(P: =
Pfarrer S: = Sprecher/in)
Lied:
"Wenn du das Ende kennst".
(L.Schwann Verlag, Düsseldorf, ams-studio
300, Seite B,Nr.5) (2'8")
Ansprache:
P:
Verehrte Hörer!
Die
Forderung des Liedes, das Sie gerade gehört
haben, "Wenn du die Wahrheit kennst, schenk
allen reinen Wein ein" scheint heute bei
vielen Christen erfüllt zu sein, die
sich befleißigen, in Sachen Glaube
eine klare und eindeutige Sprache zu führen.
Auf dem Katholikentag, der jüngst
in Trier stattfand, kam es zu bezeichnenden
Stellungnahmen. So sagte einer der Diskussionsredner
folgendes:
S:
"Häresien müssen klar als Häresien
bezeichnet werden. Jawohl, es sind zum
Beispiel im Holländischen Katechismus
Häresien verpackt, und darum müßte
klar Stellung bezogen werden. Es muß
auch heute noch Ketzerei Ketzerei genannt
werden, wie es im Spiegel-Gespräch
Kardinal Daniélou sagte. Und wenn
heute eine Kirche nicht mehr wagt zu exkommunizieren,
hat sie auch keine communio mehr!"
P:
Er meinte
damit, die Kirche müsse aus der Gemeinschaft
ausschließen können; sonst zeige
sie, daß sie selbst keine richtige
Gemeinschaft mehr sei. Bei diesen Worten
entstand unter den Teilnehmern des betreffenden
Diskussionskreises eine starke Unruhe.
Offenbar stieß die vorgetragene Meinung
auf weitgehende Ablehnung. Dennoch wäre
es unangemessen, deswegen den Ernst der
Fragestellung zu übersehen. Er kommt
vor allem in dem letzten Satz zum Ausdruck:
Eine Kirche, die es nicht mehr wagt, jemanden
ihrer Gemeinschaft zu verweisen, zeigt
damit, daß sie selbst keine Gemeinschaft
mehr ist. Wer in die Geschichte der Kirche
zurückblickt, kann unzählige
Beispiele dafür finden. Die Kirche
hat aus ihrem Selbstbewußtsein, eine
festgefügte Gemeinschaft zu sein,
das Recht und die Pflicht abgeleitet, Lehren
als Irrlehren zu benennen, und jeden, der
sie vertrat, aus ihrer Mitte zu verstoßen.
Keine Gemeinschaft, so wird man zur Begründung
dieses Vorgehens hinzufügen, kann
auf die Dauer ohne gemeinsame Überzeugungen
und feste Satzungen auskommen, selbst eine
Familie nicht. Gewohnheit oder Sympathie
genügen nicht, um eine menschliche
Gruppe zusammenzuhalten. Erst recht nicht
die Kirche, da sie auf Glaube und Offenbarung
beruht. Demnach gibt sich die Kirche als
Gemeinschaft auf, wenn in ihr keine gemeinsamen
Glaubensüberzeugungen mehr vorhanden
sind.
Was
aber stellen wir heute in der Kirche fest?
überall Diskussionen, Zweifel und
Glaubensschwierigkeiten. Viele sind deshalb
zu dem Schluß gekommen, die gemeinsame
Basis sei nicht mehr vorhanden. Wäre
es aber dann nicht ehrlicher, sich das
einzugestehen und auseinanderzugehen, als
krampfhaft eine Einheit zu beschwören,
die doch nicht mehr vorhanden ist? Nennen
wir Ketzerei wieder Ketzerei und exkommunizieren
wir die Irrlehrer. Finden wir uns im Namen
Christi damit ab, daß es auch weiterhin
in der Kirche Spaltungen gibt wie früher
auch!
Wenn
wir uns solchen Vorstellungen hingeben,
vergessen wir die besondere Situation,
in der die Christenheit steht. Seit Jahren
erleben wir, wie die einzelnen Konfessionen
danach trachten, aufeinander zuzugehen
mit dem Ziel einer künftigen Einheit.
Da wirkt es dann geradezu absurd, wenn
man sich im eigenen Haus neue Spaltungen
leisten will. Hier offenbart sich ein Widerspruch,
der alle ökumenischen Hoffnungen zu
begraben droht. Sie gründen darauf,
daß das, was eint, stärker ist,
als das, was trennt. Diesen Satz hat dieser
Tage noch der Leiter des Einheitssekretariates
Kardinal Willebrands gebraucht. Wenn das
für das Verhältnis zwischen den
Konfessionen gültig ist, dann gilt
das auch innerhalb der einzelnen Kirche.
