent für Asylbewerber und Flüchtlinge.

"Kollektive Lernunwilligkeit"

Eine Frau aus dem Gallus im Publikum, die seit 33 Jahren in Deutschland lebt, schilderte ihren Eindruck: "Ich glaube, die Bevölkerung möchte nicht, dass ich hier Arbeit und Wohnung habe. Wenn ich auf der Straße vorbeigehe, schauen viele böse." Leuninger konstatierte "eine ungewöhnlich hohe kollektive Lernunwilligkeit". Doch die Basis höre einzig darauf, was Medien vermittelten. Aufgabe der demokratischen Parteien sei, darauf positiv einzuwirken.

Was können Bürger tun? "Wir können daran festhalten, was wir selbst für richtig halten. Das ist bereits eine große Leistung und kostet Energien." Eine drohende innere Depression, weil sich Erfolge nicht einstellten, sei nur durch dichte Vernetzung bekämpfen, so Leuninger. Gitta Düperthal

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Blick vom Dachcafé der Zeilgalerie auf die Wirtschaftsmetropole Frankfurt
Fotos:
Rita Leder
Gespräche vor der Veranstaltung: Horst Leder (r.) mit Andreas (DGB) und Ulla Mouzouris
Prof. Dr. Hans Sehr (l.) vom "Business Crime Control e.V.", Mitveranstalter der Diskussionsreihe, im Gespräch mit Herbert Leuninger
Ulrike Holler (r.) hat in den 40 Jahren beim Hessischen Rundfunk zahlreiche Interviews mit Herbert Leuninger geführt
Professor Sehr begrüßt das Publikum und eröffnet die Veranstaltung
30 Personen nahmen an der Matinée teil
Pfr. Albert Seelbach von der Katholischen Arbeitnehmerbewe- gung ist an dem Thema sehr interessiert
Ralf Harth organisiert die kultur- und wirtschaftskritische Reihe "Matinée im Dachcafé"
Prof. Reiner Diederich (r.) von der "Kunst-Gesellschaft e.V." ist ebenfalls Veranstalter der "Matinée im Dachcafé"