Tagung vom 13. bis 15. September 2002 in der Ev. Akademie Bad Boll

Herbert Leuninger (PRO ASYL)

Ein Jahr nach dem 11. September. Zur Lage der Grund- und Menschenrechte in Europa

(Originaltexte, Fotos, Grafiken und Animationen dazu im Internet: http://www.proasyl.de/java/mr_11sept/start.htm

 

Ein Jahr nach dem 11. September. Zur Lage der Grund- und Menschenrechte in Europa&xnbsp; 1

1. Trend: Abbau der Menschen- und Bürgerrechte. 1

1.1 Eine Hitparade der Anti-Terror-Maßnahmen.. 1

1.2 USA: Der Superheld jenseits der Gesetze. 3

1.3 Deutschland: Der gläserne Flüchtling. 3

1.4 Großbritannien: Doppelmoral 4

1.5 Europäische Union: Rechtspopulismus. 4

2. Gegentrend: Erhaltung und Ausbau der Menschen- und Bürgerrechte. 5

2.1 Internationale Gremien.. 5

2.1.1 UN-Menschenrechtskommission.. 5

2.1.2 Europäisches Parlament 5

2.1.3 Europarat 5

2.1.4 UNDP: Bericht 2002. 6

2.2 Die Nichtregierungsorganisationen.. 7

2.2.1 Statt Fundamentalkritik Lobbyismus. 7

2.2.2 Rio II: Ernüchterung. 7

2.2.4 Seattle, Genua, Porto Alegre II ... 7

2.2.5 Italien.. 8

2.2.6 PRO ASYL. 8

 

 

1. Trend: Abbau der Menschen- und Bürgerrechte

Die Bilder vom 11. September 2001 habe ich live gesehen. Ich dachte zuerst, ich sei in einen Hollywood-Horror-Film geraten, bis mir deutlich wurde, dass das Entsetzliche Wirklichkeit war. Dabei ist mir der Gedanke gekommen, dass Hollywood dieses Szenario auf seine Weise mit vorbereitet hat.

Mein Thema: Menschenrechte - ein Jahr nach dem 11. September. Dabei erhebt sich die Frage, wenn ich an die gestrigen Gedenkveranstaltungen denke, ob mit diesem 11. September, wie oft gesagt, eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Ich glaube es nicht. Mit diesem Datum ist nur etwas in volle Bewegung geraten, was sich bereits länger abgezeichnet hat. Für alle, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten im Asylbereich tätig sind, wird nur eine bedenkliche Entwicklung überdeutlich. Es handelt sich um den Abbau der Menschenrechte und der Grundrechte, der längst vor dem 11. September im Gange war und der sich mit diesem Datum die erforderliche Legitimation glaubte holen zu können.

 

1.1 Eine Hitparade der Anti-Terror-Maßnahmen

Die Reporter ohne Grenzen, die Internationale Liga für Menschenrechte und der Human Rights Watch haben am 11. Januar 2002 - also 120 Tage nach dem 11. September eine Auflistung von den 15 Staaten, bzw. Staatengemeinschaften vorgelegt, die den 11. September zum Anlass genommen hatten, um Grund-, Menschen- und Bürgerrechte und letztlich natürlich auch Flüchtlings- und Asylrechte zu beschränken. Sie nannten dies eine „Hitparade“. Einleitend meinten sie, es gäbe zwei Arten von Staaten, die die Freiheiten beschränkt hätten. Das seien zuerst die Staaten, die in Panik geraten wären. Eine zweite Gruppe, dazu zähle ich die Bundesrepublik, bildeten die sog. opportunistischen Staaten, die die Terrorbekämpfung als Vorwand genommen hätten, um Maßnahmen, die bisher als durchaus unpopulär galten, jetzt endlich durchzusetzen, oder auch um Minderheiten und Gegner zu unterdrücken. Die Hitliste wird angeführt - fast hätte ich gesagt naturgemäß - von den Vereinigten Staaten. Das ist eigentlich nicht so verständlich, wenn wir das bisherige positive Bild, das wir von den Vereinigten Staaten von Amerika hatten, jetzt in dieser Weise korrigieren müssen. (Hier erlaube ich mir eine sehr persönliche Bemerkung: Ich danke den Vereinigten Staaten von Amerika bis auf den heutigen Tag dafür, dass sie uns - und ich habe es als Junge mit 12 Jahren hautnah erlebt - von der Nazi-Diktatur befreit haben. Das bleibt eine einmalige historische Tat, ganz gleich, was sich jetzt mit der Bush-Regierung abspielt und noch abspielen wird. Das heißt, es gibt eine tiefe Gemeinsamkeit, durch die die schärfste Kritik an der jetzigen Politik nicht aufgehoben wird, wenigstens nicht bei mir. Das sage und betone ich, weil ich in einem derart scharfen Gegensatz in der politischen Analyse gegenüber den USA geraten bin, die normalerweise mit Freundschaft kaum noch zu vereinbaren ist. Diese Freundschaft mit den Amerikanern möchte ich auch in Zukunft erhalten wissen, ohne aber deshalb ein Jota von meiner Kritik zurücknehmen, ebenso wenig wie ich übrigens kein Jota von der Kritik an der Politik des Staates Israel zurücknehme. Dabei muss ich es sogar hin nehmen eventuell als Antisemit bezeichnet zu werden.)

