"Daß
ich über Jahre der 'Lautsprecher'
der Flüchtlinge und ihrer Verbündeten
sein durfte, empfinde ich als Auszeichnung",
sagt der katholische Pfarrer Herbert
Leuninger. Leuninger, der am Montag (8.
September) 65 Jahre alt wird, äußerte
sich am Mittwoch in einem Interview der
Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA)
in Hofheim/Taunus. Er war viele Jahre
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für
Flüchtlinge "Pro Asyl" und ist seit
1994 Europa-Referent der Arbeitsgemeinschaft.
Leuninger wirkt als Seelsorger in einem
Altenheim in Hofheim.
KNA:
Pfarrer Leuninger, seit Jahren setzen sie
sich für Flüchtlinge ein und
für ein Recht auf Asyl, in deutlichen
Worten meist und auch mit Taten, so etwa
als sie 1986 in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft
für Flüchtlinge in Schwalbach
mit einem Hungerstreik gegen die Unterbringung
der Flüchtlinge in Zelten protestierten.
Gibt es dafür ganz persönliche,
in ihrer Biografie angesiedelte Motive?
Leuninger:
Irgendwann vor dem Krieg durfte ich als
kleiner Junge meinen Vater bei dem Besuch
einer jüdischen Familie begleiten.
Damals mußten jüdische Bürgerinnen
und Bürger auch in Köln den gelben
Stern auf ihrer Kleidung tragen. Mein Vater
beschwor die Familie, Deutschland zu verlassen.
Das Ehepaar folgte dem Rat, floh in die
Vereinigten Staaten und war damit gerettet.
Mein Vater, bis zur Hitlerzeit christlicher
Gewerkschaftssekretär, wäre gern
selbst aus Nazi-Deutschland emigriert.
Er nahm davon Abstand, weil er dies meiner
Mutter mit ihren drei kleinen Kindern nicht
zumuten wollte. Eine starke Motivation
für meine Arbeit ist sicher auch das
Schicksal meines Onkels Franz Leuninger.
Er gehörte zum Widerstand gegen Hitler
und wurde kurz vor Kriegsende in Berlin-
Plötzensee als Landes- und Hochverräter
hingerichtet.
KNA:
Und wie begründen
Sie Ihren Einsatz weltanschaulich und wie
politisch?
Leuninger:
Für mich ist das Asylrecht ein universal
und jederzeit geltendes Menschenrecht.
Die Bundesrepublik war der einzige Staat,
der es als individuelles Grundrecht ausgestaltet
hatte. Als Bürger dieses Landes habe
ich mich für seinen Erhalt eingesetzt
und dem Bundestag sogar das Recht abgesprochen,
es einzuschränken. Dabei hat meine
christliche Erziehung und meine berufliche
Ausrichtung eine große Rolle gespielt.
Danach betrachte ich die Menschheit als
eine Familie, in der jeder Bedrängte
auf die Unterstützung der anderen
rechnen darf. Nationale Vorbehalte lasse
ich hierbei nicht gelten.
KNA:
Sie sahen sich in der Vergangenheit wiederholt
Anfeindungen ausgesetzt. Was gehört
da zu Ihren schlimmsten Erfahrungen?
Leuninger:
Es gab eine Zeit, in der ich Feuerlöscher
griffbereit in der Nähe hatte
und auch deren Gebrauchsanleitung kannte.
Hofheimer Bürger hatten mir gedroht,
das Haus, in dem ich wohnte, anzuzünden.
Dies war eine Warnung, mich nicht weiter
öffentlich für Flüchtlinge
zu verwenden.
KNA:
Wie gehen Sie mit Anfeindungen um?
Leuninger:
Ich habe sie als "Berufsrisiko" betrachtet.
Mir war es lieber, wenn ich
anstatt der Flüchtlinge ihnen ausgesetzt
war. Allerdings hat es mich bedrückt,
daß die Mitbewohner im Haus und meine
Mitarbeiterin gleichfalls gefährdet
waren. Im Übrigen habe ich mich als
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl"
eher darüber gewundert, daß
ich, wenn ich von den haßerfüllten
Briefen absehe, nicht größeren
Anfeindungen ausgesetzt war.
KNA:
Nun gab es sicher nicht nur Kritik und
Anfeindungen. Was hat Ihnen Freude bereitet,
Mut gemacht?
Leuninger:
Trotz allem waren und sind die positiven
Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit
überwältigend. Ich habe ungezählte
Flüchtlinge aus aller Welt als Freundinnen
und Freunde gewonnen. Wir haben miteinander
Feste gefeiert und sogar unbeschwerte Urlaubstage
verbracht. Gleichzeitig habe ich Tausende
Menschen kennengelernt, die sich in unnachahmlicher
Weise für Asylsuchende einsetzen.
Ich betrachte dies als ein Ruhmesblatt
deutscher Nachkriegsgeschichte. Daß
ich über Jahre der "Lautsprecher"
der Flüchtlinge und ihrer Verbündeten
sein durfte, empfinde ich als Auszeichnung.
Interview: Peter
de Groot (KNA)(HES 68/20140)
|