Spaltung und Trennung sind kein Naturgesetz,
sondern das Ergebnis menschlichen Versagens.
Das zeigt sich bereits in der kleinen Christengemeinde
von Korinth, der Paulus wegen drohender
Spaltungen einen "Brandbrief" schreibt.
Darin heißt es:
S:
Ich bitte euch aber, liebe Brüder
- nein, nicht ich, Jesus Christus selbst
bittet euch -, daß ihr nicht gegeneinander
redet oder aneinander vorbei. Hütet
euch vor Spaltungen! Haltet einander fest,
sucht nach dem, was euch verbindet, nach
gemeinsamen Gedanken, gemeinsamen Entscheidungen.
Ich habe gehört, liebe Brüder,
durch die Leute aus dem Hause der Chloe,
es gebe Auseinandersetzungen unter euch.
Offenbar gibt es unter euch Leute, die
sagen: Ich halte mich an Paulus; andere,
die sagen: Ich halte mich an Apollo; wieder
andere, die sagen: Ich halte mich an Petrus;
und eine vierte Gruppe sagt gar: Ich halte
mich an Christus. Ich verstehe das nicht.
Ist denn Christus nun in Teile zerlegt?
(1 Kor 1,10-13a)
P:
Offensichtlich
war die Gemeinde von Korinth auf dem besten
Wege sich zu spalten in die verschiedensten
Bekenntnisse, die sich jeweils auf einen
anderen Namen berufen. Es klingt wie ein
Witz, daß sich eine Gruppe als "christisch"
d.h. zu Christus gehörig bezeichnet.
Auf kleinstem Raum zeichnen sich bereits
alle künftigen Kirchenspaltungen ab.
Paulus ist nicht bereit, dieser Entwicklung
freien Lauf zu lassen; denn Christus ist
nicht in Teile zerlegt. In ihm sollen und
können alle eins sein. Spaltungen
sind nach Paulus ein Beweis dafür,
daß man Christus nicht genügend
erfaßt hat. Einige Kapitel weiter
kommt Paulus noch einmal auf die Parteiungen
in der Gemeinde zu sprechen und zwar im
Zusammenhang mit der Feier des Brotbrechens:
S:
Noch eine weitere Sache muß geklärt
werden. Ich habe kein Lob übrig für
die Art, wie eure Zusammenkünfte sich
abspielen, denn sie zerstören in eurer
Gemeinschaft offenbar mehr, als sie Segen
bringen. Erstens: Ich höre, bei euren
Versammlungen zeige sich, daß ihr
in Parteien seid, und zum Teil glaube ich
es wirklich. Natürlich, es geht ja
nicht anders! Es müssen sich ja Klüngel
unter euch bilden, wie sollten sonst genug
bedeutende Leute Gelegenheit haben, eine
Rolle zu spielen? Es ist da weiter kein
Wunder, daß ihr hei euren Zusammenkünften
kein Liebesmahl des Herrn mehr feiert,
jedenfalls keins, das diesen Namen verdient.
Da setzt sich jeder vor sein eigenes Essen,
das er sich mitgebracht hat. Der eine hat
nichts und hungert, der andere hat alles
und ißt und trinkt sich voll... Ist
euch die Gemeinschaft der Kirche Gottes
nichts mehr wert, daß ihr die Ärmeren
unter euch so beschämt? (1
Kor 11, 17-22a)
P:
Eben
noch hat es ausgesehen, als bestünden
große dogmatische Auseinandersetzungen,
die auf eine Scheidung der Geister hinauslaufen
mußten; jetzt deckt Paulus den für
die Spannungen entscheidenden Grund auf.
Die Christen in Korinth zeigen nicht genügend
Bereitschaft zur Solidarität. Die
Vornehmen suchen sich in den Vordergrund
zu spielen, die Reichen übersehen
die Armen. Jeder ist bestrebt zuerst für
sich zu sorgen. Damit ist die Einheit der
Christengemeinde an der Wurzel getroffen.