 

Nun zur „Hitparade“:

- Die Anti-Terror-Maßnahmen der Vereinigten Staaten:

Menschenjagd und exzessive Festnahmen

Verstöße gegen die Rechte der Gefangenen

Aufgabe der Unschuldsvermutung

ein eigenes Gesetz, mit dem die Vereinigten Staaten sich auf den Weg zum Polizeistaat gemacht haben mit den Möglichkeiten

Mandantengespräche abzuhören

außerordentliche Militärgerichte einzurichten

Geheimprozesse durchzuführen und

5000 Personen aus dem Nahen Osten festzunehmen

Muslime und Araber zu diskriminieren

Denunziationsmöglichkeiten auszuweiten

eine Identitätskarte im Sinne von Big Brother einzuführen

und vor allem, was ich nie für möglich gehalten habe, das Thema Folter wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Dabei halte ich es für eine der großen Leistungen der Menschheitsgeschichte, dass wir von der Folter wenigstens in Konventionen und auch in vielen nationalen Gesetzgebungen Abschied genommen haben.

 

Vor allem - das vermitteln uns viele Berichte aus den Vereinigten Staaten - die Schere im Kopf der Journalisten, auch der kritischen Journalisten

Die Pressefreiheit betreffend - eine Zensur im Weißen Haus, schließlich

die Treibjagd, die von den Amerikanern im Internet veranstaltet wird.

 

- Platz 2 - wen wundert es - nimmt Großbritannien ein

die Reporter ohne Grenzen und die beiden anderen Organisationen werfen Großbritannien die Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vor, weil es Haft und Anklage geben kann, ohne strafrechtliche Untersuchungen durch zu führen

eine erhöhte Kompetenz der Polizei bei der Überwachung des Internets und der der Telefone.

 

- Die 3. Stelle – und das mag verwundern – hält Kanada. Liegt das an der kontinentalen Gemeinsamkeit?

 

- Platz 4 nimmt Frankreich ein mit einem ähnlich konzipierten Gesetzesbündel wie in der Bundesrepublik, in dem 13 andere Gesetze einbezogen sind

 

- An fünfter Stelle steht die Bundesrepublik Deutschland mit seinem Terrorismusbekämpfungsgesetz. Darauf komme ich später ausführlicher

 

- Danach kommt gleich China , eine für uns kaum zu verkraftende Einstufung

 

- Es folgen, Italien, Indien, die Europäische Union, Spanien mit seinem ETA-Problem, das jetzt im Rahmen der Antiterrormaßnahmen gelöst werden soll, Pakistan, Jordanien, Russland, Indonesien und Simbabwe. In welch internationaler Gesellschaft befinden wir uns!

