Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1977

6. Mai 1977
FRANKFURTER ALLGEMEINE
- Zeitung für Frankfurt -
Ausländer im sozialen Getto
Festtagsdiskussion im Internationalen Familienzentrum

cla. Ein Jahr nach seinem Umzug in die Falkstraße 54 a und der damit verbundenen räumlichen und personellen Erweiterung hat das Internationale Familienzentrum gestern feststellen können, daß es nicht allein kämpft für ein menschenwürdiges Dasein der Ausländer in Frankfurt. Wie ein Ständchen für Dr. Gusti Gebhardt, die Leiterin des Familienzentrums, kam in der Diskussion zur Feier des Tages der Wille zum Ausdruck, daß für Ausländer alles getan werden müsse, damit sie nicht in ein soziales Getto gedrängt würden.

Gerade daran arbeitet das aus der Elternschule des katholischen Familienbildungswerks hervorgegangene Internationale Familienzentrum, wenn es Bildung und Beratung anbietet, stadtteilbezogen für eine international gemischte Bevölkerung in diesem Sanierungsgebiet, obwohl es für internationale Arbeit kein Geld bekommt. International, das heißt nicht nur für die rund 23 Prozent Türken, Griechen, Italiener, Jugoslawen, Spanier und Portugiesen in Bockenheim, sondern auch für Deutsche.

Über drei die Ausländer besonders bedrückende Probleme diskutierten Vertreter von Parteien, Stadt, Kirche und ausländischen Beratungsstellen: über die Situation in den Wohnvierteln, über die Kinder und die Jugendlichen, über Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Entwicklung. Obwohl nach den Statistiken über die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahre 1990 erneut sechs Millionen Ausländer als Arbeitskräfte angeworben werden müßten, wie Seyfi Özgen vorn Internationalen Familienzentrum bemerkte, würde die Bildung der jetzt in der Bundesrepublik lebenden Kinder und Jugendlichen vernachlässigt, würden sie noch weniger als die Erwachsenen in das Gemeinwesen integriert. Herbert Leuninger, Ausländerreferent des Bischöflichen Ordinariats Limburg, sprach es deutlich aus: "Unsere Ausländerpolitik ist eine Ausländerbeschäfti-gungspolitik." Man müsse aufhören, abzulenken von der Überwindung der Arbeitslosigkeit durch die Ausweisung von ausländischen Arbeitskräften. Daß der „Stichtag", von dem an nachkommende Jugendliche keine Arbeitserlaubnis mehr bekommen, auf den 31. Dezember 1976 verschoben werden soll, hält er lediglich für ein Trostpflästerchen, das von größeren Problemen ablenken soll.

Auch bei dieser Diskussion wurden die widersprüchlichen Forderungen erhoben, daß die Ausländer erst einmal besser die vorhandenen Möglichkeiten für eine Mitwirkung in der Öffentlichkeit nützen müßten, bevor ihnen mehr Rechte eingeräumt würden; auf der anderen Seite wurde geklagt, daß die Ausländer sich in der Öffentlichkeit nicht mehr engagieren könnten, solange sie nicht im Besitz aller bürgerlichen Rechte seien. Solange die Ausländerproblematik niemandem gefährlich wird; meinte das Mitglied des Jugend- und Sozialausschusses, Erwin Schöppner, am Schluß der Diskussion, werde die Vernachlässigung der Ausländer anhalten.