ARCHIV ASYL 2006 |
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KEIN ORT. NIRGENDS?
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich
der PRO ASYL-Tagung am Sonntag, 10. September 2006 in der Evangelischen Akademie Tutzing. |
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INHALT
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Begrüßung Liebe Gemeinde! Ich feiere erstmals einen ökumenischen Gottesdienst ohne evangelische Amtsschwester oder Amtsbruder. Dafür wirken aber zwei ökumenische Geschwister mit (Merhawit Desta und Dankwart von Loeper). Nun bin ich in meiner Zeit bei PRO ASYL immer wieder als evangelischer Pfarrer angesehen worden. Bis heute weiß ich ohnehin nicht, ob ich ein katholischer Protestant oder ein protestantischer Katholik bin. Beginnen wir den Gottesdienst Lied „Sonne der Gerechtigkeit" 1. Sonne der Gerechtigkeit, Gebet „Kein Ort. Nirgendwo?"ist das Motto unserer Asyltagung. „Kein Ort. Nirgendwo " ohne Fragezeichen ist der Titel einer Novelle von Christa Wolf. Sie lässt in einer fiktiven Begegnung zwei Literaten aufeinander treffen: Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist kommen bei einer Teegesellschaft bei Brentanos in dem Rheinort Winkel ins Gespräch: Verzweifelte, Außenseiter, die sich beide das Leben nehmen. (Mein Bruder, der Jugendpfarrer im Rheingau war, weiß von der Gedenkplatte für die Günderrode an der Friedhofsmauer hinter der Pfarrkirche. In diesem Jahr wird ihres 200. Todestages gedacht). Eines ihrer romantischen Gedichte sei unser Eröffnungsgebet: Verschiedene Offenbarungen des Göttlichen Zum Menschen schwebte sonst der Geist des Herrn hernieder, Lied „Jeder Teil dieser Erde" (Kanon) Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig. Einführung Die Stola stellt in schlichten Motiven den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten dar; mithin ist sie eine Metapher für Flucht und Rettung. Wir hören nun Verse aus dem 2. Buch Mose abwechselnd mit Bezügen auf den Film „The March" . |
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EXODUS 1 8 In Ägypten kam ein neuer König an die Macht, der Josef nicht gekannt hatte. |
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DER MARSCH Der Film DER MARSCH war 1990 von der BBC für die europaweite Kampagne „Eine Welt für
alle" gedreht worden. PRO ASYL hatte sich gegen die Ausstrahlung des Films ausgesprochen
in der Sorge, er könnte das Asylklima in Deutschland noch weiter verschlechtern. Der Film
wurde zu einer Zeit gesendet, als die italienische Regierung Heer und Marine einzusetzen gedachte,
um die sogenannte illegale Einwanderung, gerade aus Afrika, zu verhindern. Die Bundesregierung
bemühte sich seinerzeit darum, europaweit die Abschottung gegen Flüchtlinge aus der
südlichen Hemisphäre zu erreichen. Exodus 3 1 Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters
von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. DER MARSCH Die Filmstory: Wegen der seit 7 Jahren anhaltenden Dürre haben Exodus 5 1 Danach gingen Mose und Aaron zum Pharao und sagten: So spricht Jahwe, der Gott Israels: Lass
mein Volk ziehen, damit sie mir in der Wüste ein Fest feiern können. DER MARSCH Ihr begnadeter Führer, Issa (ähnlich dem Namen Jesus) el Mahdi (arabisch: geistlicher
Führer), gibt das Ziel an: Europa! „Wir haben keine Macht außer der, zu entscheiden,
wo wir sterben wollen. Alles, was wir verlangen, ist: Seht uns sterben!" Seitdem die libysche
Regierung unter Ghadafi el Mahdi ihre volle Unterstützung zugesagt hat, wächst täglich
die Zahl der Hungerflüchtlinge. Exodus 12 Exodus 12
37 Die Israeliten brachen von Ramses nach Sukkot auf. Es waren an die sechshunderttausend
Mann zu Fuß, nicht gerechnet die Kinder. DER MARSCH Der Marsch erreicht schließlich die Meerenge von Gibraltar. Lokale Schiffseigner stellen
in Tanger Boote zur Verfügung, mit der 30.000 Menschen übersetzen können. Die am
Ufer wartende Menge ist auf zwei Millionen angewachsen. Exodus 14 15 Der Herr sprach zu Mose: ... DER MARSCH Die Ersten erreichen das europäische Festland und jubeln über ihren Erfolg. Exodus 15 20 Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand und alle
Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her. DER MARSCH Europa ist gespalten Die Entwicklungskommissarin der EG votiert für humanitäre Lösungen.
