Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1988

HESSISCHER RUNFUNK
Ulrike Holler
1988

Kirchenasyl

Christenpflicht sei es, sagte der Berliner Altbischof Scharf, Flüchtlinge zu verstecken, wenn diese in Kriegs- oder Krisengebiete abgeschoben werden sollen. Das Leben der Menschen sei wichtiger als die herrschenden Gesetze.

Ein wichtiger Satz für den Frankfurter Pfarrer Frieder Stichler, der in seiner Wohnung und im Gemeindehaus Kirchenasyl gewährte, so wie es in Amerika und in der Schweiz schon länger Tradition ist.

Der Frankfurter Flughafen liegt im Einzugsbereich seiner Gemeinde. Immer wieder hatte er zusammen mit dem Kirchenvorstand sich um das Schicksal der dort gestrandeten Flüchtlinge gekümmert oder um jene Menschen, die gegen ihren Willen wieder zurückfliegen mußten nach Beirut und oftmals direkt nach der Ankunft dort, gefangen, gefoltert oder erschossen wurden.

Es war gegen Weihnachten, als der Flughafensozialdienst anrief und um Unterkunft für einen Flüchtling bat, der, wie so viele, von Berlin nach Beirut abgeschoben werden sollte. Frieder Stichler nahm ihn und etwas später auch seine Frau und das einjährige Kind bei sich auf, weil das Leben wichtiger ist als die herrschenden Gesetze. Hatte er dennoch Angst vor der Polizei, vor den Behörden, weil er einen illegalen Flüchtling versteckte?


Stichler:

Wir haben uns keine großen Sorgen gemacht, weil wir einfach durch die Situation gezwungen wurden. Was uns mehr Sorgen machte, war eigentlich die Angst, in der die jungen Leute gelebt haben hier, diese Angst war ihnen tatsächlich auch nicht wegzunehmen und wir haben diese Angst ein Stück weit mit ihnen geteilt, also weniger die Angst vor Bestrafung, sondern die Angst, daß die Polizei dastehen könnte und sie einfach mitnimmt. Allerdings waren wir diese Angst dann ziemlich schnell los, weil durch Hilfe eines Rechtsanwaltes der Asylantrag gestellt werden konnte, beziehungsweise sie durch den Antrag wieder ein Stück weit legalisiert waren.

Frieder Stichler und seine Schützlinge wurden von der Gemeinde unterstützt, die sich auf Grund der langjährigen Erfahrungen mit dem Flughafen und den in der Nähe gelegenen Asylantenlagern zur Aufgabe gemacht hatte, offen zu sein für Menschen in Not.

Ihr Vorbild war die sanctuary-Bewegung in den USA, die im März 1982 von der Presbyterianischen Kirche in Tucson, Arizona, gestartet wurde, um Flüchtlinge aus Guatemala und El Salvador vor der zwangsweisen Rückkehr und damit vor dem Tod zu bewahren.

Heute gehören dieser Kirchenasyl-Bewegung, die teilweise harte Strafen auf sich nehmen mußte, 295 Gemeinden, 12 Universitäten, 22 Kommunen, 28 Dachorganisationen und der Bundesstaat New Mexiko an. Christen und auch Juden übern diesen bürgerlichen Ungehorsam bezugnehmend auch auf das Dritte Reich. Tausende von Exilanten hätten nie überlebt, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, denen die Humanität wichtiger war, als das Gesetz. Aber für die Frankfurter Gemeinde gab es noch andere Vorbilder.

Stichler:

Beeindruckt hat uns auch die Aktion für abgewiesene Asylbewerber in der Schweiz, ins Leben gerufen von dem Ehepaar Peter und Heidi Zuber bei Bern, die schlicht durch eine Anzeige in der Zeitung Privatquartiere gesucht haben, Gastquartiere für in der Schweiz gewiesene Asylbewerber. Das hat eine breite Bewegung in der Schweiz gegeben und ich habe dann auch Peter Zuber kennengelernt und war zutiefst beeindruckt über dieses Engagement dieses Arztes, de in seiner Freizeit dies alles bewältigt und eine Menge Quartiere gefunden hatte für abgewiesene Asylbewerber in der Schweiz. Es hat sich dann ausgeweitet in das sogenannte Kirchenasyl und heute ist das eine ganz breite Bewegung in der Schweiz, von der wir sehr viel lernen, was uns auch sehr ermutigt. Diese Bewegung hier in der BRD fehlt noch. Da sind wir wohl erst in den allerersten Anfängen.

Frieder Stichler, der evangelische Pfarrer aus Frankfurt-Niederrad steht aber nicht mehr allein. Auch Herbert Leuninger der Flüchtlingspfarrer der Diözese Limburg hat sich öffentlich dazu bereit erklärt, Kirchenasyl zu gewähren.

Leuninger:

Ich beschäftige mich damit, daß in der Politik die Idee wieder Boden gewinnt, man müßte abgelehnte Asylbewerber abschieben auch in Kriegs- und Krisengebiete, dabei stellt sich die Frage, wie können wir Flüchtlinge davor schützen, denn diese Verpflichtung haben wir als Christen, da erinnern wir uns, daß Asyl eine Angelegenheit des Religiösen, eine Angelegenheit eigentlich auch der Kirche ist, daß es von den frühesten Zeiten an die Kirchen gab, in denen Menschen Asyl finden konnten. Diese Tradition wird wieder lebendig in Amerika, in der Schweiz in anderen Ländern - und wenn Not an der Frau und Not am Mann ist, werden wir diese Tradition hier auch lebendig pflegen.

Das Hessische Innenministerium ließ aufgeschreckt prüfen, wie wenn die katholische Kirche zu solchen Äußerungen ihres Flüchtlingspfarrers steht, der öffentlich von Fällen berichtete, wo er um Kirchenasyl gebeten worden sei und wo er seine Wohnung zum Kirchenasyl erklärt habe, als Privatperson, als Christ. So dürfe er, Herbert Leuninger dies tun, seine Gewissensentscheidung müsse respektiert werden.
Warum macht dieser Herbert Leuninger seine private Haltung so öffentlich, will er austesten, wie weit man heute gehen kann?

Leuninger:

Das und auch andere darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich innerliche darauf einstellen, denn das geht nicht so schnell, wenn ein entsprechender Notfall eintritt. Man muß dann innerlich, geistlich, seelisch und auch politisch darauf eingestellt sein; darauf muß man sich vorbereiten.