ARCHIV ASYL | |||
![]() Asyl als Wahlkampfthema
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Referat
in der Veranstaltungsreihe von Gemeinden, kirchlichen Werken und Einrichtungen in Hanau am 21. November 1986 "Der Staat und die sittlichen Werte" |
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Ein halbes Jahr lang war die Asylpolitik das Spitzenthema der Politik und der Medien. Für die Fixierung einer wehrlosen Minderheit als Volksfeind hat dies eine durch nichts mehr aufhebbare, verheerende Wirkung. Ob das Asylrecht Wahlkampfthema sein dürfe oder nicht, war dann eine der typischen Scheindiskussionen wie die Auseinandersetzung um die Änderung des Artikels 16 Grundgesetz selbst. Bundestagsvizepräsident Heinz Westphal (SPD) warnt am 20. Juli 1986 in Berlin davor
auf Wählerstimmen zu spekulieren, wenn man es unterläßt, vorhandener Ausländerfeindlichkeit
entgegenzutreten. Er stellt die Frage, ob es nicht so sei, daß einige Leute schnell dabei seien,
sogar das Grundgesetz ändern zu wollen, um eine negative Stimmung gegen vornehmlich aus Afrika
und Asien kommende Asylbewerber bei sich einzufangen? Auf der gleichen Veranstaltung sagt die Berliner Bürgermeisterin Hanna-Renate Laurien
(CDU), das Vermächtnis der Männer des 20. Juli müsse für die heutige Politik
Verpflichtung sein, denn Recht gebe den Schwachen Schutz, kontrolliere die Macht und gebe Raum
für ein menschliches Zusammenleben. Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) sagt einen Tag später auf
die Frage, ob die CSU mit dem Asylthema auch den Wahlkampf bestreiten wolle: "Darauf können
Sie sich verlassen!" Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Liselotte Funcke, mahnt zur Besonnenheit. Die ausländischen Arbeitnehmer und die Asylsuchenden dürften nicht zum Gegenstand internationaler Diskussion oder gar zum Wahlkampfthema gemacht werden. (Frankfurter Rundschau 31.7.1986.) In einem Kommentar wendet sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung gegen die
Auffassung der SPD, das Asylthema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. "In Wahrheit gehört,
nach der Richtschnur des Publikumsinteresses, alles in den Wahlkampf, was wichtig ist oder so
empfunden wird." Beim Bundestagswahlkampf soll es nach CDU-Generalsekretär Heiner Geißler um die Zukunft der Bundesrepublik als vorrangiges Wahlkampfthema gehen. Das Asylthema wird nicht erwähnt. (Frankfurter Rundschau 5.8.1986) "Bei den bevorstehenden Wahlen in Bayern und im Bund hat der Bürger die Möglichkeit,
mit seiner Stimme auch über das Asylantenproblem zu entscheiden", schreibt Bundesinnenminister
Friedrich Zimmermann (CSU) im "Bayernkurier". Er hält es für ein offenkundiges Zeichen
von Schwäche, wenn demokratische Politiker sagten, daß ein bestimmtes Thema tabuisiert
werden solle und nicht in den Wahlkampf gehöre. Die Berliner Bürgermeisterin Hanna-Renate Laurien (CDU) bezeichnet es als unverantwortlich, die Frage des Zustroms von Asylbewerbern in die Bundesrepublik zu einem Thema des Bundestagswahlkampfes zu machen. (Frankfurter Rundschau 11.8.1986) Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) spricht sich im Fernsehen dafür aus, die Debatte
über das Asylrecht außerhalb der eigentlichen parteipolitischen Kontroverse zu behandeln.