 

1.2 USA: Der Superheld jenseits der Gesetze

Ein SPIEGEL-Titelblatt vom Februar dieses Jahres zeigt Bush und seine Regierung als Bush-Krieger. Der amerikanische Botschafter aus Berlin ist daraufhin beim SPIEGEL vorstellig geworden, nicht aber um die Karikatur zu kritisieren, sondern im Gegenteil, um der Redaktion mitzuteilen, dass Bush sich geschmeichelt gefühlt habe. Er bestellte sogar eigens 20 Poster dieses Bildes für seine Regierung in Washington. Das heißt doch wohl: Die amerikanische Regierung fühlt sich in der Darstellung als Super-Männer und Super-Frauen durchaus angemessen gewürdigt..

Die amerikanischen Professoren Shelton Lawrence und Robert Jewett haben in der Frankfurter Rundschau vom 24. Juli 2002 eine Analyse vorgenommen wird, nach der dieses Verhalten der Amerikaner nicht ausreichend mit Imperialismus gekennzeichnet werden kann, sondern, eine Vorliebe für bestimmte Formen der Selbstjustiz zeigt. Danach fühlt sich der Superheld legitimiert für das Recht und die Gerechtigkeit, in den Kampf zu ziehen, dass er dabei aber die Gesetze verletzen darf, weil er ja für einen guten Zweck handelt. Vielleicht wird es bei dieser Einschätzung verständlicher, dass sich die Vereinigten Staaten mit Vehemenz dagegen wehren, dass ihre Soldaten, sollten sie bei internationalen Einsätzen die Menschenrechte verletzen, vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden könnten. &xnbsp;Das widerspräche der Vorstellung von Batman, und dem Mythos vom amerikanischen Superhelden.

 

1.3 Deutschland: Der gläserne Flüchtling

Ich gehe auf das ein, was PRO ASYL zusammen mit einem breiten Spektrum der zivil- und bürgerrechtlichen Szene mit analysiert und nachhaltig angeprangert hat: Dass nämlich das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, ein Gesetz ist, mit dem grundlegende Freiheiten und Bürgerrechte beschnitten werden und von dem viele Bestimmungen pauschal gegen Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge gerichtet sind. Ein erheblicher Teil der in den verschiedensten Gesetzen vorgenommenen Änderungen betrifft Forderungen, die seit längerem diskutiert wurden, bislang aber nicht durchgesetzt werden konnten. Das Gesetzespaket unterwirft Ausländer im allgemeinen und Flüchtlinge im Besonderen einem unbegründeten Generalverdacht. Sie werden zum Objekt der Beobachtung für die Sicherheitsbehörden. Es wird ein ungehemmter Datenfluss ermöglicht, nicht auszuschließen ist, dass Asylinformationen missbraucht werden. Die ausländischen Vereine sind pauschal im Visier der Ermittler. Ausweisungen werden erleichtert, Visa-Antragsteller werden wie Kriminelle behandelt.

 

Darüber hinaus sind alle Bürgerinnen und Bürger betroffen. Es geht um die Einschränkung des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses, die allgegenwärtige Überwachung, fließende Grenzen zwischen Polizei und Verfassungsschutz, unkontrollierte Datenflüsse. Der Nationalstaat, der eigentlich bereits im Absterben begriffen war, sichert sich noch einmal in ungewöhnlicher Weise den Zugriff auf seine Bürgerschaft. Unsere Beurteilung besagt, dass man durch diese Maßnahmen keine Terroristen fasst, aber der freiheitlichen Demokratie irreparablen Schaden zu fügt. Das ist und bleibt Hintergrund eines Zuwanderungsgesetzes, auf dem durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz ein schwerer Schatten liegt.

 

