Herbert Leuninger:

ARCHIV ASYL
1988

WESTEDEUTSCHER RUNDFUNK (WDR:)
Hörfunk 7. Juli 1988

Abschiebung von Tamilen

Telefon-Interview mit Armin Beuscher

INHALT
Die unklare politische und militärische Lage und die schwierige wirtschaftliche Situation verbieten eine Abschiebung von tamilischen Flüchtlingen.

WDR:

Herr Pfr. Leuninger, was erwartet die Tamilen in ihrer Heimat? Können Sie in wenigen Sätzen die Situation in Sri Lanka skizzieren?

Leuninger:

Nach unserer Kenntnis, die letztlich auf offiziellen Informationen des Auswärtigen Amtes beruht, ist die Lage in Sri Lanka ungeklärt. Es gibt Übergriffe, vor allem jetzt der indischen Friedenstruppe und es ist zu befürchten, dass dann, wenn die indische Friedenstruppe ihre Aufgabe beendet hat, die Zwistigkeiten zwischen Sengalesen und Tamilen wieder aufbrechen. Es ist insgesamt eine ungeklärte Situation. Zum anderen gibt es keine wirtschaftliche Basis, vor allem für die eventuell heimkehrenden Tamilen, weil sie die Brücken abgebrochen haben, und im Laufe der Kriegshandlungen natürlich auch die wirtschaftlichen Grundlagen zerstört wurden.

WDR:

Besteht eine Gefährdung für Leib und Leben, falls die Tamilen zurückkehren?

Leuninger:

Das ist nicht ausgeschlossen, aufgrund der Spannungen, die im Grunde nicht gelöst sind, sondern die vielleicht etwas abgeklungen sind. Man kann immer noch davon ausgehen, dass die Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit in Gefahr sind. Ferner besteht sie Gefahr von Seiten der extremen tamilischen Organisationen, die die Tamilen, die die Spannung nicht mittragen wollen, unter Umständen verfolgen. Schließlich gibt es auch Übergriffe der indischen Friedenstruppe, die als relativ ungezügelt bezeichnet wird.

WDR:

Könnten Sie den letzten Teil noch einmal zusammenfassen, in dem sozusagen das Stichwort „Gefährdung für Leib und Leben" gegeben ist?

Leuninger:

Die Gefahr für Leib und Seele ist nicht ausgeschlossen. Die Spannungen in Sri Lanka sind nicht beseitigt. An den Übergriffen gegen Tamilen beteiligen sich mittlerweile die indischen Friedenstruppen und die extremen tamilischen Organisationen.

WDR:

Wie wirkt sich das Rückkehrangebot von Innenminister Zimmermann auf die Flüchtlinge aus?

Leuninger:

Es gibt bereits seit Wochen und Monaten die Sorge, dass sich ein neues Abschiebungskonzept, gerade auf die Tamilen beziehen wird. Die Tamilen wissen, dass solche Aktionen bereits in Großbritannien und in den Niederlanden erfolgt sind. Ebenfalls wissen sie, dass der Innensenator von Berlin vor vielen Wochen eine solche Abschiebung vorgesehen, aber dann zurückgezogen hat. Alle diese Informationen zusammengenommen, muss diese Gruppe von Menschen sehr beunruhigen. Es stürzt sie in existentielle Unsicherheit, die unter Umständen auch dazu führt, dass sie versuchen, andere europäische, oder außereuropäische Länder zu erreichen, wo sie sich eine größere Sicherheit als in der Bundesrepublik versprechen.

WDR:

Als wie freiwillig beurteilen Sie das „freiwillige" Angebot von Herrn Zimmermann?

Leuninger:

Ich denke das ist eine „Freiwilligkeit", die in Parallele zu setzen ist zu der Freiwilligkeit, mit der man Rückwanderungsmaßnahmen - etwa der türkischen Arbeitnehmerbevölkerung – gefördert hat. Wenn Menschen einen politischen Druck empfinden und spüren – und der ist in der Bundesrepublik ja deutlich genug – dann werden sie ggfs. die geringen Möglichkeiten, die ihnen angeboten werden, in Anspruch nehmen, um die schärfere Maßnahme der Abschiebung, die nicht mit solchen kleinen finanziellen Geschenken versehen ist, zu vermeiden.

WDR:

Der Vorschlag ist ja rechtlich nicht angreifbar. Wie ist er aber moralisch zu bewerten?

Leuninger:

Die moralische Bewertung liegt in einem Kontext aller Maßnahmen, die im Rahmen der Abwehr der Flüchtlinge in den vergangenen Jahren getroffen worden sind und jetzt durch die neuen Beschlüsse der Innenministerkonferenz noch einmal verschärft wurden. Es geht darum, in größerem Umfange als bisher Menschen, die hier Schutz gesucht haben, aber nach Art. 16 nicht im strengen Sinne als Flüchtlinge anerkannt werden, wieder in ihre Heimat zurückzubringen. Das schließt eben nicht aus, dass es auch Bürgerkriegs- und Krisengebiete sein können. Dies widerspräche unseren Vorstellungen von dem Schutz, den Menschen beanspruchen können, die in die Bundesrepublik gekommen sind, auch dann, wenn sie nicht im strengen Sinne politische Flüchtlinge nach Art. 16 des Grundgesetzes sind.

WDR:

Herzlichen Dank, Herr Leuninger!