Kanzler Kohl eröffnet in Neumünster die erste Phase des Bundestagswahlkampfes
und stellt die Asylpolitik in den Mittelpunkt seiner Rede vor mehr als 2.000 Mandatsträgern
und Funktionären der Union aus Norddeutschland. FDP-Generalsekretär Helmut Haußmann kündigt nach einer Präsidiumssitzung
seiner Partei an, Bangemann und Genscher wollten die CDU in der nächsten Kabinettssitzung
auffordern, das Asylthema aus den bevorstehenden Wahlkämpfen herauszuhalten CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erklärt in Bonn vor der Presse, ein Passus des Wahlprogramms befasse sich mit der Asylproblematik. (Wiesbadener Kurier 29.8.1986) Die SPD wirft auf dem Nürnberger SPD-Parteitag der CDU/CSU einen Verstoß
gegen Moral und Solidarität vor, wenn sie bedrohte Menschen zu Opfern bundesdeutscher Wahlkämpfe
machten. Die Evangelische Kirche in Deutschland mahnt in dem Papier "Flüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land": "Dramatisierungen und tendenziöse Darstellungen - etwa zu Wahlkampfzwecken - schüren lediglich Ängste und Aggressionen." Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Horst Waffenschmidt
(CDU) verweist darauf, daß das - noch zu vereinbarende - gemeinsame Wahlprogramm von
CDU und CSU eine Änderung des Grundgesetzes befürworten werde. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Liselotte Funcke schreibt an
den Bundeskanzler und warnt davor, die Ausländerfrage in den Wahlkampf zu ziehen. Aus nahezu
40 Jahren Wahlkampferfahrung wisse sie, "daß in solchen Zeiten Probleme nicht sachlich geklärt,
sondern holzschnittartig vergröbert und im Freund-Feind-Denken undifferenziert dargeboten
werden" Johannes Rau (SPD) rügt das "Wahlkampfgeklingel" beim Asyl. Heiner Geißler (CDU): Asylpolitik kein Wahlkampfthema. Wer den Ratschlag gebe,
die Asylpolitik bis zum Wahltag zum Wahlkampfthema zu machen, müsse wissen, daß es
in der innenpolitischen Auseinandersetzung zu einer "Eskalation der Emotionen und Gefühle"
kommen werde. Das Bundesinnenministerium bezichtigt Geißler unlogischen Denkens: Geißler
argumentiere nicht logisch und widerspreche sich, wenn er die Asylpolitik aus dem Wahlkampf ausklammern
wolle, andererseits aber die Ergänzung des Grundgesetzes in das gemeinsame Wahlprogramm von
CDU und CSU schreibe. "Erfolgreiches Konzept der CSU", Gerhard Schröder (SPD Niedersachsen) und Karl-Heinz
Hiersemann (SPD Bayern) zur Asylpolitik. Obwohl die SPD wisse, daß sie in dieser Hinsicht
in der Defensive sei, werde sie sich auf keinen Fall anpassen. Der FDP-Parteivorsitzende Martin Bangemann warnt die CSU davor, das Asylthema
im Wahlkampf weiter so wie bisher zu behandeln. Damit errege die CSU "nicht nur Emotionen, die
man niemals wieder eindämmen kann", sondern sie schade sich damit selbst, wenn sie ein Spiel
mit dem Feuer treibe, das sich zu einem "Flächenbrand" ausweiten könne. Franz Kamphaus, Bischof von Limburg, hat die Politiker aufgefordert, die Entwicklungspolitik und nicht eine Änderung des Asylrechts zum Wahlkampfthema zu machen. Das würde einer christlichen Partei gut anstehen, erklärte Kamphaus beim Katholikentag in Aachen. (Frankfurter Rundschau 15.9.1986) Am 19.9.1986 gibt die SPD ein Flugblatt heraus: "SPD macht's möglich - DDR stoppt Asylanten-Transit - Rau und Bahr: Handeln statt Aussitzen". Der Kommentar der Frankfurter Allgemeine Zeitung:
"Ostberliner Einsicht" kritisiert, daß die SED der SPD die Möglichkeit der Vor-Veröffentlichung
der Absprache mit der DDR gegeben und ihr eine Wahlhilfe geleistet hat. Le Monde, Paris, sieht im Verhalten der DDR ebenfalls einen Eingriff in
den Wahlkampf. Auf dem Wahlparteitag der Grünen kritisiert Vorstandssprecher Trampert
die Ausländer- und Asylpolitik der anderen Parteien, die rassistisches Denken in der Bevölkerung
mobilisierten. Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagt zur Asylpolitik als
Wahlkampfthema: "Es gibt keine Verabredung, daß im Wahlkampf nur über unwichtige Themen
gesprochen wird." Mit Bedauern registrieren die Grünen in Bayern, daß im Zusammenhang
mit dem Asylthema sogar Sozialdemokraten ins selbe Horn stießen wie die CSU. In einem Kommentar nach der Bayernwahl hält es die Frankfurter Rundschau für
erwiesen, daß die SPD in der Asylfrage auf die rechte (Pardon: richtige) Klientel setze.
