Herbert Leuninger
ARCHIV KIRCHE

Festgottesdienst
aus Anlaß des 25jährigen Ortsjubiläums
von Pfarrer Franz-Josef Jaeger,
St. Antonius, Frankfurt a. Main,
am 16.4.1983

 GEMEINDE ALS HEIMAT

Predigt von Pfarrer Herbert Leuninger

Unter den Dias der Jahresrückschau 64/65/66 (mein damaliges Hobby) fand ich auch eines von der Krippe (das Hobby von Pfarrer Jaeger, das fromme Gegenstück zur Modelleisenbahn): ein Dia von Maria und Josef. Bekanntlich hatte Rom eine Volkszählung anberaumt, und Josef war mit Maria unterwegs in seine Heimat und suchte dort eine Herberge, ein Heim.

Ich nehme dieses affektbetonte Bild aus der Kirche St. Antonius, um heute zur Feier des 25jährigen Ortsjubiläums des Pfarrers einige Gedanken über die Gemeinde als Heimat vorzutragen.

Es gibt derzeit so etwas wie einen Heimatboom. Inmitten unserer Umweltdebatten wird nach Heimat gefragt. Ist es ein neuer Traum über Vergangenes oder eine Hoffnung für morgen? Hat eine Gemeinde, hat die Gemeinde von St. Antonius mit ihrem Pfarrer etwas dazu zu sagen? Als ich vor über 20 Jahren als junger Kaplan von dem Städtchen Oberlahnstein am Rhein nach Frankfurt »verschlagen« wurde, machte Pfarrer Jaeger mit mir eine Pfarrbegehung. Es ging über die Taunusanlage, durch die Windmühlstraße ins Gutleutviertel, von dort unter den Bahngleisen durch, am Messegelände vorbei ins Westend.

Der Rundgang endete im Palmengarten bei Kaffee und Kuchen. Erste Eindrücke konnten hierbei verarbeitet werden von einer Pfarrei mit Vergnügungsviertel, Bankenbereich, Hauptbahnhof und Messegelände; eine Pfarrei, wie es eine vergleichbare im Bistum nicht mehr gibt.

Und hier soll es Gemeinde geben? Natürlich, denn ihre Existenz und ihr Leben mag zwar von der Umgebung mitbestimmt werden, ist aber nicht von ihr abhängig.

Aber kann es zwischen Baseler Platz, Platz der Republik und Bockenheimer Anlage auch die Erfahrung von Heimat geben?

Die Antwort darauf hängt davon ab, was wir unter Heimat verstehen und ob dies, was wir unter Heimat verstehen, was wir vielleicht auch suchen, noch oder überhaupt möglich ist.

Antworten darauf, was Heimat ist, finden wir bezeichnenderweise zuerst bei Dichtern, also eine poetische Umschreibung. Lassen Sie einige solcher Definitionen auf sich wirken! Heinrich Böll nennt Heimat: »Erinnerung an die Kindheit.«

Dem können wir vielleicht besonders gern zustimmen.

Max Frisch spricht von der »Szenerie gelebter Jahre« und bezieht damit mehr als nur die Kindheit ein.

Es gibt aber auch ganz andere, sehr kritische Umschreibungen, so z. B. von Martin Walser: Heimat »der schönste Name für Zurückgebliebenheit«,

oder gar Günther Grass: »Ein Markenartikel der Demagogen.«

Ob er's heute noch so sagen würde oder mittlerweile doch dem süddeutschen Öko-Bauern zustimmen würde, der behauptet, »die heimatlichen Fluren und Wälder, das Heimathaus, die Jugenderinnerungen, die Jugendfreunde, die Jugendliebe - sie sind ein bleibender Bestandteil in unserem Gedankengut, egal wo wir uns befinden«.

Heimat doch als etwas sehr Romantisches, als Erinnerung und an Fluren und Wälder gebunden. Und die lieben Menschen aus dem Gutleutviertel, bei denen gäbe es ja dann keine Heimat, es sei denn, die wären im Westerwald geboren?

Sie sehen, es kommt sehr darauf an, was wir unter Heimat verstehen. Mir scheint die Umschreibung eines politischen Emigranten am zutreffendsten. Heimat ist nach seiner Vorstellung »die Summe nicht nur der Kindheitserlebnisse, der Bindungen und Verbindungen zur Erwachsenenwelt, zur Sprache und zur Landschaft, sondern auch das Gefühl, an einem bestimmten Ort leben zu können, wo Toleranz und Freiheit herrschen«.

Diese Beschreibung von Heimat enthält alle wichtigen Elemente der anderen Definitionen: auch Vergangenheit, Erinnerungen, die Bedeutung der Landschaft, aber vor allem auch die Gegenwart und dabei etwas sehr Entscheidendes für den Menschen in der Mobilität, im Umherziehen, im Umhergetriebenwerden auf seiner Suche nach einem Lebensraum, nach Heimat, nämlich ein menschliches Klima.

