Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1968

HESSISCHER RUNDFUNK FRANKFURT/MAIN
Hörfunk
Osterpredigt
Mit Christus auferstanden
bei der Direktübertragung der Festmesse
aus der katholischen Kirche St. Vitus in Kriftel a. Taunus
am Ostersonntag, dem 14. April 1968 um 10:05 Uhr
(ohne Liedtexte, Evangelium und Gebete)

Ansage:

Die unmittelbare Nähe zu Frankfurts größtem Industriegebiet, den Farbwerken Höchst, und ein umfangreicher Obstanbau bestimmen die Zusammensetzung der Bevölkerung Kriftels. 3.700 der 6000 Einwohner zählen zur katholischen Pfarrgemeinde, die in diesen Tagen den 100. Geburtstag ihrer Kirche begeht. Im Grunde genommen ist dies nur ein bescheidener Zeitraum angesichts der Tatsache, daß Kriftel bereits für das Jahr 890 in einem Besitzverzeichnis des Klosters Fulda erwähnt wird. Geprägt von dieser langen Tradition feiert die Gemeinde das Jubiläum unter dem Gedanken: "Kein Christenleben ohne Gemeinschaft".

Lesung:

Aus dem Brief des heiligen Apostels Paulus an die Kolosser: Brüder! Wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet, was oben ist, wo Christus thront zur Rechten Gottes! Was oben ist, habt im Sinn, nicht was auf Erden ist! Denn ihr seid gestorben, und mit Christus vereint, ist euer Leben verborgen in Gott. Wenn aber Christus, unser Leben, dereinst in Herrlichkeit erscheint, dann sollt auch ihr, vereint mit ihm, offenbar werden in Herrlichkeit (Kol 3,1-4). - Soweit die Worte der Lesung.

Predigt:

Liebe Gemeinde, verehrte Hörerinnen und Hörer, die sie am Radio diesem Gottesdienst folgen.

"Wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet, was oben ist!" Dieser Aufruf, der in der Lesung an uns gerichtet ist, geht davon aus, daß sich die Auferstehung Christi in unserer Auferstehung fortsetzt.

Sobald wir aber das Wort "Auferstehung" hören, verbinden wir damit sogleich die Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tode, von einer Wiederherstellung des Lebens, das eigentlich im Tode sein Ende hatte. Aus dem Satz: "Wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet was oben ist" und aus anderen Stellen der Schrift ergibt es sich aber, daß Auferstehung nicht unbedingt oder wenigstens nicht in erster Linie einen Zustand nach dem Tode meint, sondern bereits jetzt ansteht. Das gilt gerade einer Zeit, die ziemlich ratlos dem Bekenntnis von der "Auferstehung des Fleisches" gegenübersteht. Selbst unter Christen wird schon von der Bedeutungslosigkeit einer solchen Vorstellung gesprochen.

Originell ist diese Einstellung nicht. Paulus kritisiert heftig eine Weltanschauung, die nur mit einem diesseitigen Leben rechnet. Nach ihm versinken Menschen, die ohne die Erwartung einer künftigen Unsterblichkeit leben, in einen primitiven Lebensgenuß.

Diese Kritik wird von ganz anderen Voraussetzungen her unterstützt durch die wenig bekannte Parabel des französischen Dichters André Gide.

In ihr kehrt Jesus nach Nazareth zurück und findet die kleine Stadt völlig verändert vor. In einem Palast trifft er den Aussätzigen, den er einstmals geheilt hat, an, der ein üppiges Leben führt. Jesus stellt ihn zur Rede, warum er sich so aufführe und erhält die Antwort: "Ich war ein Aussätziger, aber du hast mich geheilt, warum sollte ich ein anderes Leben führen?" Ähnliche Antworten erhält er von dem Blinden, dem er das Augenlicht wiedergegeben und von der Sünderin, der er ihre Schuld vergeben hat. Traurig will Jesu die Stadt verlassen, da erblickt er am Straßengraben einen jungen Mann, der weint. Jesus geht auf ihn zu und fragt ihn: "Mein junger Freund, warum weinst du?" Der junge Mann hebt die Augen, erkennt ihn und erwidert: "Ich war tot, und du hast mich auferweckt, was soll ich anderes mit meinem Leben anfangen?"

Da, wo der Mensch in seiner engen und egoistischen Welt befangen bleibt, helfen demnach selbst Wunder nicht, um das Leben lebenswerter zu machen. Es nützt ihm auch nichts, daß der Tod überwunden wird durch die Auferstehung, wenn es doch nur darum geht, das bisherige Leben weiterzuführen. Es bleibt ihm das Weinen oder das Genießen, falls man darin einen Unterschied erblicken will.

Weinen oder Genießen sind die zwei Formen, in denen sich für die meisten Menschen das Verhältnis zur Welt erschöpft: Diesen Menschen wird eine Auferstehung zu neuem Leben angekündigt. Das Leben, das Paulus zu führen hatte, und erst Recht das Leben Jesu, verwehren es uns, die Auferstehung, soweit sie uns jetzt betrifft, in einer äußeren Veränderung der Dinge und Verhältnisse zu erblicken. Es geht um eine neue Sicht des Lebens und paradoxerweise offenbart sie sich gerade in Kreuz und Leid. Im zweiten Korintherbrief heißt es: "Allenthalben bedrängt, sind wir doch nicht erdrückt; ratlos, sind wir doch nicht mutlos; verfolgt, doch nicht verlassen; niedergeworfen, doch nicht verloren: wir tragen allzeit das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch Jesu Leben an unserem Leib in Erscheinung trete" (2 Kor 4, 8-11).