Der CSU-Politiker Waigel hat das Aufkommen der Republikaner in Bayern als ein Warnzeichen
für die Unionsparteien bezeichnet. Man müsse darüber nachdenken, daß rechts
von uns keine demokratisch legitimierte Partei entstehen darf, weil sich sonst die Ränder
links und rechts aufheizen könnten... Links und rechts würden populistische Themen vereinfacht,
um damit Stimmung zu erzeugen. Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) nutzt nach der Frankfurter
Rundschau seinen Besuch in den Werkstätten des Jugendsozialwerks in Frankfurt dazu,
um jenen noch einmal die Leviten zu lesen, die den Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen
zum Wahlkampfthema machen wollten. Bei der Vorstellung seines Regierungsprogramms für den Wahlkampf räumt Johannes
Rau (SPD) ein, daß sich die SPD in einer schwierigen Situation befinde. Dazu zählte
er die Asylantenfrage. Franz-Josef Strauß (CSU) warnt im Zusammenhang mit der Bayern-Landtagswahl
vor "Rattenfängern" und sagt: "Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte
Partei geben". Auf der Klausurtagung der CSU in Kreuth verlangt die CSU ein neues Ausländergesetz.
Der FDP machte Waigel den Vorwurf, daß sie sich erst nach deprimierenden Wahlergebnissen
zu richtigen Entscheidungen durchgerungen habe. Zwei Ereignisse am gleichen Tag: CDU und CSU stellen ihr gemeinsames Wahlprogramm zur Bundestagswahl
in zwei Fassungen vor. Im innenpolitischen Teil besteht die CSU auf einer umfassenden Änderung
des Grundrechts auf Asyl, während sich die CDU mit einem Gesetzesvorbehalt begnügen
will. Der Bundestag beschließt verschärfte Regelungen gegen Flüchtlinge, vor
allem sollen kriegerische Auseinandersetzungen in der Heimat kein Asylgrund mehr sein. Die Opposition
bezeichnet diese Gesetze als Abschreckungsgesetze. Der SPD-Abgeordnete
Wartenberg sagte, die Debatte über das Asylrecht sei im Sommer "häufig jenseits
der Schamgrenze" geführt worden. Die FDP-Politiker Hirsch und Hamm-Brücher enthalten
sich der Stimme. Man kann aus dieser Übersicht den Schluß ziehen, daß sich alle Beteiligten über die negativen Folgen im klaren waren, die eine hochgezogene Asyl-Diskussion haben mußte. Aber, um Rattenfängern keine Wahlstimmen zu überlassen, war man bereit selbst Rattenfänger zu spielen. Wie dem auch sei, ich betrachte den Umgang des Staates mit dem Flüchtlingen als exemplarisch für seinen Umgang mit dem Menschen und der Menschenwürde überhaupt. Nach dem Grundgesetz ist die Würde des Menschen, jedes Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Wenn dies aber hinsichtlich der Flüchtlinge so in Frage gestellt werden kann, wie dies in der Bundesrepublik geschieht, stellt sich die Frage, nach welchen Prinzipien denn Politik gemacht wird. Es gibt staatsrechtlich die These, daß das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, dieselbe Struktur hat, wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet. Einfach gesagt: die Politik entspricht der maßgeblichen Weltanschauung. Und welche wäre dies heute? Dies ist sehr schwer zu sagen. Keinesfalls genügt die Antwort, unser Bild vom Menschen und