Herbert Leuninger ARCHIV BIOGRAFIE
1997

Katholische Nachrichtenagentur (KNA)
28. August 1997
Interview
"Nationale Vorbehalte lasse ich nicht gelten"
Zum 65. Geburtstag: Pfarrer Leuninger über seine Asyl-Arbeit

"Daß ich über Jahre der 'Lautsprecher' der Flüchtlinge und ihrer Verbündeten sein durfte, empfinde ich als Auszeichnung", sagt der katholische Pfarrer Herbert Leuninger. Leuninger, der am Montag (8. September) 65 Jahre alt wird, äußerte sich am Mittwoch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Hofheim/Taunus. Er war viele Jahre Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" und ist seit 1994 Europa-Referent der Arbeitsgemeinschaft. Leuninger wirkt als Seelsorger in einem Altenheim in Hofheim.

KNA:
Pfarrer Leuninger, seit Jahren setzen sie sich für Flüchtlinge ein und für ein Recht auf Asyl, in deutlichen Worten meist und auch mit Taten, so etwa als sie 1986 in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Schwalbach mit einem Hungerstreik gegen die Unterbringung der Flüchtlinge in Zelten protestierten. Gibt es dafür ganz persönliche, in ihrer Biografie angesiedelte Motive?

Leuninger:
Irgendwann vor dem Krieg durfte ich als kleiner Junge meinen Vater bei dem Besuch einer jüdischen Familie begleiten. Damals mußten jüdische Bürgerinnen und Bürger auch in Köln den gelben Stern auf ihrer Kleidung tragen. Mein Vater beschwor die Familie, Deutschland zu verlassen. Das Ehepaar folgte dem Rat, floh in die Vereinigten Staaten und war damit gerettet. Mein Vater, bis zur Hitlerzeit christlicher Gewerkschaftssekretär, wäre gern selbst aus Nazi-Deutschland emigriert. Er nahm davon Abstand, weil er dies meiner Mutter mit ihren drei kleinen Kindern nicht zumuten wollte. Eine starke Motivation für meine Arbeit ist sicher auch das Schicksal meines Onkels Franz Leuninger. Er gehörte zum Widerstand gegen Hitler und wurde kurz vor Kriegsende in Berlin- Plötzensee als Landes- und Hochverräter hingerichtet.

KNA:
Und wie begründen Sie Ihren Einsatz weltanschaulich und wie politisch?

Leuninger:
Für mich ist das Asylrecht ein universal und jederzeit geltendes Menschenrecht. Die Bundesrepublik war der einzige Staat, der es als individuelles Grundrecht ausgestaltet hatte. Als Bürger dieses Landes habe ich mich für seinen Erhalt eingesetzt und dem Bundestag sogar das Recht abgesprochen, es einzuschränken. Dabei hat meine christliche Erziehung und meine berufliche Ausrichtung eine große Rolle gespielt. Danach betrachte ich die Menschheit als eine Familie, in der jeder Bedrängte auf die Unterstützung der anderen rechnen darf. Nationale Vorbehalte lasse ich hierbei nicht gelten.

KNA:
Sie sahen sich in der Vergangenheit wiederholt Anfeindungen ausgesetzt. Was  gehört da zu Ihren schlimmsten Erfahrungen?

Leuninger:
Es gab eine Zeit, in der ich Feuerlöscher griffbereit in der Nähe hatte
und auch deren Gebrauchsanleitung kannte. Hofheimer Bürger hatten mir gedroht, das Haus, in dem ich wohnte, anzuzünden. Dies war eine Warnung, mich nicht weiter öffentlich für Flüchtlinge zu verwenden.

KNA:
Wie gehen Sie mit Anfeindungen um?

Leuninger:
Ich habe sie als "Berufsrisiko" betrachtet. Mir war es lieber, wenn ich
anstatt der Flüchtlinge ihnen ausgesetzt war. Allerdings hat es mich bedrückt, daß die Mitbewohner im Haus und meine Mitarbeiterin gleichfalls gefährdet waren. Im Übrigen habe ich mich als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft "Pro Asyl" eher darüber gewundert, daß ich, wenn ich von den haßerfüllten Briefen absehe, nicht größeren Anfeindungen ausgesetzt war.

KNA:
Nun gab es sicher nicht nur Kritik und Anfeindungen. Was hat Ihnen Freude bereitet, Mut gemacht?

Leuninger:
Trotz allem waren und sind die positiven Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit überwältigend. Ich habe ungezählte Flüchtlinge aus aller Welt als Freundinnen und Freunde gewonnen. Wir haben miteinander Feste gefeiert und sogar unbeschwerte Urlaubstage verbracht. Gleichzeitig habe ich Tausende Menschen kennengelernt, die sich in unnachahmlicher Weise für Asylsuchende einsetzen. Ich betrachte dies als ein Ruhmesblatt deutscher Nachkriegsgeschichte. Daß ich über Jahre der "Lautsprecher" der Flüchtlinge und ihrer Verbündeten sein durfte, empfinde ich als Auszeichnung.

Interview: Peter de Groot (KNA)(HES 68/20140)