1.4 Großbritannien: Doppelmoral

Eine ungewöhnliche Meinungsäußerung aus dem Umfeld der britischen Regierung ist im britischen Observer vom 7. April 2002 wieder gegeben. Der außenpolitische Berater von Toni Blair, Robert Cooper vertritt dabei die Auffassung - er hat damit in Großbritannien einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen -, dass es die Herausforderung für die postmoderne Welt sei, sich mit der Idee einer Doppelmoral (double standards) vertraut zu machen. Dabei teilt der die Welt in einer Weise ein, wie sie gerade die arabische Welt den Amerikanern vorwirft. Wörtlich heiß es: „Unter uns zivilisierten Nationen agieren wir auf rechtsstaatlicher Basis und in offener Sicherheitspartnerschaft. Wenn es aber um rückständige Staaten außerhalb des postmodernen europäischen Kontinents geht, müssen wir rauere Methoden einer früheren Epoche - wie Gewalt, Präventivschläge und Täuschung anwenden, Methoden, die erforderlich sind, um mit denen zurecht zu kommen, die noch im 19 Jahrhundert ... leben“. Er sagte dann weiter: „Unter uns halten wir uns an die Gesetze. Wenn wir aber im Dschungel operieren, dann wenden wir die Gesetze des Dschungels an“. Man sollte dies im Hinterkopf haben, wenn es um Zusammenarbeit von Blair und Bush in Sachen Irak und die künftige Weltordnung geht.

 

1.5 Europäische Union: Rechtspopulismus

Im Januar 2001, also noch vor dem 11. September, hat in Stockholm eine internationale Konferenz stattgefunden, an der Kofi Annan sowie die Menschenrechtskommissarin Mary Robinson teilgenommen haben. Bei dieser Konferenz zur Bekämpfung von Intoleranz und Rassismus hat Kofi Annan den Europäern in einer ungewöhnlichen Form wegen ihrer Asyl- und Flüchtlingspolitik die Leviten gelesen. Das geschah zu einer Zeit, in der sich die Europäische Kommission auf Alternativen zu besinnen schien. Annans Kritik bezog sich im einzelnen auf die nicht ausreichenden Verfahrensgarantien, dann darauf, dass die Verfahren nicht zügig abgewickelt werden, es Arbeitsverbote und eine sehr geringe Sozialhilfe gibt. Das ist sicher gerade auch auf die Bundesrepublik hin gesagt. Noch vor dem 11. September glaubt Kofi Annan feststellen zu müssen, dass die Europäer im Hinblick auf die Migration und Asylproblematik zu restriktiven, populistischen Maßnahmen greifen, und dass damit ein Erdteil in einer Weise reagiert, die in der Sicht von Kofi Annan, seinem Wohlstand und seinem Bedarf an vermehrter Einwanderung nicht entsprechen.

Kofi Annan kritisiert, dass Europa sich in gewissem Sinne vom internationalen Recht verabschiedet, wie es vor allem in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegt ist. Er befürchtet, und hier geht es um die Vorbildfunktion von Europa, die gerade der UNHCR immer wieder beschwört, dass das, was in Europa geschieht, Auswirkungen hat auf die Welt. Annan gibt der Hoffnung Ausdruck, dass Schweden mit seiner besonderen Tradition der Menschenrechte helfen wird, diesen Prozess zu stoppen und zu einer Neuorientierung der Asylpolitik auf der Grundlage des Völkerrechts und der Menschenrechte zu kommen.

In der EU, zumindest in der Europäischen Kommission, war hinsichtlich der Migrations- und Asylpolitik ein Umdenken angesagt. Es bezog sich auf die bisherige Abschottungspolitik. Die Tendenz ging dahin, trotz des Einwanderungsdrucks eine im Grunde positive Einwanderungspolitik zu machen. Beispielhaft war etwa die Familienzusammenführung, die bis zur Volljährigkeit möglich sein sollte. Ist jemand jenseits der Volljährigkeit auf die Versorgung durch die Familie angewiesen, soll auch in diesem Fall eine Familienzusammenführung statthaft sein. Gleiches sollte für Verwandte in aufsteigender Linie gelten, wenn ihre Versorgung garantiert ist. In der Asylpolitik wurden ebenfalls positive Signale gesetzt. So gab es u.a. den Vorschlag, die Drittstaatenregelung nur anzuwenden, wenn der Asylbewerber eine besondere Beziehung zu dem Drittland hatte. Auch sollte es keine Abweisung von Asylsuchenden an der Grenze geben.

 

Inzwischen verabschiedete sich nach und nach die Sozialdemokratie als führende politische Kraft in der EU. Ein unerwartet stark anwachsende Rechtspopulismus mit seinen Vorstellungen von Ordnung, Sicherheit, Tradition, Nation und Religion und vor allem mit seiner Fremdenfeindlichkeit hat diese Ansätze – nicht zuletzt auch durch den massiven Einfluss von Schily, zunichte gemacht.