Heimat als Gefühl an einem bestimmten Ort leben zu können, wo Toleranz und Freiheit herrschen. Also nicht so sehr Baum und Strauch, Weg und Steg, Auen und Wiesen, sondern die geglückte Beziehung von Menschen untereinander. Ja vielleicht eher die Stadtluft als das Landleben, wenn ich hier an den Ausspruch erinnere, daß Stadtluft frei macht, also ein besonderes menschliches Klima, eine tolerante und nicht unbedingt eine grüne Umwelt!

Meine Gedanken kreisen in diesen Tagen um zwei Jubiläen. Einmal das 25jährige Ortsjubiläum von Pfarrer Jaeger, zum anderen um die hundertste Wiederkehr der Gründung eines Raphael-Vereins für deutsche Auswanderer in der USA, die der Kaufmann und Politiker Peter Paul Cahensly - ebenfalls ein Limburger - erreicht hatte. Sein Ziel war, daß die Einwanderer eine neue Heimat finden, gerade auch durch die Bildung eigener kirchlicher Gemeinden.

Bei dem Versuch, die Bedeutung von Cahensly für uns herauszustellen, bin ich auf einen Text aus dem Jahre 1981 gestoßen, einen Brief von Kardinalstaatssekretär Casaroli über das Verhältnis der Kirche zu den Einwanderern. Er faßt dies folgendermaßen zusammen: »Die Ortskirchen werden den Zuwanderern eine Pastoral bieten müssen, die ihnen gewissermaßen das Gefühl vermittelt, zu Hause zu sein; d.h. in einer Umgebung, die Verständnis, Harmonie und gegenseitige Hilfe vermittelt.«

Sage ich statt »Ortskirche« »Pfarrei« oder »Gemeinde« und statt »Zuwanderer« »Zuziehender«, dann ist die Aufgabe der Gemeinde umschrieben: Heimat zu geben. Und wenn es eine Gemeinde gibt, die sich dieser Aufgabe von ihrer Zusammensetzung und Struktur her am stärksten zu widmen hat, dann doch zweifellos St. Antonius. Eine Gemeinde der Mobilität der Zu- und Wegziehenden aus Frankfurt, der Bundesrepublik und der ganzen Welt.

Vor 25 Jahren war es Pfarrer Jaeger, der auftragsgemäß zuwanderte und offensichtlich auch hier Heimat gefunden hat, und ich möchte sagen deswegen, weil er Heimat gewährt und ermöglicht hat durch seine Persönlichkeit in aller Ruhe, Toleranz, Freiheit und Gelassenheit, aber auch in seiner pastoralen Arbeit. Und wenn ich Heimat meinerseits umschreiben darf als Möglichkeit, seine Beine unter einen Tisch strecken zu dürfen, dazuzugehören, anerkannt und toleriert zu werden, dann könnte ich dies auf den pastoralen Dienst von Pfarrer Jaeger anwenden. Dabei waren es verschiedene Tische, die er zu besorgen hatte und unter die man die eigenen Beine strecken konnte: der Tisch der Eucharistie, durchaus der zentrale Ort von Gemeinde und Heimat, der Tisch im Antoniushaus, der immer wieder für die Gemeinde und alle Gemeinschaften zu jeder festlichen Gelegenheit gerichtet wurde und auch - es verdient aus meiner Sicht ebenfalls herausgehoben zu werden - der Tisch in seinem eigenen Haus, unter den wir jederzeit unsere Beinen strecken konnten. All dies konnte ich noch nicht wissen, als ich meine müden Beine unter den Tisch des Palmengartens streckte; aber ich habe es dann erfahren und weiß seitdem, daß ein Heimatgefühl auch in einer solchen Gemeinde möglich ist und hierfür ein Pfarrer einen entscheidenden Beitrag leistet oder vorenthält. Sein Beitrag ist kein isolierter, sondern einer, der auf dem Mittun anderer beruht, die selbst hauptamtlich oder nebenamtlich in der Kirche, im Pfarrhaus, im Pfarrbüro, im Antoniushaus oder in den verschiedenen Diensten der Gemeinde seit Jahren und Jahrzehnten tätig sind, Heimat erfahren und ein Heimatgefühl vermittelt haben.

Eine Gemeinde, die Heimat gewährt, ist kein Heimatverein, selbst wenn sie Elemente davon verwirklicht, manchmal vielleicht sogar in der Versuchung, dabei stehenzubleiben. Die Gemeinde ist also keine Konkurrenz zu Maier Gustl. Sie ist auch keine alternative Öko-Mühle. Sie ist ein Gemeinwesen der himmlischen Ökologie bzw. Umweltsorge, die Menschen frei atmen läßt - auch am Platz der Republik!


 

 


Pfarrer Franz-Josef Jaeger


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