In
der Bundesrepublik werden derzeit zwei
Konzepte einer Ausländerpolitik gehandelt.
Das eine ist das von Bund und Ländern
am 25.4.77 von der Arbeitsministerkonferenz,
inzwischen wohl von der Innenministerkonferenz
und in diesen Tagen vermutlich auch von
der Konferenz der Ministerpräsidenten
verabschiedet.
Das zweite Konzept ist das des Deutschen Städtetages. Es umfasst die alternative Kritik an der Vorlage der Bund-Länder-Kommission, Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik.
Das Bund-Länder Konzept - ich setze seine wesentlichen Inhalte als bekannt voraus - ist das Produkt eines intensiven Einsatzes der Ministerialbürokratie Bonns und der Landeshauptstädte, also ein Konzept der Exekutive, nicht des Parlaments. Die Mandatsträger haben sich diese entscheidende Angelegenheit aus der Hand nehmen lassen, nicht zuletzt wohl deswegen, weil ausländische Bevölkerung kein Wählerpotential darstellt. Die Ministerien müssen Entscheidungen fällen und möchten dies - darauf hat gerade der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sehr gedrängt - koordiniert und konzertiert tun.
Das Bund-Länder Konzept ist vom Ansatz her arbeitsmarktpolitisch orientiert. Eine umfassende Ausländerpolitik ist naturgemäß dann nicht zu erwarten, wenn Ausländerpolitik heute immer noch vorwiegend als Ausländerbeschäftigungspolitik bewertet wird und die Federführung für die Ausarbeitung eines gemeinsamen Konzepts beim Bundesarbeitsministerium liegt.
Dennoch
wäre es falsch, das Bund-Länder
Konzept nur als Konzept des Bundesarbeitsministeriums
zu betrachten. Es ist ein Konzept, in dem
die Vorstellungen des Bundesarbeitsministeriums
mit denen des Ministerpräsidenten
von Baden-Württemberg, Hans
Filbinger (CDU), konvergieren. Filbinger
hat sich dieser Tage noch rühmen können,
daß seine ausländerpolitischen
Vorstellungen mittlerweile Allgemeingut
in der Politik geworden seien. Bei der
Abfassung und Abstimmung des Konzepts haben
Baden-Württemberg und die CDU-regierten
Länder durchwegs zu restriktiveren
Maßnahmen geneigt, im Unterschied
zu den SPD-regierten Ländern und Stadt-Staaten.
Das ergibt sich eindeutig aus den Protokollunterlagen.
Das Bund-Länder Konzept ist aber auch
das Konzept des DGB und der Arbeitgeber,
die in diesem Bereich erstaunlich gut miteinander
harmonieren.
Ich bin an dieser Stelle
der Mühsal enthoben, meine Kritik
und die etwa der Katholischen Kirche einzubringen,
weil dies der Deutsche Städtetag und
sein vormaliger Präsident, Bürgermeister
Hans Koschnick (SPD), in politisch
bedeutsamerer Weise getan haben.
Vorab kann ich sagen, daß sich die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände, letztere soweit die finanzielle Abhängigkeit dies zuließ, hinter die Kritik des Deutschen Städtetages gestellt haben, offiziell z.B. bei der Sitzung des Koordinierungskreises "Ausländische Arbeitnehmer" im Bundesministerium für Arbeit am 13.4.1977.
Die
Stellungnahme des Deutschen Städtetages
zum Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
vom 5.2.1977 wurde verfaßt unter
der Mitwirkung der Städte Bochum,
Köln, München, Stuttgart, Wuppertal,
vor allem auch Frankfurt. Frankfurts Vorstellungen,
die Bürgermeister
Martin Berg (SPD) einzubringen hatte,
sind wohl dabei sehr stark in dieses Papier
eingegangen. Ich setze auch hier die Kenntnis
der Positionen des Deutschen Städtetages
in der Ausländerpolitik voraus. Nur
so viel: Die Städtevertreten eine umfassendere
und realistischere Ausländerpolitik
als Bund und Länder. Sie kalkulieren
ein, daß eine wachsende Zahl von
Ausländern auf Dauer im Bundesgebiet
verbleibt. Die Städte sind sogar an
einer forcierten Integrationspolitik interessiert.
Die Ministerialen wissen natürlich auch um den Reifegrad der Immigration, möchten diese aber im Sinne einer Entwurzelungsstrategie und einer Abschreckung weiterer Familienzusammenführungen durch administrative Maßnahmen und politische Fiktionen (z.B. Nichteinwanderungsland) stören und minimalisieren.
