ARCHIV ASYL 2006 | ||
Brief an den Bundespräsidenten erwähnt in einer Rede von Herbert Leuninger | ||
Barbara Gladysch Geranienweg 5 An den Bundespräsidenten Betr.: Zuerkennung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse durch Sie; Verweigerung
der Annahme durch mich; Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sie haben mir das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch
Ihre Unterschrift „verliehen" (lt. Mitteilung durch das Oberbürgermeister- Büro
in Düsseldorf vom 10. November 05). Es ist eine große Ehre, diese Auszeichnung von Ihnen zu erhalten; sie ist eine Würdigung und Anerkennung meiner langjährigen ehrenamtlichen Arbeit. So sollte „man" diese Auszeichnung bewerten und so wird es auch in der Regel getan. Ich habe mich jedoch entschlossen, diese Auszeichnung nicht anzunehmen. Die durch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse zum Ausdruck gebrachte Anerkennung für mein Engagement für Flüchtlinge und Asyl-Ersuchende in Deutschland, für die „Tschernobylarbeit" in der Republik Belarus und die Hilfeleistung für kriegstraumatisierte Kinder in Tschetschenien („Kleiner Stern") ist mit Sicherheit von Ihnen aufrichtig gemeint; so sind auch die vielen „Belobigungsschreiben" von Menschen, die meine Arbeit kennen und schätzen und die auch als Grundlage für Ihre Entscheidung dienten, zu verstehen. Für die Mühen, die damit verbunden waren, danke ich allen sehr herzlich. Am 30. April 1998 erhielt ich das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
(es wurde ebenfalls „Bundesverdienstkreuz" genannt) für meine Tätigkeiten im Bereich
der „Friedenserziehung, Friedensförderung und Friedenserhaltung". So wie damals gilt dieser Satz für mich heute genau so... Immer wieder kämpfe ich als „kleiner David" gegen das „mächtige Goliath-System"
– gewaltfrei, mit fairen Mitteln und mäßigem Erfolg! Ich kann nicht von dem höchsten
Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, von Ihnen, Herr Bundespräsident für
mein Handeln geehrt werden, das nach meiner Vorstellung und nach meiner Erfahrung genau im Widerspruch
zu der vergangenen und gegenwärtigen bundesdeutschen Regierungspolitik steht: Ich grenze mich von dieser „Realpolitik" entschieden ab. Deshalb kann ich nicht von der Bundesrepublik Deutschland „ausgezeichnet" werden durch die Annahme des mir zugedachten Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Ich möchte auch heute noch Frieden im Alltag zustande bringen. Daran hindern mich nicht die Flüchtlinge, nicht die „Schüblinge" in der Abschiebehaft, nicht die traumatisierten kranken Asylsuchenden, die keine Therapie bekommen können, nicht die Romakinder aus Serbien, die nach mehr als 10 Jahren mit ihren Familien in ein Land abgeschoben werden, das sie nicht kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen und die Buchstaben nicht lesen können; daran hindern mich auch nicht meine tschetschenischen Freunde, die glaubten, hier in Deutschland Schutz gewährt zu bekommen und die nun zu ihren „Todfeinden" in die russische Föderation abgeschoben werden sollen; es sind nicht diese schutz- und hilfsbedürftigen Menschen, die mich an meiner „Friedensarbeit" hindern, sondern es sind Gesetze, die von der „Politik" gemacht und gewollt werden. Es sind Vorschriften, Erlasse, Urteile, die in ihrer Auslegung und Ausführung von den entsprechenden verantwortlichen Menschen in den zuständigen Ämtern, Behörden und Gerichten angewandt werden und die sich eher auf den politischen Willen als auf humanitäre Grundsätze berufen (müssen). Ich habe gelernt, dass Gesetze mit Recht manchmal wenig zu tun haben. Gesetze sind Paragraphen, Buchstaben,
Ziffern, die dem individuellen Schicksal der Betroffenen oft nicht gerecht werden. „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen" – oder: „ Wer das Übel akzeptiert, ohne dagegen zu protestieren, kooperiert de facto damit". Sehr geehrter Herr Bundespräsident, ... mit den seit Jahren „kettengeduldeten" und nicht „anerkannten" Flüchtlingen; ... mit den Kindern und Jugendlichen, die seit vielen Jahren in Deutschland wunderbar integriert sind, aber immer in der Angst leben, dass sie mit ihren Eltern - in Sippenhaft genommen – in ein für sie fremdes Land abgeschoben werden; ... mit „meinen" Kindern in Tschetschenien, die seit mehr als 10 Jahren nur KRIEG und Angst kennen, weil wir (deutsche und EU-Politiker) sie im Stich lassen. Dass sich das ändert, das wünsche ich mir anstelle eines Bundesverdienstkreuzes! DANKE für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld, Herr Bundespräsident! Viele gute Wünsche für Sie im Neuen Jahr! (Barbara Gladysch) |
||
|