INTERNATIONALE KATHOLISCHE KOMMISSION
FÜR WANDERUNGSFRAGEN (CCMIE)
40. CCMIE-Tagung vom 27.-29. November 1979 in den Räumen des Europarates
in Straßburg
"DIE 2. GENERATION DER EINWANDERER IN EUROPA"
Fragebogen zur Vorbereitung der Tagung
DIE FRAGE NACH DER KULTURELLEN, SOZIALEN UND RELIGIÖSEN IDENTITÄT
DER IN EUROPA GEBORENEN JUGENDLICHEN AUSGEWANDERTER ARBEITNEHMER.
Antworten zu einigen Fragen
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2. |
Welche sind auf der Ebene
der Schule die wichtigsten Probleme der zweiten Generation ? |
2.1 |
Das Erlernen der
Sprache des Aufnahmelandes?
Kinder, die im Kindergarten gemeinsam mit deutschen Kindern aufwachsen, erlernen die deutsche
Sprache ohne besondere Schwierigkeiten.
Allerdings besuchen derzeit höchstens 40-50% der betroffenen nichtdeutschen Kinder eine
vorschulische Einrichtung.
Das im Kindergarten erworbene Sprachvermögen wird indes nur dann zu einem Habitus, wenn
das Kind weiterhin in einer Umgebung lebt, in der deutsch vorwiegend Kommunikationssprache ist.
Auch muß gewährleistet sein, daß das Kind außerschulisch gefördert
wird. Alle Formen der Ghettoisierung verhindern eine ausreichende Sprachkompetenz.
Das Erlernen der deutschen Sprache im späteren Alter und nur über Schulunterricht
wird nur noch von einer Minderheit geleistet. |
2.2.1 |
Bikultureller, bzw. bilingualer
Unterricht
Ein bilingualer Unterricht, der nicht in national zusammengesetzten Klassen erteilt wird und
einen integrierten Zusatzunterricht in der Muttersprache beinhaltet, ist sicher - vornehmlich
für die zweite Generation - von großer Bedeutung.
Es setzt voraus, daß der muttersprachliche Unterricht keine Beeinträchtigung der
Teilnahme am übrigen Unterricht bedeutet, keine zu starke Belastung des Schülers darstellt,
in den übrigen Unterricht eingebaut ist, nach den gleichen pädagogischen Grundsätzen
erteilt wird und obligatorischen Charakter hat. Auch muß er von der deutschen Schulbehörde
finanziert und verantwortet werden.
Das deutsche Schulsystem hat hierzu noch keine Lösung gefunden, zumal die organisatorischen,
inhaltlichen, ausländerpolitischen und schulpolitischen Fragen der Dauerintegration nicht
geklärt sind. Die Erteilung des muttersprachlichen Unterrichts zur Rückkehrförderung
stört die Identitätsfindung des jungen Einwanderers empfindlich. Andererseits ist der
unreflektierte Assimilierungsdruck auf diesen zu groß. |
2.2.2 |
Rolle der Eltern hierbei
Eltern, die mit ihrer eigenen Integrationsproblematik nicht fertig werden, und dies dürfte
der größere Teil sein, sind naturgemäß sehr stark an einem muttersprachlichen
Unterricht interessiert. Bei einer qualifizierten Minderheit (Griechen, Italiener) überwiegt
das Interesse am vorwiegend nationalsprachlichen Unterricht, bei dem die deutsche Sprache als
Fremdsprache hinzukommen soll.
Stark integrierte Eltern, wiederum eine Minderheit, der eine gewisse Aufsteigermentalität
eigen ist, sehen im muttersprachlichen Unterricht eine unnötige, zusätzliche Belastung
ihrer Kinder.
Das Gros der Eltern steht schulischen Fragen so hilflos gegenüber, daß sie bereits
mit der Entscheidung, ob muttersprachlicher Unterricht oder nicht, überfordert werden. |
2.3 |
Beziehungen
der Jugendlichen untereinander
Am besten - wenn auch keineswegs unproblematisch sind die Beziehungen unter Jugendlichen verschiedener
Nationalität dort, wo sie im Erziehungssystem gemeinsam gefördert werden. Dabei kann
aber eine Art "Hackordnung" festgestellt werden, die der Einstufungsskala des Aufnahmelandes entspricht,
oder durch die Geschichte spannungsreicher Beziehungen zwischen zwei bestimmten Nationalitäten
geprägt wird.
Der Druck auf eine undifferenzierte Angleichung an das deutsche Verhaltensmuster läßt
beim Zusammenleben multiethnischer Jugend bislang noch keinen genügenden Respekt vor den
Besonderheiten und Werten anderer Nationalitäten wachsen. |
2.4 |
Überlieferung
von Heimatkultur und Muttersprache
Dialekt und Herkunft aus agrarischen Regionen lassen die Heranführung an Hochsprache und
urban geprägte Hochkultur des Heimatlandes zu einer höchst schwierigen und bei den mangelnden
Voraussetzungen, die die deutsche Schule hierfür bietet, fast nicht leistbaren Aufgabe werden.