 

2. Gegentrend: Erhaltung und Ausbau der Menschen- und Bürgerrechte

2.1 Internationale Gremien

2.1.1 UN-Menschenrechtskommission

Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat zur Eröffnung der Sitzung der Menschenrechtskommission am 12. April 2002 eine Rede gehalten, die im Wesentlichen unsere Kritik beinhaltet. Die Vereinten Nationen erweisen sich in diesem Falle durchaus als Wächter der Menschenrechte. Am Anfang seiner Ansprache hat sich Annan bei der ausscheidenden Menschenrechtskommissarin Frau Mary Robinson bedankt, die ja nach 5 Jahren - von den Amerikanern gemobt -, diese wichtige Position, in der sie ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, aufgegeben hat. Das ist mehr als bezeichnend.

Kofi Annan meint, dass diese Sitzung der Kommission eine der vielleicht bedeutendsten in ihrer Geschichte sei. Er bezieht sich dabei auf den 11. September 2001, den Terror ausdrücklich verurteilend. Es folgt dann allerdings der Satz: „Wir können doch nicht Sicherheit erlangen, indem wir die Menschenrechte opfern.“ Das entspricht genau unserer politischen Vorstellung. Ein weiterer Grundsatz lautet: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel“. Die Unschuldsvermutung dürfe nicht aufgehoben werden. Jeder Mensch sollte seine Grundrecht behalten, die unter keinen Umständen aufgegeben werden dürften. Weiterhin spricht sich Kofi Annan für Toleranz gerade in der gegenwärtigen Situation aus.

Der höchste Repräsentant der Vereinten Nationen ist somit ein Warner, ein Mahner für die Erhaltung der Menschenrechte.

 

2.1.2 Europäisches Parlament

Das Europäische Parlament hat sich relativ früh zum Abbau der Sicherheits- und Bürgerrechte gemeldet, was wir vielleicht nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen haben. Vor allem setzt sich das Europäische Parlament auf seiner Sitzung vom 13. Dezember 2001 gegen die Sondergesetze in den Vereinigten Staaten ab und zeigt sich besorgt darüber, dass der amerikanische und europäische Ansatz in der Bekämpfung des Terrorismus in mancher Hinsicht unvereinbar ist und dies letztlich den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus sogar schwächt. Das Europäische Parlament sieht sich natürlich nicht als Gesetzgebungsinstitution. Es fordert aber, dass jedes internationale Abkommen, dass die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten unterzeichnen, die Europäische Menschenrechtskonvention und die damit verbundenen Mindestverfahrensgarantien einhalten muss.

 

2.1.3 Europarat

Eine besondere Rolle hat auch der Europarat in Straßburg zu spielen versucht. den wir in unserer europäischen Arbeit relativ wenig zur Kenntnis nehmen. Dabei fällt ihm die wichtige Aufgabe der Überwachung und Garantierung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die wir ja dem Europarat verdanken. Was wäre aber die Europäische Menschenrechtskonvention ohne den Menschenrechtskommissar und vor allem ohne den europäischen Menschenrechtsgerichtshof, der in der Lage ist, die einzelnen Mitgliedsnationen in ihrem Verhalten bei der Wahrung der Menschenrechte zu sanktionieren.

Die Richtlinien, die das Ministerkomitee am 15. Juli 2002 verabschiedet hat, ist die erste gültige Form der kritischen Auseinandersetzung mit dem, was sich international in der Minderung der Menschenrechte abgezeichnet hat: In der Präambel wird gefordert, dass im Kampf gegen den Terrorismus die internationalen Rechtsinstrumente zum Schutz der Menschenrechte, wie gerade auch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nach wie vor zu respektieren sind. Das wird im Einzelnen ausgeführt, vor allem hinsichtlich der Einstellung gegenüber den Menschen, die man des Terrorismus verdächtigt werden.

