Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL 2006

Brief an den Bundespräsidenten
erwähnt in einer Rede von Herbert Leuninger

Barbara Gladysch

Geranienweg 5
40468 Düsseldorf, den 27.12.2005
Tel. 0211 – 42 301 31
barbara@gladysch.net

An den Bundespräsidenten
der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Horst Köhler
Schloss Bellevue
Spreeweg 1
10557 B E R L I N

Betr.: Zuerkennung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse durch Sie; Verweigerung der Annahme durch mich;
Begründung

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Sie haben mir das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch Ihre Unterschrift „verliehen" (lt. Mitteilung durch das Oberbürgermeister- Büro in Düsseldorf vom 10. November 05).
Die öffentliche Verleihung (Überreichung) sollte im Januar 2006 im Rathaus in Düsseldorf stattfinden.

Es ist eine große Ehre, diese Auszeichnung von Ihnen zu erhalten; sie ist eine Würdigung und Anerkennung meiner langjährigen ehrenamtlichen Arbeit. So sollte „man" diese Auszeichnung bewerten und so wird es auch in der Regel getan.

Ich habe mich jedoch entschlossen, diese Auszeichnung nicht anzunehmen.

Die durch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse zum Ausdruck gebrachte Anerkennung für mein Engagement für Flüchtlinge und Asyl-Ersuchende in Deutschland, für die „Tschernobylarbeit" in der Republik Belarus und die Hilfeleistung für kriegstraumatisierte Kinder in Tschetschenien („Kleiner Stern") ist mit Sicherheit von Ihnen aufrichtig gemeint; so sind auch die vielen „Belobigungsschreiben" von Menschen, die meine Arbeit kennen und schätzen und die auch als Grundlage für Ihre Entscheidung dienten, zu verstehen.

Für die Mühen, die damit verbunden waren, danke ich allen sehr herzlich.

Am 30. April 1998 erhielt ich das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (es wurde ebenfalls „Bundesverdienstkreuz" genannt) für meine Tätigkeiten im Bereich der „Friedenserziehung, Friedensförderung und Friedenserhaltung".
Diese Auszeichnung konnte ich 1998 im Kreise „meiner" weißrussischen Ferien-Tschernobylkinder im Rathaus der Stadt Düsseldorf mit Freude annehmen. „Sie bringt Frieden im Alltag zustande", hieß es damals in der Laudatio.

So wie damals gilt dieser Satz für mich heute genau so...
nur: die „Zeiten" – besser gesagt: die „Politik", das „soziale Klima", die Prioritäten und moralischen Grundpositionen haben sich geändert… nicht aber mein Anliegen: Frieden im Alltag zu verwirklichen. Bei meiner praktischen Arbeit fühle ich mich von den „Regierenden" in Stadt und Land und im Bund ziemlich allein gelassen!

Immer wieder kämpfe ich als „kleiner David" gegen das „mächtige Goliath-System" – gewaltfrei, mit fairen Mitteln und mäßigem Erfolg! Ich kann nicht von dem höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, von Ihnen, Herr Bundespräsident für mein Handeln geehrt werden, das nach meiner Vorstellung und nach meiner Erfahrung genau im Widerspruch zu der vergangenen und gegenwärtigen bundesdeutschen Regierungspolitik steht:
das sind nämlich genau die Politikfelder, die ich „beackere": unsere Flüchtlings- und Asylpolitik, die Militär- und Atom-Politik und … die unverantwortliche Handlungsunfähigkeit der deutschen Regierung in Bezug auf die andauernden, gravierenden Menschenrechts-verletzungen in Tschetschenien.

Ich grenze mich von dieser „Realpolitik" entschieden ab. Deshalb kann ich nicht von der Bundesrepublik Deutschland „ausgezeichnet" werden durch die Annahme des mir zugedachten Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.

Ich möchte auch heute noch Frieden im Alltag zustande bringen. Daran hindern mich nicht die Flüchtlinge, nicht die „Schüblinge" in der Abschiebehaft, nicht die traumatisierten kranken Asylsuchenden, die keine Therapie bekommen können, nicht die Romakinder aus Serbien, die nach mehr als 10 Jahren mit ihren Familien in ein Land abgeschoben werden, das sie nicht kennen, dessen Sprache sie nicht sprechen und die Buchstaben nicht lesen können; daran hindern mich auch nicht meine tschetschenischen Freunde, die glaubten, hier in Deutschland Schutz gewährt zu bekommen und die nun zu ihren „Todfeinden" in die russische Föderation abgeschoben werden sollen; es sind nicht diese schutz- und hilfsbedürftigen Menschen, die mich an meiner „Friedensarbeit" hindern, sondern es sind Gesetze, die von der „Politik" gemacht und gewollt werden. Es sind Vorschriften, Erlasse, Urteile, die in ihrer Auslegung und Ausführung von den entsprechenden verantwortlichen Menschen in den zuständigen Ämtern, Behörden und Gerichten angewandt werden und die sich eher auf den politischen Willen als auf humanitäre Grundsätze berufen (müssen).

Ich habe gelernt, dass Gesetze mit Recht manchmal wenig zu tun haben. Gesetze sind Paragraphen, Buchstaben, Ziffern, die dem individuellen Schicksal der Betroffenen oft nicht gerecht werden.
Die grundgesetzlich verbrieften Rechte derer, für die ich mich einsetze, sind die Basis meines Handelns.

„Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen" – oder: „ Wer das Übel akzeptiert, ohne dagegen zu protestieren, kooperiert de facto damit".

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
mit der Verweigerung der Annahme des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse bringe ich meinen Protest gegen die o.a. „Realpolitik" der deutschen Regierung zum Ausdruck. Diesen „Protest" will ich auch öffentlich machen, weil ich damit meine Solidarität bekunden möchte:

... mit den seit Jahren „kettengeduldeten" und nicht „anerkannten" Flüchtlingen;

... mit den Kindern und Jugendlichen, die seit vielen Jahren in Deutschland wunderbar integriert sind, aber immer in der Angst leben, dass sie mit ihren Eltern - in Sippenhaft genommen – in ein für sie fremdes Land abgeschoben werden;

... mit „meinen" Kindern in Tschetschenien, die seit mehr als 10 Jahren nur KRIEG und Angst kennen, weil wir (deutsche und EU-Politiker) sie im Stich lassen.

Dass sich das ändert, das wünsche ich mir anstelle eines Bundesverdienstkreuzes!

DANKE für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld, Herr Bundespräsident!

Viele gute Wünsche für Sie im Neuen Jahr!

(Barbara Gladysch)