Die
Positionen des Deutschen Städtetages
bekräftigte und überbot der stellvertretende
SPD-Vorsitzende Hans Koschnick vor der
Katholischen Akademie, Hamburg am 8. Mai
des Jahres. Was er zu sagen hatte, ist
in ähnlicher Form und auf dem politischen
Niveau seit der Rezession aus Politikermunde
nicht mehr zu hören gewesen.
Er betrachtet die Bund-Länder-Vorstellungen als unbrauchbares Konzept der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik (S.2). Die These vom Nichteinwanderungsland hält er für eine Fiktion. Mit dem Deutschen Städtetag befürwortet er eine Integration, die es den ausländischen Einwohnern ermöglicht "gleichberechtigt in der Bundesrepublik zu leben, gesellschaftlich gleichgestellt zu sein, und alle nicht verfassungsrechtlich ausdrücklich den deutschen Staatsangehörigen vorbehaltenen Rechte wahrzunehmen" (S. 9). Die Möglichkeit des Familiennachzuges ist für ihn eine zwingende Voraussetzung, der aus sozialen und humanitären Gründen gebotenen Eingliederungspolitik (S. 16). Im Zusammenhang mit den immer wieder aufgestellten Kosten-Nutzen-Analysen, die gegen die ausländischen Arbeitnehmer verwendet werden, sagt er: "Wir haben über fast 2 Jahrzehnte alle den Nutzen aus der Ausländerbeschäftigung gezogen. Wir werden uns jetzt daran gewöhnen müssen, auch Kosten dafür zu übernehmen, sonst würden wir den Anstieg unseres Lebensstandards mit der Ausbeutung anderer Menschen begründen." Dies sind nur einige wenige Aussagen von Hans
Koschnick, die von einem hohen politischen Ethos zeugen.
Seine
Ausführungen haben auf der gleichen
Akademietagung den bisherigen Leiter
des Kommissariates der Deutschen Bischöfe
in Bonn, Weihbischof Wilhelm Wöste
zu dem Ausspruch veranlaßt: "Herr
Koschnick, Sie haben katholischer gesprochen,
als das ein Weihbischof sagen kann." Kurz
darauf fuhr er fort: "Die grundsätzlichen
Ausführungen von Herrn Koschnick und
von dem Deutschen Städtetag möchten
wir als Katholische Kirche unterstreichen
und akzeptieren." Wöste erwähnt
noch einige zusätzliche Aspekte, die
für eine künftige rationale Ausländerpolitik
von Bedeutung sein müssen, und zwar
den bevölkerungspolitischen Aspekt,
angesichts des Geburtenschwunds bei der
deutschen Bevölkerung und der europäische
Aspekt, der dem Versuch, Ausländerpolitik
auf enger nationaler Basis zu machen, zuwiderläuft.
Mir will scheinen, als sei das Bund-Länder-Konzept für eine ernsthafte politische Diskussion auch auf dem Hintergrund der Diskussionen um die Menschenrechte und die Durchführung der Schlußakte von Helsinki (KSZE) ein erledigtes Papier. Ich entnehme dies u.a. der Tatsache, daß Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung im Dezember 1976 in Kenntnis der Tatsache, daß es eine Bund-Länder Kommission zur Fortentwicklung der Ausländerpolitik bereits gab, eine Enquete-Kommission angekündigt hat, die den Gesamtkomplex der Fragen, die daraus folgen, daß 4 Millionen Ausländer in unserem Land leben, untersuchen soll. Sicher war die Ankündigung dieser Kommission ein Kompromiß, der mit der FDP geschlossen werden mußte. Dennoch sollte man in dieser Enquete-Kommission eine einzigartige Möglichkeit sehen, das festgefahrene Schiff der Ausländerpolitik unter anderen Vorzeichen wieder flott zu machen. Die Arbeitsministerkonferenz und der DGB halten eine solche Kommission für überflüssig. Dennoch muß das politische Gespräch mit dem politischen und kompetenten Gewicht des Deutschen Städtetages erneut und baldmöglichst aufgenommen werden. Der Schaden, der durch eine halbherzige Integrationspolitik für die gesamte Bevölkerung, für die deutsche wie für die nichtdeutsche, angerichtet worden ist, ist bereits groß genug.
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