 

2.1.4 UNDP: Bericht 2002

Die Vereinten Nationen, genauer: Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), haben einen Bericht über die menschliche Entwicklung 2002 herausgegeben (Bericht über die menschliche Entwicklung 2002, Stärkung der Demokratie in einer fragmentierten Welt), und versuchen mit diesem Bericht bei aller Differenzierung ein eher optimistisches Bild der demokratischen und menschenrechtlichen Entwicklung in der Welt zu zeichnen. Ob wir uns einem solch optimistischen Bild auch zu eigen machen können, mag offen bleiben. Tatsächlich ist eine Stärkung der demokratischen Länder - ein Anwachsen der Anzahl der Demokratien zwischen den Jahren 1985 und 2000 von 44 auf 82 Staaten zu verzeichnen. Das ist sicher nicht unerheblich. Gleichzeitig gibt es einen Rückgang der autoritär regierten Staaten von 67 auf 26 und dann eine Mischform von Staaten, die sich auf die Demokratie hin bewegen. Sie sind von 13 auf 39 angewachsen. Diese positive Entwicklung geht meiner Ansicht nach aber einher mit einer Verminderung der demokratischen Substanz in den westlichen oder auch klassischen Demokratien.

Ein Indiz dafür dürfte die Tatsache sein, dass sich die Mitgliedschaft in den politischen Parteien im Zeitraum von 1978 bis 1994 erheblich vermindert hat; in Frankreich um 64%! Ähnlich auch in Italien (-51,5%), den Vereinigten Staaten (-50,4%), Norwegen (-47,5%) , der Tschechischen Republik (-41,3), Finnland (-34%), den Niederlanden (-31,7%), Österreich (-30,2%), Schweiz (-28,9%), Schweden (-28%) und Dänemark (-25,5%) . Dies ereignete sich in den klassischen Demokratien, oder in solchen, die sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in überzeugender Weise demokratisch formiert haben. Die politischen Interessen organisieren sich immer weniger über die konventionellen Parteien. Deutschland (-9%) scheint hierbei aus dem Rahmen zu fallen. Es hängt vermutlich damit zusammen, dass in der Zwischenzeit die neuen Bundesländer dazu gekommen sind. Dort sind demokratische Parteienstrukturen neu aufgebaut worden, die dann wohl in die Gesamtrechnung eingegangen sind.

 

Nun zur Entwicklung bei den Menschenrechtsinstrumenten.

Denken wir an die Auseinandersetzung um die Anwendung der Kinderrechtskonvention in der Bundesrepublik. Immerhin ist innerhalb von 10 Jahren die Anzahl von 50 Unterzeichnerstaaten der Kinderrechtskonvention auf 191 angewachsen, bei der Frauenkonvention ist es ein Anstieg von 90 auf 160 Staaten. Ähnlich verhält es sich bei der Antirassismuskonvention und schließlich auch bei der Antifolterkonvention. Das sind echte Fortschritte in der Beachtung und Durchsetzung der Menschenrechte. Trotz der augenblicklichen Entwicklung eines Abbaus der Menschenrechte dürfen wir von einem insgesamt angehobenen Niveau des globalen Bewusstseins für mehr Humanität ausgehen.

 

Eine für uns nicht unwichtige Entwicklung, wie sie im Bericht für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) ausgewiesen wird, richtet sich auf die Zivilgesellschaft und darauf, dass immer mehr Organisationen und Verbände der verschiedensten Art Einfluss auf die internationale Politik nehmen. Es handelt sich um ein Anwachsen von 31.000 auf 37.000 international agierende Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Sie stellen das breite Spektrum der organisierten Zivilgesellschaft dar. Immerhin ist auch dies ein interessantes Beispiel von einer in der Tendenz positiven Entwicklung in der Staatengemeinschaft. Der entscheidende Einfluss geht natürlich vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank aus. Die Grafik zeigt, dass die wirtschaftsstarken Staaten das Sagen haben. Dieser Einfluss macht jeweils fast die Hälfte aus. Dabei mischt Deutschland auf deutliche Weise mit. Dies sei erwähnt, weil es bei uns in Zukunft stärker um die Globalisierung unserer Einstellung und unseres politischen Handelns geht.