Für die EU-Kommission aber ist der Marsch ein berechneter Versuch, die Einwanderungsgesetze
zu durchbrechen. Sie setzt Militär ein. Das Szenario gipfelt in einem politisch-militärischen
High Noon. Das Motto dieser Tagung: „Kein Ort. Nirgendwo?" ist für mich die beste Übertragung des Wortes „Utopie". „Kein Ort. Nirgendwo" ist der Titel einer Novelle von Christa Wolf. Sie lässt in einer fiktiven Begegnung zwei Literaten aufeinander treffen: Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist kommen bei einer Teegesellschaft bei Brentanos in dem Rheinort Winkel ins Gespräch: Verzweifelte, Außenseiter, die sich beide das Leben nehmen. (Mein Bruder, der Jugendpfarrer im Rheingau war, weiß von der Gedenkplatte für die Günderrode an der Friedhofsmauer hinter der Pfarrkirche. In diesem Jahr wird ihres 200. Todestages gedacht). Christa Wolf versteht den Titel ihrer Novelle pessimistisch. Es zeigt sich gleich am Anfang, wo es heißt: „Wo ich nicht bin, da ist das Glück." „Wo ich nicht bin, da ist das Glück." Utopie als Illusion. Es gibt aber auch das völlig andere Verständnis des Griechischen „Ou-Topos", „Nicht-Ort" „Kein-Ort". Es findet sich in dem berühmten Roman „Utopia" des englischen Humanisten und Freundes von Erasmus von Rotterdam Thomas Morus. Thomas Morus lebte von 1478 bis 1535, was Lordkanzler Heinrich des VIII. Er wurde des Hochverrates angeklagt und im Tower hingerichtet, weil er sich geweigert hatte, Heinrich VIII, dessen Annullierung der Ehe mit Katharina von Aragón vom Papst verweigert worden war, als Oberhaupt der Kirche von England anzuerkennen. Das philosophische Hauptwerk von Morus ist der 1516 veröffentlichte Roman „Über die beste Staatsverfassung und die neue Insel Utopia". Morus stellt darin eine Gesellschaft vor, die auf der Philosophie von Epikur beruht. In dem Stadtstaat der Insel herrscht eine Art Kommunismus: die Interessen des Einzelnen sind denen der Gemeinschaft untergeordnet. Wie in einem Kloster hat jeder zu arbeiten; jedermann bekommt Bildung und genießt religiöse Toleranz. Utopia ist das Gegenbild des damaligen Europa. Dieses Utopia erinnert in vielem der Kibbuzbewegung in Israel. Dort werden Entscheidungen in der Mitgliederversammlung basisdemokratisch getroffen. Die einzelnen Chawerim besitzen kein Eigentum, sondern sie bringen ihre Arbeitsleistung unentgeltlich für das Kollektiv ein. Im Gegenzug stellt der Kibbuz Wohnung, Kleidung, Verpflegung und medizinische Versorgung zur Verfügung. Wir tauchen in die biblische Tradition ein, wenn wir „Utopia" als das „Gelobte Land" nehmen, das „von Milch und Honig fließt". Diese Vorstellung ist verbunden mit dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, dem Durchzug durch das Rote Meer, der Wüstenwanderung mit der wunderbaren Speisung durch Wachteln und Manna und schließlich mit dem Einzug in das Land der Verheißung. Dieser Exodus gehört zu den großen Erzählungen sowohl von Juden wie von Christen. Pessach (hebräisch) oder Pascha (aramäisch) zählt zu den höchsten Festen des Judentums. Das Pessach ist, mehr noch als andere jüdische Feste, ein Familienfest, mit dem die Angehörigen sich in die Ursprungstraditionen ihres Volkes stellen, diese erinnern und neu für sich bekräftigen. Jeder soll sich fühlen, als wäre er selbst aus Ägypten ausgezogen und seinen Kindern davon erzählen. Diese Erinnerung soll die Identität