Für unseren Zusammenhang ist wichtig,
daß sich die Spaltung nicht an den
Fragen entzündet, wie das Herrenmahl
richtig zu verstehen ist, oder wie es liturgisch
gültig abläuft. Paulus erwähnt
zwar den Verlauf der Feier, aber nichts
läßt darauf schließen,
daß in der Gemeinde darüber
debattiert wurde, wie etwa die Gegenwart
Christi zu verstehen sei. Das ist ein deutliches
Beispiel dafür, wie sehr menschliche
Schuld für jede Spaltung verantwortlich
ist. Wo die gegenseitige Verbundenheit
brüchig geworden ist, werden Meinungsverschiedenheiten
bald unüberbrückbar. Fast möchte
man meinen, daß die Christen nur
deswegen getrennt sind, weil sie nicht
eins sein wollen. Das widerspricht aber
der Solidarität, die Christus zwischen
uns hergestellt hat. Wo diese Solidarität
ernst genommen wird, gehen Christen nicht
so leicht auseinander.
(Musik)
P:
Verehrte Hörer!
Ein Solidaritätsbeweis,
der bis an die Grenzen des dogmatisch Vertretbaren
geht, ja vielleicht sogar weit darüber
hinaus, ist in dem Roman von Richard
Kim "Die Märtyrer" geschildert.
Während des Koreakrieges hat ein Nachrichtenoffizier
der südkoreanischen Armee einen Pfarrer
kennengelernt, der bei seiner stark dezimierten
Gemeinde ausharrt. Angesichts des Leidens
seines Volkes meint er den Glauben an Gott
verloren zu haben. In dem entscheidenden
Gespräch, das die beiden miteinander
führen, gesteht der von einer tödlichen
Krankheit gezeichnete Pfarrer flüsternd:
S:
"Mein ganzes Leben lang habe ich Gott gesucht,
Hauptmann Lee, aber ich fand nur den Menschen
mit allen seinen Leiden...und den Tod, den
unerbittlichen Tod"
"Und nach dem
Tod?"
"Nichts! "flüsterte
er. "Nichts!"
Die versengende
Glut in seinem bleichen Gesicht war herzzerreißend.
"Helfen Sie mir! Helfen Sie mir, mein Volk
zu lieben, mein armes, leidendes Volk,
von Kriegen gequält, hungrig, frierend,
krank und lebensmüde!" rief er. "Helfen
Sie mir! Das Leiden nimmt ihnen Hoffnung
und Glauben und stößt die hilflos
Treibenden in ein Meer von Verzweiflung!
Wir müssen ihnen ein Licht zeigen,
ihnen sagen, daß ein herrliches Willkommen
ihrer wartet, ihnen versichern, daß
sie triumphieren werden im ewigen Reich
Gottes!"
"Um ihnen die
Illusion der Hoffnung zu geben? Die Illusion
vom Leben über das Grab hinaus?"
"Ja, ja! Weil
sie Menschen sind. Verzweiflung ist die
Krankheit dieser Menschen, die des Lebens
müde sind, des Lebens hier und jetzt,
das erfüllt ist von sinnlosem Leiden.
Wir müssen die Verzweiflung bekämpfen,
wir müssen sie zerstören und
nicht zulassen, daß die Krankheit
Verzweiflung das Leben des Menschen aushöhlt
und eine bloße Vogelscheuche aus
ihm macht."
"Und Sie? Was
ist mit Ihnen? Was ist mit Ihrer Verzweiflung?"
"Sie ist mein
Kreuz!" sagte er, "ich muß es allein
tragen."
P:
Wie sollen
wir dieses Bekenntnis eines Pfarrers dogmatisch
einordnen? Ist er ein Atheist, weil er
Gott nicht gefunden hat, sondern nur den
leidenden Menschen? Hat er überhaupt
noch das Recht, sich Pfarrer zu nennen
und vor seine Gemeinde zu treten? Oder
ist er gar in seinem unerschütterlichen
Stehen zur Gemeinde, der er ein Zeichen
der Hoffnung sein möchte, der Bruder
Christi? Von ihm sind die unerhörten
. Worte der Todesstunde überliefert:
"Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Mit diesem Wort haben sich Theologen wie
Laien schon immer schwer getan. Wenn Jesus
Gottes Sohn ist - wie soll man dann diesen
Schrei verstehen? Daß Jesus, nicht
nur von diesem Wort her, für Theologie
und Kirche eine Art beunruhigender Ketzer
bleibt, kann man heute bisweilen hören
und lesen. Sein Wesen läßt sich
nicht mit Formeln einfangen. So kann es
auch unangebracht sein, mit Menschen dogmatisch
rechten zu wollen, die ganz von ihm erfaßt
sind. Eine weitere Szene aus dem Roman
unterstreicht dies:
S:
Ich saß eine Weile an Pfarrer Shins
Bett, dann ging ich zu meinem Lager und
legte mich angezogen nieder, schlafen konnte
ich nicht. Einige Zeit später hörte
ich Pfarrer Shins leise, heisere Stimme
nach mit rufen und ging zu ihm. "Falls
mir etwas zustoßen sollte, wollen
Sie dann für mich beten?"