von der Welt entspreche christlich-abendländischer Tradition. Ich dächte wohl, daß dies für das Grundgesetz und die Prinzipien eines sozialen und demokratischen Rechtsstaat gilt. Solange sie Verfassungsrang und rechtliche Gültigkeit besitzen, wird alles politische Handeln sich von dort her zu legitimieren versuchen, selbst eine Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen. Politik bedarf zu ihrer Durchsetzung moralische Rechtfertigung, auch eine bedenkliche, vielleicht gerade sie. Solange es gelingt, gleich auf welche Weise, eine bestimmte Politik aus den Grundlagen unserer besten Überlieferungen herzuleiten und als mit ihnen im Einklang bestehend zu erachten, genügt dies für die Legitimität. Wo dies allerdings immer schwieriger wird, bleibt der Bedarf an öffentlicher Legitimierung dennoch und muß anderweitig abgedeckt werden. Ich darf dabei zuerst Ihre Aufmerksamkeit auf die geistige Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten richten, von denen wir im Guten wie im Bösen unsere Ideen beziehen, allerdings zeitlich phasenverschoben. Bereits 1977 hat sich dort ein internationales Komitee gegen Rassismus ("INTERNATIONAL COMMITTEE AGAINST RACISM") mit einer Erklärung gegen den Sozialbiologismus, d.h. die moderne Form des Sozialdarwinismus gewandt. Es geht beim Sozialbiologismus um Theorien, die nachgewiesen haben wollen, daß gesellschaftliche Probleme, wie Krieg, Fremdenhass, Rassismus, Völkermord und die Unterdrückung der Frau ihre Wurzeln nicht im gesellschaftlichen Versagen, sondern in unserer biologischen Natur hätten. Daraus wäre natürlich zu folgern, daß Bemühungen, diese Übel, wenn sie überhaupt als solche verstanden werden, zu beseitigen, niemals gelingen könnten. Es handelte sich um Naturgesetze. Das Komitee ist vor allem deswegen beunruhigt über diese Theorien, weil sie sich einer wohlwollenden Publizität in der Fachliteratur, in Lehrbüchern und in angesehenen Magazinen erfreuen. Als unumstößliche, wissenschaftliche Wahrheit hat dieser Sozialdarwinismus die Akademien und Schulen erreicht, so daß die Gefahr besteht, daß eine ganze Generation junger Menschen daraufhin erzogen wird, den Sozialdarwinismus als wissenschaftlich erwiesen anzusehen. Ich denken, wir sind in der Bundesrepublik mittlerweile auch so weit, oder täusche ich mich? Die Wende in der Bundesrepublik ist m.E. von diesen und ähnlichen Gedankenketten erheblich geprägt, ohne daß die ideengeschichtlichen Grundlagen genügend gesehen und in die Debatte eingebracht werden. Sie wirken wie ein schleichendes Gift, begründen und legitimieren den sozialen Rückschritt und erreichen eine Plausibilität, gegen die sich auch christliche Gedanken ziemlich machtlos erweisen. Entsprechende Angebote stehen im geistigen Spektrum einer Gesellschaft zur Disposition und können bei entsprechendem Bedarf abgerufen werden. Zu diesen aktuellen Angeboten gehört neben dem nationalen Gedanken vor allem ein wiederauflebender Sozialdarwinismus mit einer elitären Ungleichheitsideologie. Diese Ideologie betrachtet Christentum, Judentum und Sozialismus als ihre schärfsten Gegner. |