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2.4.1 |
Da die Jugendlichen anderer nationaler Herkunft
dem Anpassungsdruck der deutschen Gesellschaft nachgeben müssen, sind sie von sich aus nicht
ohne weiteres motiviert, ihre nationale Identität zu kultivier. Viel wichtiger erscheint
es ihnen normalerweise, nicht als "anders" aufzufallen. Das schließt nicht aus, daß
sie immer wieder der Schutz der nationalen Gruppe suchen und brauchen. Sie leben aber keinesfalls
mit dem Gefühl, die Aufnahmegesellschaft mit eigenen Werten bereichern zu können. -
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2.4.2 |
Rückkehrgedanken
Hier besteht bei den Jugendlichen, insofern sie in der Heimat der Eltern geboren und aufgewachsen
ein ambivalentes Verhältnis zur Heimat. Sie erfahren sich im Urlaub dort als Fremde, erkennen
aber den dortigen Lebensstil als den ihnen gemäßeren. Die familiale Sozialisation verstärkt
das Gefühl, eigentlich nicht hierher zu gehören. Dennoch sind sie halbe Deutsche, die
aber in der Bundesrepublik nicht als Deutsche anerkannt werden. |
2.5 |
Verhältnis Eltern-Schule
Hier besteht größte Distanz. Sie könnte am besten durch intensive Elternarbeit
im Kindergartenbereich abgebaut werden. Bei Elternversammlungen erfahren sich ausländische
Eltern immer als Minderheit, die sprachlich nicht mithalten kann. Wenn Elternarbeit, dann auch
unter nationalitätenspezifischen Gesichtspunkten! |
2.6 |
Berufswahl
Nach Feststellung der Arbeitsämter gleicht sich das Berufswahlverhalten der nichtdeutschen
Jugendlichen mit zunehmender Aufenthaltsdauer dem der deutschen an. Sie bevorzugen ebenso wie
die Deutschen bestimmte Berufe. Allerdings ist die Bandbreite der Berufe dabei noch enger als
bei deutschen Jugendlichen. Im Gegensatz zu deutschen Jugendlichen gelten die nichtdeutschen als
wenig flexibel, wenn sich ihre Berufswünsche nicht realisieren lassen.
Die Konkurrenz der deutschen Jugendlichen in den begehrten Berufen und der Vorrang der Deutschen
und ihnen Gleichgestellten auf dem Arbeitsmarkt, mangelnde Deutschkenntnisse und überhaupt
Vorurteile gegenüber Ausländern sind große Hindernisse für die berufliche
Eingliederung.
Ausländer stellen etwa 1,7% der Auszubildenden, obwohl sie 10% der Abgänger von Haupt-
und Realschulen ausmachen. |
3 |
Probleme zwischen
Eltern und Kindern |
3.1 |
Infolge der starken Familienbindung der Jugendlichen
anderer Muttersprache wirkt sich der Einfluß der Eltern stärker auf die Berufswahl
der Kinder aus als bei deutschen Jugendlichen. Die Vorstellungen der Eltern vom künftigen
Status der Kinder auch im Heimatland und die wirtschaftlichen Notwendigkeiten (Beitrag der Jugendlichen
zum umfassenden auf Rückkehr eingestellten Sparziel der Familie) prägen großenteils
die Entscheidung. Das gilt vor allem auch für die Mädchen, die einem traditionellen
Rollenverständnis subsumiert werden. Das führt alles zusammengenommen immer noch häufig
zu Entscheidungen gegen den Besuch einer (weiterführenden) Schule oder einer beruflichen
Ausbildung. |
5 |
Freizeigestaltung
und kulturelles Leben |
5.1 |
Es gibt in Großstädten Jugendclubs,
die ausdrücklich der "internationalen" Begegnung dienen. Erfahrungsgemäß ist es
äußerst schwierig, eine Balance in der Zusammensetzung der Besucher zu erreichen, so
daß sich weder die Deutschen noch die Nichtdeutschen von der jeweils anderen Seite dominiert
fühlen. Wenn dies eintritt, führt dies zum Wegbleiben der sich als Minderheit fühlenden
Gruppe.
Das Bedürfnis der Jugendlichen der 2. Generation, unter sich zu sein, ist noch
sehr stark ausgeprägt und dürfte mit der erfahrenen Zurückweisung durch die Aufnahmegesellschaft
und unterschiedlichen Sozialisationsstrukturen zusammenhängen. Dieses Bedürfnis zeigt
sich auch bei Jugendlichen die schulisch integriert waren. Dem Bedürfnis nach
nationaler Identität kommen eigene kulturelle, kirchliche und sportliche Einrichtungen und
Vereine vielfach entgegen. Eine Öffnung dieser Einrichtungen auf Deutsche und Angehörige
anderer Nationalität hin gelingt kaum. |
6 |
Politik |
6.1 |
In Politik und Gesellschaft zeichnet sich
ein Einstellungswandel gegenüber der 2. Generation ab, insofern mittlerweile vom Daueraufenthalt
dieses Bevölkerungsteils ausgegangen wird, und die vorhandenen und befürchteten
Defizite mangelnder Integration immer mehr ins Bewußtsein treten. Die zur Behebung dieser
Mängel in Aussicht genommenen Maßnahmen sind quantitativ und qualitativ völlig
unzureichend.
Besonders hinderlich für eine nachhaltige Verbesserung der Lage der zweiten
Generation ist deren Einschätzung als "soziale Zeitbombe". Hiermit werden eher
Abwehrhaltungen fixiert und gefördert, als Kräfte zur Integration geweckt.
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