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Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
2006


2. Oktober 2006

Integrieren
statt distanzieren

Limburg. Mit „Integration“ stand ein brisantes Thema im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion, zu der die „Initiative Mitmenschlichkeit“, das evangelischen Dekanat Runkel und der Bezirkscaritasverband Limburg im Rahmen der Interkulturellen Woche in die Stadthalle eingeladen hatte. „Solidarisieren und integrieren statt ausgrenzen und distanzieren“ – um diese titelgebenden Problemkreise drehten sich die Ausführungen von Volker Pfeiffer (Leiter Polizeidirektion Limburg), Babette Täpper (Erste Stadträtin), Werner Röhrig (Schulamtsdirektor), und Sebastian Schneider (Caritasverband). Die Moderation lag in den Händen von Pfarrer Herbert Leuninger, Gründer von Pro Asyl. Er wies eingangs darauf hin, dass er schon 1979 in einem Interview gesagt habe, die Versäumnisse in Schule und beruflichem Bereich in den damals zurückliegenden zwanzig Jahren hinsichtlich der Einwanderer (Migranten) seien kaum noch aufzuholen. Man spreche heute also von den Versäumnissen fast eines halben Jahrhunderts. Und vor zehn Jahren habe er islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache in der Schule gefordert. Vor dieser Aussage, der den wenigen interessierten Zuhörern die Dimension des Versagens der Politik(er) drastisch vor Augen führte, bekamen die folgenden Ausführungen ein ganz anderes Gewicht.

Volker Pfeiffer berichtete, die Polizei sei aufgrund ihrer täglichen Konfrontation mit diesem Thema inzwischen Spezialist in Sachen Integration. Seit 1994 stelle die Polizei Ausländer ein, zur Zeit seien es in Limburg 14, doch gebraucht würden erheblich mehr. Das Problem sei immer das einander Kennenlernen und Verstehen, was sich vor allem als Sprachproblem bemerkbar mache – eine Einschätzung, die sämtliche Redner teilten und jeweils aus ihrer Sicht mit Beispielen belegen konnten. Eine wichtige Tatsache werde aber immer wieder übersehen, sagte Pfeiffer. „Wir leben Integration nicht vor“, meinte er. „Jeder wahrt Werte und seine Familie, doch wenn es ernst wird, fällt man in Standardmuster der Vorurteile zurück.“ „Zur Integration gibt es keine Alternative, schon aus demografischen Gründen“, sagte er.

Dies bestätigte Werner Rörig, der auf insgesamt 12 000 Schüler mit Migrationshintergrund im Schulamtsbezirk hinwies. „Diese Schüler sind die Garanten für wohnortnahe Schulen, die es ohne sie nicht mehr geben würde“, sagte er. Die Migrantenschüler machten etwa 25 Prozent der 60 000 Schüler im Schulamtsbezirk aus. Davon benötigten im vergangenen Schuljahr 3292 Hilfen in Deutsch.“ Ohne ausreichende Sprachkenntnisse beginne der Teufelskreis „kein guter Abschluss, deswegen keine Arbeit“. Das betreffe insbesondere die etwa 60 Prozent Hauptschüler mit Migrationshintergrund. Früher hätten solche Kinder ihr Deutsch zusätzlich in Vereinen verbessern können, doch heute gebe es ausländische Vereine für sie, wo sie sich in ihrer Muttersprache unterhielten. „Wir dürfen Integration nicht damit verwechseln, dass nur Ausländer auf unsere Gesellschaft zugehen, sondern auch wir müssen auf sie zugehen, auch sprachlich“, sagte Röhrig. Er bezeichnete es als wichtig für die Ausländer, die innere Integration zu fördern, also die Übernahme der Werte unserer Verfassung. Dazu diene auch islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache, der diese Werte, besonders die Menschenrechte, mit vermittele.

Die Integration der Eingewanderten sei eine ungewöhnliche Leistung, sagte Sebastian Schneider, erkauft mit Verwundungen und Energie. Es gelte jedoch, den Migranten auf Augenhöhe zu begegnen, beide Seiten müssten gleichberechtigt aufeinander zugehen, aber daran scheitere es oft. Als Problem erweise sich, dass es staatlicherseits keine Förderung mehr von Hausaufgabenhilfe und anderen Aktivitäten der Integrationsarbeit aufgrund der neuen Sozialgesetzgebung gebe, die früher noch möglich war. „Die katholischen Verbände und die Kirche(n) können das nicht auffangen“, sagte er.

Babette Täpper räumte ein, dass die Stadt Limburg in den vergangenen 15 Jahren mehr hätte tun können und sollen. Sie jedenfalls lege verstärkt ihr Augenmerk auf Integration und möchte, dass sich ein Netzwerk aller an der Integration Beteiligten bildet, um den Problemen besser zu begegnen. (htz)



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