 

2.2 Die Nichtregierungsorganisationen

2.2.1 Statt Fundamentalkritik Lobbyismus

Die NGOs haben einen Wandel durchgemacht. Das bezieht sich vor allem auf die Antiglobalisierungsbewegung, die vornehmlich gegen einzelne Regierungen, die Weltbank, die Welthandelsorganisation, den Internationalen Währungsfonds und gegen Konzerne vorgegangen sind und dabei versucht haben, mehr Menschenrechte, Gerechtigkeit und Demokratie durchzusetzen. In diesem Prozess sind sie Dialogpartner geworden, vor allem auch der Vereinten Nationen. Der sog. Brundtlandbericht zur Vorbereitung auf die Umweltkonferenz in Rio 1992 besagt, dass es ohne diese Form der organisierten Zivilgesellschaft keine entscheidende Weiterentwicklung - hier auf die Umwelt bezogen - geben könne.

Diese Entwicklung hat viele NGOs nachhaltig verändert. Sie wurden offiziell in Gremien und Regierungsdelegationen einbezogen, saßen auf Podien und in Konferenzen. Dabei vermochten sie durchaus eine intensive Lobbyarbeit zu betreiben, erhielten aber auch finanzielle Mittel vom Staat, von der Wirtschaft, nicht zuletzt von der Europäischen Union. Was wäre mit weiten Teilen der Asylarbeit in Europa ohne die Subventionierung durch die Europäische Union? Es ist wichtig darüber nachzudenken, was eine Finanzierung durch Stiftungen, Staat und Wirtschaft für die Lobbyarbeit, für Publikationen, für Personal und für Reisen bedeuten mag. Mit der Einbindung in den politischen Diskurs sind sogar Karriereaussichten bei den Vereinten Nationen, bei der Weltbank oder bei den Verbänden verbunden. Dennoch ist der Einfluss auf Verhandlungen und Beschlüsse, auch eine Professionalisierung und globale Vernetzung, die durch das Internet eine besondre Dynamik erhalten hat, nicht zu übersehen. Der Wandel in der Strategie bedeutet: anstatt Fundamentalkritik zu üben sucht man konstruktive Lösungen.

 

2.2.2 Rio II: Ernüchterung

Mittlerweile ist Ernüchterung eingetreten. Gerade Rio II in Johannesburg hat dieser Ernüchterung erheblichen Auftrieb gegeben. Sie kommt am deutlichsten in der Kritik einer der maßgeblichen Vertreterinnen der Antiglobalisierungsbewegung, nämlich Naomi Klein aus Kanada zum Ausdruck.. Sie hat vor der Konferenz in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 25. August 2002 die Auffassung vertreten, dass es keinen Sinn habe, mit Regierungen zu reden. Das ist eine Kehrtwendung gegenüber weitgehend bisherigen Formen der Einflussnahme. Der Pakt mit dem Teufel sei deswegen zustande gekommen, weil die Vereinten Nationen zu viel Geld von der Geschäftswelt angenommen hätten. Es handelte sich um Riesensummen. Sie konnten damit die Mammutkonferenzen finanzieren. Allerdings seien sie dadurch an Vorgaben gebunden, die sich vor allem bei den NGOs gezeigt hätten, die sich gleichfalls finanzieren ließen, und dadurch auf maßgeblichen Einfluss verzichtet hätten. Naomi Klein verweist darauf, dass es in Lateinamerika eine echte Revolution gäbe, die sich gegen die Trends in Wirtschaft und Politik hinsichtlich der Umwelt zur Wehr setzten. Sie wiederholt in ihrem Interview, es sei Zeitverschwendung mit Regierungen zu reden. Sie würden von Unternehmen beherrscht. In den USA erlebten wir, so sagt sie, die völlige Verschmelzung zwischen Regierung und Geschäftswelt. Doch glaubt sie auch, die Menschen begännen langsam zu verstehen, dass sie ihren Führern nicht mehr trauen könnten.