Das Schicksal Christi soll an uns wahr werden, damit wir eine neue Perspektive gewinnen. Sie verwandelt unser Leben. Das, was wir für Leben gehalten haben, ähnelt dem Tod. Das, was wir wie den Tod gefürchtet haben, birgt das Leben.

Wie aber werden wir mit dem Schicksal Christi eins? Fromme Versenkung in den Tod und die Auferstehung des Herrn genügt keinesfalls. Sie mag dazugehören und sogar eine wichtige Voraussetzung sein. Aber es geht hier um ein ganz reales Einswerden mit Christus. Ich muss an das Kreuz Christi herantreten, wo es heute aufgerichtet steht. Das darf nicht als fromme Floskel missverstanden werden. Es geht um nichts mehr, als daß ich mich zu den Leidenden, den Elenden, den Verachteten und Geschundenen stelle. Hier ist Christus, und hier werde ich ein anderer Christus. Nur hier geschieht die Umwertung der Werte, die das Kreuz zum Zeichen der Auferstehung macht.

Hat aber die Auferstehung Christi nur etwas zu tun mit dem inneren Wandel des Menschen, mit einer neuen Blickrichtung, die an den wirklichen sozialen und politischen Verhältnissen nichts ändert?

Hier darf ich noch einmal auf die Christen zurückkommen, für die der Gedanke an ein Weiterleben nach dem Tode von nicht sonderlichem Belang ist. Erwähnt sei der französische Priester Ignace Lepp, der ursprünglich ein überzeugter Kommunist war. Als Kommunist glaubte er nicht an ein Weiterleben nach dem Tode. Selbst vor einer drohenden Hinrichtung verlor er keinen Gedanken daran, so schwer ihm auch das Sterben als blutjunger Mensch ankam. Nur ein Gedanke hielt ihn hoch, daß er in seinem Leben hatte helfen können, um das große Ziel der klassenlosen Gesellschaft zu erreichen; darin lag seine persönliche Glückseligkeit.

Diese Einstellung von dem Dienst, den er der Allgemeinheit leisten will, und der ihm, wenn er ihn leisten dürfte, völlig genügt, hat der später Christ gewordene Kommunist in seine neue Weltanschauung hinübergerettet.

Mit vielen anderen Christen sieht er in der Geschichte eine große Entwicklung, die mit der Auferstehung Christi einen ersten Höhepunkt erreicht hat und deren Ziel die Umwandlung der Menschheit und der Welt ist. Hierin einbezogen zu sein und einen Beitrag leisten zu dürfen, daß das Erlösungswerk Christi sich mehr und mehr entfalte, reicht aus, um seinem Leben Sinn zu geben. Im Hinblick auf ein Weiterleben nach dem Tode zitiert Lepp den Jesuiten Teilhard de Chardin: "Aufrichtig gesagt, meine persönliche Seligkeit interessiert mich nicht; mir genügt es zu meinem Glück, wenn das Beste meiner selbst für ewig übergeht in ein Größeres und Schöneres, als ich selbst bin."

Beide Theologen leugnen die persönliche Unsterblichkeit nicht, die für sie zum Glauben der Kirche gehört. Nur stehen bei ihnen andere Ideen, die sich auf die Unsterblichkeit der Sache Christi beziehen, im Vordergrund. Vielen sind sie darin ein Vorbild.

"Wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet, was oben ist!" Ein volles Verständnis dieses Satzes verbietet es, "Auferstehung" in die Ferne zu verlagern. Wer von Christus erfaßt ist,  i s t  bereits auferstanden!

Fürbitten:

Herr Jesus Christus,
Du bist als der Auferstandene der Mittelpunkt, von dem alles Leben ausgeht.

Wir bitten Dich für unsere Gemeinde,
die an Dich glaubt, und für alle an diesem Gottesdienst Beteiligten:
Dass sie Zeichen Deines Lebens seien, Licht und Freude für alle, die Dich suchen
Christus höre uns -
Gemeinde:
Christus erhöre uns!

Wir bitten Dich für die Traurigen und Lebenshungrigen,
die ihrem Dasein mißtrauen:
Dass sie das neue Leben gelegentlich erahnen.
Christus höre uns -
Christus erhöre uns!

Wir bitten Dich für die Urruhestifter und Revolutionäre,
die um eine bessere Welt kämpfen:
Dass ihr Einsatz dem wirklichen Fortschritt diene.
Christus höre uns -
Gemeinde:
Christus erhöre uns!

Wir bitten Dich für die Kranken,
die auf keine Heilung mehr hoffen können:
Dass sie in Dir das Heil finden.
Christus höre uns –
Christus erhöre uns!

Wir bitten Dich für unsere Verstorbenen,
die im Vertrauen auf Dich gelebt haben:
Dass ihr Tod durch Deine Auferstehung aufgehoben werde:
Christus höre uns –
Christus erhöre uns!

Vater unseres Herrn Jesus Christus,
Dein Sohn ist der Sieger über den Tod;
darum erfülle uns mit österlicher Freude,
durch diesen Christus, unsern Herrn

Absage:  
Hochamt und Predigt: Pfarrer Herbert Leuninger
es sang der Kirchenchor Kriftel
an der Orgel: Eduard Bruggaier
musikalische Leitung: Franz Pabel