WDR:
Wir interviewen Herrn Leuninger, Ausländerreferent des Bischofs von Limburg und Mitglied des Initiativausschusses
"Ausländische Mitbürger in Hessen".
Herr Leuninger, welche Gründe haben Ihrer Auffassung nach die Bundesregierung
veranlasst, die Ausländerpolitik von einer Politik der Integration auf eine Politik der Reintegration
umzustellen?
Leuninger:
Nach meiner Auffassung lassen sich folgende Gründe angeben:
- Die Bundesregierung rechnet auch für die kommenden Jahre mit einer hohen Arbeitslosenquote.
- in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sind eine Million Arbeitsplätze verlorengegangen, bzw.
vernichtet worden.
- In naher Zukunft drängen viele deutsche Jugendliche in das Erwerbsleben. Daher versucht man
den Arbeitsmarkt von Arbeitskräften zu entlasten, die verdrängt werden können.
- Die Bundesrepublik Deutschland ist im Laufe der letzten 25 Jahre faktisch zu einem Einwanderungsland
geworden, obgleich dies den Intentionen der Bundesregierung zuwiderlief. Jetzt möchte man diesen
Prozeß rückgängig machen.
- Ein weiterer entscheidender Grund für die neue Politik liegt in dem Bemühen, die Kosten der
Infrastruktur für die ausländischen Arbeiter und ihre Angehörigen zu sparen.
- Der sechste und letzte Punkt: Im Hinblick auf die kommenden Wahlen soll die falsche Auffassung
unterstützt und bestärkt werden, die ausländischen Arbeiter seien schuld an der hohen Arbeitslosigkeit.
WDR:
Wie erklärt sich, Herr Leuninger, der Widerspruch, der in den jüngsten Erklärungen von Gewerkschaften
und Regierung enthalten ist, nach denen eine in den 17 Thesen enthaltene Politik der Rückwanderung
zugelassen wird und man versichert, eine solche der bisherigen entgegengesetzte Politik werde
neuerdings im Interesse der Ausländer gemacht?
Leuninger:
Es wird versucht, den deutschen Wähler zu beruhigen. Andererseits will man das Gesicht vor den
ausländischen Arbeitern und der deutschen wie der internationalen Öffentlichkeit wahren, indem
man sich nicht inhuman und unsozial gebärdet.
Außerdem scheint sich die Regierung im Grunde bewußt zu sein, daß eine Rückwanderungspolitik
keinen großen Erfolg haben wird. Obwohl bereits rigorose Maßnahmen zur Verminderung der Zahl der
in der Bundesrepublik tätigen Ausländer ergriffen werden, ist die ausländische Wohnbevölkerung
im letzten Jahr nur um ein Prozent gesunken. Während zwar 300.000 ausländische Arbeiter Deutschland
verlassen haben, sind die ausländischen Familien um fast die gleiche Anzahl gewachsen, so daß
statt 4,1 Mio. Ausländern nur 38.000 weniger in der Bundesrepublik leben.
WDR:
Herr Leuninger, das ist ja ein völlig neuer Aspekt. Nach den bis vor kurzem bekannt gegebenen
Zahlen mußte man den Eindruck gewinnen, daß sich die Anzahl der Ausländer tatsächliche drastisch
vermindert hat. Wie kommt es zu diesem Gegensatz?
Leuninger:
Ich wiederhole nochmals im Hinblick auf die bis vor einigen Monaten veröffentlichten überhöhten
Zahlen, daß es darum geht, die deutschen Wähler zu beruhigen und die ausländischen Arbeiter zu
verunsichern, ein psychologisches Manöver also.
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