 

2.2.4 Seattle, Genua, Porto Alegre II ...

Das Sozialforum von Genua (16./17. Juli 1991), ähnlich wie Seattle bereits wieder eher im fundamentalkritischen Gestus, war ein ungewöhnlicher Aufbruch, an dem sich 700 Organisationen beteiligt, überschattet allerdings vom Tod eines durch Polizisten verursachten Totschlags oder Mordes, wie man es nimmt. Genua ist eine Fortsetzung von Seattle (1999) gewesen. Damals hat sich die international vernetzte Antiglobalisierungsgemeinschaft erstmals deutlich zur Wehr gesetzt. Es gelang ihr wenigstens für einen Tag die Konferenz der Welthandelsorganisation zu verhindern. Das war ein großer Erfolg..

 

Dann fand im Januar/Februar 2002 das Weltsozialforum Porto Alegre II zur Weltwirtschaftskonferenz mit 60.000 Globalisierungsgegnern statt. Der Sozialwissenschaftler Claus Leggewie hat dieses Forum geradezu emphatisch beschrieben als einen neuen Anfang der Auseinandersetzung um eine neue Welt und eine neue Gesellschaft (vgl. FR vom 9.2.2002). Die Fotos aus dem Internet von dort und anderen Demonstrationsorten, etwa die von Barcelona und Sevilla haben bei mir, was selten ist, eine gewisse Euphorie ausgelöst. Vielleicht ist es ist wichtig, sich nicht nur politisch-geistig sondern auch emotional in diese Bewegung einbinden zu lassen.

 

2.2.5 Italien

Kein anderer als der Mitverfasser des berühmten Buches „Empire – Die Neue Weltordnung“ Antonio Negri formuliert es in Le Monde Diplomatique vom August 2002 sehr optimistisch. Er sieht in Italien einen unerhörten Aufbruch der Antiglobalisierungsbewegung bis hin zu den Gewerkschaften. Er beschreibt das neue Szenario von Basisaktivisten und Intellektuellen, von Lehrern und Frauen, die gegen die Linke rebellieren und gegen die Unfähigkeit ihrer politischen Repräsentanz. Die Bewegung hat den Namen „Movimento dei Girotondi“, die „Bewegung des Ringelreihens“. Sie setzt nicht mehr auf die Sozialdemokratie, umfasst Immigranten und Flüchtlinge, die verschiedensten gewerkschaftlichen und sonstigen Organisationen. Sie ist in der Lage drei Millionen Menschen auf die Straße zu bringen, um gegen Berlusconi zu demonstrieren.

 

2.2.6 PRO ASYL

PRO ASYL hat sich in diese neue Form der globalen Organisationsvernetzung begeben, indem es sich ATTAC Deutschland angeschlossen hat. ATTAC steht für einen Prozess in der Zivilgesellschaft, der auf Distanz zu den Regierungen bleibt, aber entscheidend dazu beitragen will, dass die Grund- und Menschenrechte weltweit den ihnen gebührenden Stellenwert behalten oder ihn überhaupt erst erhalten.

 

Ein eher klassischer und auf die Vereinten Nationen bezogener Zusammenschluss von Organisationen und Verbänden stellt das bundesdeutsche Menschenrechtsforum dar, mit dem PRO ASYL, vor allem Günter Burkhardt, seit Jahr und Tag zusammen arbeitet. Das Forum hat seine Forderungen für eine neue Politik an den neuen Bundestag und die neue Bundesregierung gerichtet. Es stellt der Politik 16 Aufgaben, vor allem die, die Menschenrechte nicht als eine Sonderaufgabe sonders als Querschnittsaufgabe in allen Ministerien und Ausschüssen zu betrachten. Dabei sollten auch die zuständigen Gremien der UN wie die Antifolterkommission und die Menschenrechtskommission in ihrer Arbeit unterstützt werden. Das schließt die vorbehaltlose Umsetzung der Menschenrechtskonvention und das Ausschöpfen aller Formen gewaltfreier Konfliktlösung ein. Die Bundesrepublik müsse nicht zuletzt dazu beitragen, dass die Menschenrechte niemals den Wirtschaftsinteressen untergeordnet werden, dass die Verfolgung von Minderheiten abgewendet wird und alle Minderheiten, wie Frauen, Kinder und Flüchtlinge zu ihrem Recht kommen.