und den Zusammenhalt des Judentums, auch in aller Zerstreuung und Verfolgung, bewahren. Das christliche Osterfest hat seinen Vorläufer im jüdischen Pessach und dem Pessach-Lamm, das wie seinerzeit in der Nacht vor dem Auszug aus Ägypten im Familienkreis gegessen wird: Der Exodusbericht ist in der katholischen Liturgie der Osternacht eine der zentralen Lesungen. In dieser Tradition lebte auch Jesus von Nazareth, als er im Rahmen der Pessach-Feier ("Letztes Abendmahl") vor seinem Tod dieses zum Anlass nahm, um sich als Pascha-Lamm anzubieten. Die Glaubens- und Lebenserfahrung von Emigranten, von unterdrückten und befreiten Sklaven, von Flüchtlingen ist also zentraler Gehalt jüdischer und christlicher Frömmigkeit. So haben die Propheten das Volk Israel immer wieder ermahnt, sich seiner Vergangenheit in Ägypten zu erinnern und die Fremden im eigenen Land nicht zu unterdrücken, sondern wie seinesgleichen zu behandeln. Die Exodus-Spiritualität schließt die Haltung ein, sich nicht mit den Strukturen der Unterdrückung abzufinden, und auf ein anderes Land, eines, das von Milch und Honig fließt, zu hoffen und sich darauf einzurichten. Mit diesem Grundgefühl ist dann auch die Disposition verbunden, Menschen, die flüchten und ein Asylland suchen, nicht nur zu verstehen, sondern sich an ihre Seite zu stellen. Was wir im Augenblick an den Küsten Europas erleben, ist der afrikanische Exodus, der Auszug aus Diktatur, Unterentwicklung, aus Hunger, Armut und Epidemien, gepaart mit der Hoffnung auf ein Gelobtes Land, nämlich Europa. Dass Europa von Millionen gerade in Afrika als das Utopia von heute angesehen wird, ist mehr als verständlich. Wir mögen dies aus unserer Erfahrung heraus nicht bestätigen. Wir hätten sogar Grund genug vor Illusionen zu warnen. Wir müssten, wenn wir es denn vermöchten, zu vermitteln suchen, dass die Europäische Union keine Insel der Seligen, vor allem kein Utopia für Flüchtlinge ist, eher ein Absurdistan. Dennoch: Europa ist im Vergleich zur Situation in Afrika sicher ein paradiesischer Kontinent, in den einwandern zu wollen mehr rationales als irrationales Kalkül verrät. Das Schicksal der Bootsflüchtlinge ist mit dem unseren verknüpft. Es besteht eine Art innerer Verwandtschaft. Wir sind wie sie auf einen anderen Kontinent hin unterwegs, der sich nicht rigoros und mit militärischen Strategien der Zuflucht von Menschen verschließt und dabei den Tod Tausender Menschen in Kauf nimmt. Auch wir träumen mit ihnen die Vision vom Gelobten Land, von einem Asylland, in dem Freiheit, die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf angemessenen Lebensunterhalt herrschen. Wer mit Flüchtlingen, gleich aus welcher Motivation solidarisch zu sein versucht , macht eine doppelte Erfahrung, die, wie es Titel des Werkes von Christa Wolf nahe legt: Kein Ort. Nirgendwo. Im Sinne nirgends angenommen und beheimatet zu sein, in dieser Welt keinen Bleibeort zu haben, nicht dazuzugehören, ein Gefühl, das die suizidale Gefahr einschließt. Ich selbst habe das Gefühl nicht hierher zu gehören am stärksten 1993 im Kontext der Änderung des Grundrechts auf Asyl gehabt. Damals spielte ich mit dem Gedanken auszuwandern, bei näherer Überlegung fiel mir allerdings kein Land ein, in das ich hätte emigrieren wollen. Hic Rhodus, hic salta! D.h. gerade mit Flüchtlingen zusammen, aber nicht nur mit ihnen, geht