Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1974

Kirche und Arbeitslosigkeit ausländischer Arbeitnehmer

BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

6250 Limburg, 21.11.1974
Az. 9229/...- K - Lg

An alle
Herren Seelsorgsgeistlichen,
Gemeindeassistentinnen/
-assistenten

im Bistum Limburg

 

Betr.:
Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen

Sehr geehrter Herr Pfarrer, sehr geehrte Damen und Herren!

Die wachsende Arbeitslosigkeit, die für jeden von ihr Betroffenen - sei er Deutscher oder Nicht-Deutscher - eine große menschliche Belastung darstellt, verändert in der Öffentlichkeit das Klima gegenüber den ausländischen Arbeitern. Sie werden in stärkerem Umfang entlassen als Deutsche.

Ungünstig für die ausländischen Arbeiter wirkt es sich aus, daß die Arbeitsämter angewiesen werden, die Bestimmungen über die Ausländerbeschäftigung streng anzuwenden. Das kann sich dahingehend auswirken, daß ein ausländischer Arbeiter zugunsten eines deutschen Arbeitslosen seinen Arbeitsplatz verliert.

Für viele Ausländer bedeutet dies, daß sie nicht nur in ihre Heimat zurückkehren müssen, sondern daß ihnen auch auf Jahre hinaus die Hoffnung genommen ist, in der Heimat oder hier einen Arbeitsplatz zu finden. Bei ihren Kindern wird ein Ausbildungsgang unterbrochen; dieses wird große nachteilige Folgen für die Zukunft dieser jungen Menschen haben.

Die Bundesregierung glaubt durch ihre Maßnahmen den legitimen Wünschen der deutschen Gesellschaft zu entsprechen. Damit könnte aber genau das eintreten, was die Gemeinsame Synode befürchtete, wenn sie sich dagegen wandte, daß Menschen als Waren behandelt werden, die dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterstehen (vgl. "Die ausländischen Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft". Amtsblatt 4/74, Nr. 46, S. 241 f).

Die Ausländer leiden sehr unter dieser Einschätzung und Behandlung. Zusätzlich fühlen sie sich dadurch diskriminiert, daß die neue Kindergeldregelung für ihre Kinder in der Heimat wesentlich geringere Beträge vorsieht, als für ihre hier lebenden Kinder.

So wird von ihrer Seite immer häufiger die Frage gestellt: Sind wir Menschen zweiter Klasse?

In dieser Lage sind diese Menschen, die politisch keinen Einfluß haben, darauf angewiesen, daß sich die Kirche - wie es die Synode fordert - als Anwalt ihrer Gleichberechtigung einsetzt.

Daher möchte ich Sie bitten, Ihre Gemeinde über die große menschliche Problematik der Arbeitslosigkeit überhaupt wie die der Ausländer im besonderen zu informieren, und mit dem Pfarrgemeinderat zu überlegen, welches Zeichen der Verbundenheit mit den Ausländern gesetzt werden könnte.

Es muß vermieden werden, daß die augenblickliche wirtschaftliche Krise gerade auch auf dem Rücken dieser schwachen Bevölkerungsgruppe bewältigt wird.

Mit freundlichen Grüßen
i.V.
E. Leuninger

(Anmerkung: Ernst Leuninger vertrat in diesem Fall den Dezernenten des Dezernates Kirchliche Dienste)