Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1985

WIESBADENER KURIER
9. August 1985
Unsicherheit und Angst
Pfarrer für Asylanten:
"Da bleibt einem der Atem stocken"

Die Erfahrung, "daß die Anwaltsfunktion der Kirche zugunsten der Schwächeren durchaus zu politischen Konflikten führen kann", macht Pfarrer Herbert Leuninger in Hofheim, der seit einigen Tagen die neue Funktion "Priester für Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge" ausübt. Leuninger hilft Asylbewerbern in akuten Nöten, indem er für sie bei Behörden vorspricht, wichtige Kontakte vermittelt und auch mal eine Wohnung oder Arbeitsstelle sucht. Unterstützt wird er von den Mitgliedern des " Solidaritätskreises Asyl" innerhalb der Hofheimer Gruppe von "Pax Christi". Diese christliche Friedensgruppe setzt sich gegen das Konzept der Abschreckung nicht nur im Bereich der Verteidigungspolitik, sondern auch im Bereich der Asylpolitik ein.

Leuninger hält nichts von dem Gedanken des Gesetzgebers, Asylbewerbern den Aufenthalt in der Bundesrepublik so unattraktiv wie möglich zu gestalten, damit nur die einreisen, die wirklich auf der Flucht sind: "Es ist für mich unvorstellbar, daß Menschen zur Abschreckung anderer benutzt werden." Für Pfarrer Leuninger ist der Begriff Abschreckung ohnehin mehr als fragwürdig. Die Auflagen, ein bestimmtes Gebiet nicht verlassen zu können, zunächst kein Geld verdienen zu dürfen und mit Warengutscheinen umständlich zahlen zu müssen, könnten niemals verglichen werden mit den Strapazen, die Flüchtlinge ohnehin auf sich nähmen. Aus den vielen Gesprächen, die Leuninger mit den Betroffenen geführt hat, weiß er: "Die Leute geben in der Heimat alles auf und tauschen es gegen die Unsicherheit hier." Wenn sich jemand entschließe den Weg in die ferne Bundesrepublik Deutschland anzutreten, wisse er ja meistens nicht, ob er sich dort jemals richtig einleben könne und ob ihm überhaupt die Gelegenheit dazu geboten werde. "Da bleibt einem der Atem stocken, was die Leute alles auf sich nehmen und welche Angst sie haben, wieder zurück zu müssen", berichtet Leuninger über die Situation von Asylbewerbern, die bei den Einheimischen oft auf wenig Verständnis stoßen.

Pfarrer Herbert Leuninger erinnert sich an seinen vergeblichen Versuch, für einen Äthiopier einen Arbeitsplatz zu suchen. Eine Hofheimer Bäckerei, die auch Großmärkte beliefert, habe eine Fahrerstelle ausgeschrieben gehabt. Aber als Pfarrer Leuninger vorsprach, sei ihm kurz und bündig mitgeteilt worden, man sei zwar nicht ausländerfeindlich, stelle aber keine Ausländer ein.

Der Priester für Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge will sich nicht auf die Aufgaben beschränken, die denen eines Sozialarbeiters ähneln. Die Hilfe in akuten Notfällen sei nämlich nicht immer fein säuberlich von religiösen Aspekten zu trennen. Als Theologe sei er besonders in der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen gefordert, die sich ebenfalls für Asylanten einsetzten. Hierbei gehe es zum Beispiel um die Frage, warum sich ein Christ für Menschen auf der Flucht einsetzen müsse und um die Antwort, die in der Fürsprecher-Rolle der Kirche zugunsten der Schwachen verankert sei.

Auch sei es ihm, Leuninger, möglich, die internationalen Verbindungen der Kirche zu nutzen, um sich etwa über die Verhältnisse im Heimatland eines Flüchtlings zu erkundigen. Dabei erscheine der abwertende Begriff "Wirtschaftsflüchtling" als "Einschränkung der Phänomene", die jemanden zur Flucht bewegen könnten, meint Leuninger. Die Not der Menschen sei nämlich nicht immer nur aufgrund politischen Drucks entstanden. Die Kirche, so Leuninger, verstehe - anders als das Grundgesetz - den Begriff Flucht nicht nur politisch. Er werde in seiner Auffassung vom Limburger Bischof, Franz Kamphaus, unterstützt.

Kamphaus hat kürzlich als Vorsitzender der deutschen Kommission "Justitia et Pax" vor einer Verschärfung des Asylrechts gewarnt. Kamphaus hat auch auf Leuningers Wunsch hin die vielleicht bundesweit einzige Stelle eines Asylanten-Priesters geschaffen. Zu diesem Zweck war Leuninger von einem Teil seiner bisherigen Aufgaben als Betreuer der Katholiken anderer Muttersprachen entlastet worden. Sein Arbeitsplatz ist weiterhin das Büro in Hofheim, Lindenstr. 12. Das Bistum wählte vor einigen Jahren diesen Standort, weil Hofheim günstig im Rhein-Main-Gebiet liegt, wo die meisten Ausländer der Diözese wohnen.

Befragt, ob er an seinem alten Arbeitsplatz bei der Beschäftigung mit den neuen Problemen auch Erfolgserlebnisse gehabt hat, erklärt der Priester: "Ja: Das wachsende Vertrauen und die wachsenden Freundschaften zwischen mir und den Asylbewerbern."