Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1973

27. Februar 1973
HESSISCHER RUNDFUNK
Kirche: Wohnungen und Gleichberechtigung für Ausländer
Interview von Karl-Heinz Send mit Herbert Leuninger

INHALT

Die Kirche unterstreicht mit einem Bauprogramm ihre Forderung nach geeignetem Wohnraum für Ausländer. Sie selbst muß innerhalb ihrer Strukturen Gleichberechtigung verwirklichen.


Hess. Rundfunk:
Karl-Heinz Send sprach mit Pfr. Herbert Leuninger, dem Referenten für kirchliche Ausländerarbeit im Bistum Limburg. Der aktuelle Anlaß dieses Gesprächs war die Übergabe von Wohnungen an Ausländer, die aus kirchlichen Mitteln finanziert wurden.

Hess. Rundfunk:
58 Ausländerwohnungen, ein Bauprogramm, daß gerade eben in Limburg fertiggestellt worden ist. Herr Pfr. Leuninger, 58 Wohnungen, das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn ich das so sagen darf.

Leuninger:
Es ist sicher nur ein bescheidener Beitrag, den das Bistum Limburg für dieses Problem leisten kann. Wichtig daran ist nicht nur die Tatsache, daß die Diözese damit versucht, den Ausländern auch neuerstellten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und nicht nur alte Häuser und Baracken, sondern auch die Tatsache, daß damit die Forderung der Kirche unterstrichen wird, den Ausländern genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Hess. Rundfunk:
Dieser Wohnraum, der Altbau und der Neubau, ist noch viel zu teuer, insbesondere gerade für Ausländer.

Leuninger:
Ich habe mich dieser Tage noch mit Deutschen unterhalten, die Einsicht in die Verhältnisse haben, und die davon sprechen konnten, daß Mieten ‚wo für den qm DM 10, bezahlt werden, tatsächlich keine Seltenheit sind.

Hess. Rundfunk:
10 Mark und zum Teil sogar bis zu 30 Mark! Herr Pfr. Leuninger, können Sie hier eingreifen?

Leuninger:
Direkt können wir hier nicht eingreifen. Wir könnten aber die Gemeinden dazu anhalten, daß sie konkrete Fälle des Mietwuchers aufgreifen. Das hat dieser Tage bei der Einweihung des neuerbauten Hauses in Limburg Weihbischof Kampe noch eigens unterstrichen.

Hess. Rundfunk:
Wie groß ist eigentlich der Ausländeranteil innerhalb der Diözese Limburg?

Leuninger:
Es ist sehr schwer, genaue Zahlen anzugeben. Aber durch Hochrechnungen, die wir angestellt haben, glauben wir, eine Zahl von 120 000 angeben zu können. Das sind etwa 10 - 12 % der gesamten Katholiken des Bistums Limburg.

Hess. Rundfunk:
Wo sehen Sie die wesentlichen Probleme, Herr Pfr. Leuninger, innerhalb Ihres Arbeitsbereiches?

Leuninger:
Es gibt zwei Probleme. Das eine Problem besteht darin, daß den Ausländern und zwar auch den ausländischen Priestern und Sozialarbeitern, die entsprechenden Möglichkeiten geboten werden, um ihre Arbeit fruchtbringend leisten zu können. Es muß weiterhin sichergestellt werden, daß die ausländischen Katholiken mit ihren Einrichtungen den deutschen Gemeinden gleichgestellt werden, und daß sie sich als vollwertige Partner innerhalb der deutschen Kirche fühlen.

Hess. Rundfunk:
ich glaube, davon sind wir noch ein ganzes Stück weg, Herr Pfr. Leuninger. Wenn man so die einzelnen Sprecher der ausländischen Missionen hört, dann wird immer wieder die Klage laut über Überheblichkeit gegenüber den ausländischen Minderheiten seitens vieler deutscher katholischer Kirchenfunktionäre. Stimmt das?

Leuninger:
Ich sehe es als eine wichtige Aufgabe an, den Ausländern das Gefühl zu nehmen, daß sie als zweitrangig angesehen werden. Ich möchte versuchen, sie bei allen Entscheidungsprozessen mit einzubeziehen. Ein erster Schritt dazu ist sicher die Bildung von Beiräten, die den deutschen Pfarrgemeinderäten gleichgestellt werden.

Hess. Rundfunk:
Wichtig scheint mir unter anderem auch die Zurverfiigungstellung von Gemeindesälen und nicht nur von Kirchenräumen.

Leuninger:
Das Raumproblem ist differenziert zu betrachten. Zweifellos stehen den Ausländern ohne weiteres Kirchenräume zur Verfügung. Aber sehr schwierig wird es bereits, wenn es darum geht, regelmäßig und ständig über Räume in deutschen Gemeindehäusern zu verfügen.

Hess. Rundfunk:
Aber sie zahlen döch ihre Kirchensteuern?

Leuninger:
Ja, und deswegen muß auch alles unternommen werden, daß sie, wenn sie nicht in deutschen Räumen aufgenommen werden, eigene Räumlichkeiten bekommen. Wenn ihnen eigene Raume geboten werden, dann nicht zuletzt deswegen, damit sie sich dort. heimisch fühlen und auch selbst über die Gestaltung des Programms bestimmen können.

Hess. Rundfunk:
Lassen Sie mich zum Abschluß noch fragen, Herr Pfr. Leuninger, wo sind in aller nächster Zukunft die wichtigsten Aufgaben?

Leuninger:
Die wichtigste Aufgabe sehe ich darin, zu verhindern, daß gesellschaftspolitisch die Integration der Ausländer in Deutschland gestoppt und zum Rotationsprinzip übergegangen wird.

Hess. Rundfunk:
Glauben Sie, daß hier der etwas schwerfällige Kirchenapparat mitziehen wird?

Leuninger:
Ich gebe hier der Kirche gewisse Chancen, vor allem dann, wenn sich die Sensibilität für diese Fragen auf der Ebene der Gemeinden verstärkt.