Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1983

Die Türken vor Wien und in Berlin
Parallelen zwischen 1683 und 1983 wären gefährlich

(s.a. Präsentation 2005)

INHALT
Die begründeten Ängste von damals gehen eine Verbindung ein mit Ängsten von heute. Tief in der Volksseele scheinen noch nach Jahrhunderten Gefühle zu schlummern, als hätten wir damals unter den Belagerten von Wien gelebt und die Fahne des Propheten über den Janitscharen flattern sehen, die das christliche Europa für den Islam erobern wollten.


'Die Türken sind da!' Tausendfach gellte der Schreckensruf im Juli 1683 durch Wien. Unaufhaltsam hatte sich das Heer des türkischen Großwesirs Kara Mustafa auf die Reichs- und Residenzstaat zugewälzt. Am Morgen des 14. Juli 1683 war der Unterhändler des Großwesirs Delibasi Ahmest Aga vor die Stadtmauer geritten, um das Ultimatum zu stellen: "Entweder Islam oder Tribut!"

Die Stadt wollte weder das eine noch das andere. So wurde sie belagert. Nach zwei Monaten, am 12. September, brach ein Entsatzheer Königs Sobieckis von Polen und alliierter Verbände des Herzogs Karl von Lothringen aus den Wäldern des Kahlenbergs und jagte das türkische Heer des Großwesirs in die Flucht. Wien war gerettet! Europa atmete auf.

Erneut hallt ein Alarmruf durch unser Land: "Die Türken stehen nicht mehr vor Wien. Sie leben mitten in Berlin!" Er kommt nicht nur aus dem Munde von Biertischstrategen oder Rednern rechtsextremer Versammlungen. Er findet sich nicht nur in anonymen Briefen oder auf fremdenfeindlichen Flugblättern. Verbreitet wird er auch in einer Zeitung von Weltrang und auf den Seiten des Buches eines unserer angesehensten Politiker.

Der eingängige Spruch von den Türken vor Wien und in Berlin stellt eine Verbindung zwischen einem Ereignis vor 300 Jahren und einem heutigen Geschehen her. Dabei wird unterschwellig die kriegerische Ausbreitung des osmanischen Reiches mit der Anwesenheit von Menschen aus dem früheren Kernland dieses Reiches in Berlin und in der Bundesrepublik verglichen.
Als gäbe es eine Gemeinsamkeit zwischen den Invasionsgelüsten eines Sultans und dem Bestreben türkischer Arbeiter, in der Bundesrepublik den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen.

Der Vergleich ist absurd. Er ist aber auch gefährlich, weil er Vorstellungen und Ängste weckt, die Widerstand und Abwehr mobilisieren. Die begründeten Ängste von damals gehen eine Verbindung ein mit Ängsten von heute. Tief in der Volksseele scheinen noch nach Jahrhunderten Gefühle zu schlummern, als hätten wir damals unter den Belagerten von Wien gelebt und die Fahne des Propheten über den Janitscharen flattern sehen, die das christliche Europa für den Islam erobern wollten. Aber, was hat das mit der Realität von heute zu tun? Die Bundesrepublik zahlt, damit die Türkei uns beschützt. Und der wiedererwachende Islam? Ist er nicht drauf und dran, das Christentum zu zerstören? Sind die Türken in Berlin, München und Stuttgart nicht seine Vorboten, seine fünfte Kolonne? Da werden unversehens wehrlose, friedliche Menschen zu möglichen Aggressoren. Verstaubte Feindbilder kann man aufpolieren. Kreuzzugsgeist will geweckt werden. Rückkehrprämien lassen sich als Hilfen zur Rettung der Christenheit einsetzen. Abdrängung wird ein christliches Gebot der Stunde. Und das soll alles in so einem leicht hingesagten Sätzchen von den Türken vor Wien und in Berlin stecken?


Bei einer Audienz stellte der brasilianische Erzbischof Helder Camara Johannes XXIII. seine sozialen Projekte vor. Als er eines als den "Kreuzzug des hl. Sebastian" benannte, unterbrach ihn der Papst mit der Bemerkung, die Bezeichnung „Kreuzzug“ sei nicht glücklich, da sie auf die Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge anspiele, die einen Graben zwischen uns und den Muslimen ausgehoben haben, der nur sehr schwer zuzuschütten sei.

Johannes XXIII. sprach hier als Experte mit einem besonderen Sprachgefühl für die Untertöne eines Wortes, Untertöne, wie sie noch nach Jahrhunderten mitschwingen und herausgehört werden. Schließlich war er ab 1934 für zehn Jahre Apostolischer Delegat in der Türkei. Vielleicht war aber für ihn noch entscheidender, daß das durch ihn einberufene Konzil ein neues Verhältnis zwischen Christentum und Islam gewonnen hatte, ein Verhältnis des Dialogs, der Annäherung und der Zusammenarbeit. Das muß sich nicht nur auf das Denken, sondern auch auf die Gefühle und nicht zuletzt auf die Sprache auswirken.

Diese vom Konzil vorgegebene Linie verfolgt Johannes Paul II. konsequent. So lässt er auf seinen Reisen in Ländern, in denen islamische Gläubige leben, keine Gelegenheit aus, sich ausdrücklich an sie zu wenden. 1980 in Mainz begrüßte er sie betont herzlich und reihte sie ein in die Pilgerschar von Menschen, die seit Abraham immer wieder aufgebrochen sind, um den wahren Gott zu suchen und zu finden. Sein Aufruf an sie: Lebt euren Glauben auch in der Fremde!

Auch dem Sieger von Wien, König Jan III. Sobiecki hat der Papst auf seiner letzten Reise in Warschau Reverenz erwiesen.
Der Sieger vom Kahlenberg hatte seinen militärischen Erfolg Gott zugeschrieben. Der Papst nahm dies zum Anlaß, von moralischen Siegen zu sprechen, von Siegen über die Fesseln der eigenen Freiheit. Also kein geistliches Säbelrasseln gegen den Islam, erst recht nicht gegen islamische Minderheiten; die sind in Polen auch wohl kaum vertreten.

Das wird anders sein, wenn Johannes Paul II. vom 10. bis 13. September nach Österreich reist, um dem dort begangenen „Türkenjahr“ besonders Rechnung zu tragen. Auch dort gibt es an den Mauern Parolen: "Rette dein Volk - Ausländer raus!", versehen mit den Jahreszahlen 1683-1983. Wien weist unter seiner Bevölkerung über 30.000 türkische Kinder, Frauen und Männer auf. Der während des Papstbesuchs stattfindende österreichische Katholikentag wird sich auch diesen Fragen stellen. Und dies umso mehr, als der 250. Jahrestag des Sieges über die Türken ins Jahr der Machtübernahme Hitlers fiel und Österreichs Katholiken durchaus Bestrebungen kannten, den nationalistischen Tönen Hitlers gegenüber aufgeschlossen zu sein.

In das Besuchsprogramm des Papstes ist eine Andacht auf dem Kahlenberg, dem Hausberg der Wiener, eingebaut.
Der Papst wird sicher zum Verhältnis Kirche und Islam etwas Grundsätzliches sagen, was ängstliche Gemüter nicht unbedingt beruhigt, ihnen aber die Rechtfertigung nimmt, das Kreuz als Feldzeichen gegen die Türken in Wien und Berlin aufzupflanzen.