Im ersten Moment
wußte ich nicht, was ich sagen sollte..
"Haben Sie jemals gebetet?" fragte er.
"Zum Christengott?" sagte ich. "Ja, als
Kind."
"Das genügt",
sagte er. "Vielleicht hört er Ihre
Stimme."
"Ich will es versuchen", sagte ich. Ich
wußte nicht, was ich sonst hätte
sagen können.
P:
Nicht wenige
Christen stehen in einem ähnlichen
Konflikt wie der koreanische Pfarrer. Für
sie ist Gott, ein Leben nach dem Tode zur
großen Frage geworden. Mit ihr hängen
viele Vorstellungen zusammen, die dem geistigen
Horizont zu entgleiten drohen. Sollen sich
die früheren Überzeugungen halten,
so müssen sie ganz neu erarbeitet
werden. Unbeschadet dieser Wandlungen,
sind die meisten der so beunruhigten Christen
der Auffassung, daß das Christentum
über einen festen Kern verfügt.
Er übersteht jeden Einschmelzungsprozeß,
ja er geht strahlender und wirkmächtiger
daraus hervor.
Wer
sich in diesem Prozeß der Unsicherheit
und des Fragens befindet, darf sich nicht
vorzeitig auf irgendwelche angesonnenen
Glaubenspositionen retten. Sie verleihen
in diesem Fall nur eine Scheinsicherheit.
Vor allem ist es unstatthaft, dem ehrlichen
Zweifler gegenüber auf ein umfassendes
und eindeutiges Glaubensbekenntnis zu pochen.
Eine jetzt herausgegebene
Handreichung für
den kirchlichen Dienst geht auf
diese Schwierigkeiten ein. Dort wird so
etwas wie ein christliches Grundprogramm
folgendermaßen formuliert:
S:
"Wer ... glaubend überzeugt ist
und, so gut er es vermag, daraus zu leben
versucht, daß ihm in Jesus Christus
Gottes Liebe und Friede endgültig
geschenkt werden, so daß er für
sich und alle anderen Menschen auch gegen
die Macht des Todes Hoffnung haben darf,
der ist ein Christ..."
P:
Das wird
als ein fundamentaler Glaube bezeichnet,
der noch wachsen und sich entfalten kann.
Mancher mag das als ein Minimalprogramm
bezeichnen. Aber er wird nicht leugnen
können, daß damit auf die Mitte
des Glaubens verwiesen ist. Sie besteht
nicht aus abstrakten Wahrheiten, sondern
ist die Person Jesu Christi. Durch ihn
sind die Liebe und der Friede, bezeichnet
als Liebe und Friede Gottes, in der Welt
unzerstörbar anwesend. Von ihm kommt
eine Hoffnung, die die Resignation angesichts
des Todes überwindet. Sicher, es ist
ein Minimalprogramm, das ganze Bibliotheken
und ein Heer von Theologen überflüssig
macht. Hier ist aber das, was eben als
unzerstörbarer Kern bezeichnet wurde;
Liebe, Friede, Hoffnung! Wer hiermit in
unserer Welt etwas anzufangen weiß,
ist entweder ein Phantast oder ein Gläubiger!
Gebet:
P:
Lobet den Herren, alle Völker! Preiset
den Herren,
alle Welt; Denn seine Güte
und seine Treue
verläßt uns nicht in Ewigkeit.
Brich auf die Schale unseres Christentums
und
triff den Kern.
Ganz nahe
deinem Herzen steht der Mensch,
der dich nicht kennt.
Was spielen wir den Fremdenführer,
der deine Wege überblickt,
den Fremden unterstützt und lenkt?
Du bist der
Herrscher dieser ganzen Welt,
und dein Reich kommt.
Wir drehen uns in engen Kreisen,
wir sorgen uns um den Bestand
und blicken hinter uns zurück.
Brich auf die Schale,
triff den Kern,
Herr, sende uns.
Lobet den Herren alle Völker!
Preiset den Herrn, alle Welt.
Lied:
"Lobet den Herrn"
(Platte ams-studio 15017) (4'55")
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