es darum, eine Atmosphäre der Akzeptanz untereinander zu schaffen, so weitgehend wie möglich das Schicksal miteinander zu teilen, für ihre Rechte zu kämpfen, sich als Teil einer neuen Gesellschaft zu begreifen, die den Traum von U-Topia, vom Gelobten Land nicht aufgibt, vor allem auch nicht davon lässt, sich gegen das Pharaonische in unserem Land zu wehren. Ich erwarte in diesen Tagen den zweiten Besuch einer Armenierin aus Australien, die als Christin mit ihrem Mann und ihren drei Kindern aus dem Iran geflüchtet war. Die Familie lebte dann in Hofheim am Taunus für längere Zeit in einem Wohnheim für Asylbewerber und wanderte vor 17 Jahren nach Australien weiter. Ihr jüngster Sohn, ein mittlerweile erfolgreicher Finanzmakler, war damals ein kleiner Junge. Kürzlich hat er sich in einer e-mail für die Opfer bedankt, die ich gebracht hätte, um ihnen und den anderen Familien zu helfen. In meiner Antwort habe ich geschrieben, das, worauf wir uns eingelassen hätten, sei weder für mich noch die anderen der Hofheimer Friedensgruppe ein Opfer gewesen. Die Kontakte und Begegnungen mit den Flüchtlingen seien für uns geradezu eine Hoch-Zeit der Freundschaft und Geschwisterlichkeit gewesen. Wir hätten damals die Lektion gelernt, die uns Christus über die Menschheit und die Tatsache, dass wir die eine Familie Gottes seien, beigebracht hätte. Es sei ein wunderbares Gnadengeschenk gewesen. Ich fühlte mich jetzt überreich beschenkt und glücklich, wenn er die damalige Gemeinschaft mit uns als prägend für sein heutiges Leben als überzeugter Christ bezeichne. Das ist Utopia, ein Türspalt weit! Utopia waren auch die Urlaubstage, die wir viermal mit Flüchtlingsfamilien in Feriendörfern des Schwarzwalds bzw. Hessens verlebt haben. Wir mussten sie wegen der Beschränkung der Freizügigkeit gegen die CDU-Landräte des Main-Taunus-Kreises durchsetzen, einmal durch direkte Einschaltung des Hessischen Innenministeriums, ein anderes Mal durch den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden. Das war eine Art Exodus aus ägyptischen Strukturen. Die kurzen Freizeiten gehörten für die Flüchtlinge und für uns zu den glücklichen Tagen unseres Lebens. In gegenseitiger Gastfreundschaft flossen Milch und Honig. Ich denke, ähnlich ergeht es allen Gruppen, Gemeinden und Initiativen, die sich solidarisch auf das Schicksal von Flüchtlingen einlassen. Vielleicht sind es in aller Trostlosigkeit nur gelegentliche Glücksmomente, die damit verbunden sind. Hier wäre aber im Unterschied zu Christa Wolf das Glück da, wo wir sind, wenigstens in der Ahnung, als Angeld und Vorgeschmack nicht als „Kein Ort. Nirgends" sondern als „Ein Ort. Irgendwo".
Lied 1. We shall overcome
2. We'll walk hand in hand 3. We shall all be free 4. We are not afraid 5. We are not alone Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs!
Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs!
Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs!
Gott aller Völker und Kontinente,
Vaterunser Segen Der Herr segne euch und behüte euch; der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei euch gnädig; er wende euch sein Antlitz zu und schenke euch seinen Frieden! : Amen. Das gewähre euch der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn + und der Heilige Geist. Gehet hin in Frieden!
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