Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1977

BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit


24. Juni 1977
Bund-Länder und Deutscher Städtetag
- zwei gegensätzliche Ausländerpolitiken
Gemeinsame Sitzung der Kommission "SPD und Kirchen" und der Arbeitsgruppe "Theologie und Sozialdemokratie" (Hessen)
in Lahn-Gießen zum Thema Ausländerpolitik

INHALT
Der Deutsche Städtetag vertritt eine umfassendere und realistischere Ausländerpolitik als Bund und Länder. Sie kalkulieren ein, daß eine wachsende Zahl von Ausländern auf Dauer im Bundesgebiet verbleibt. Die Städte sind sogar an einer forcierten Integrationspolitik interessiert. Diesen Vorstellungen entsprechen im Wesentlichen den Positionen der Katholischen Kirche.


In der Bundesrepublik werden derzeit zwei Konzepte einer Ausländerpolitik gehandelt. Das eine ist das von Bund und Ländern am 25.4.77 von der Arbeitsministerkonferenz, inzwischen wohl von der Innenministerkonferenz und in diesen Tagen vermutlich auch von der Konferenz der Ministerpräsidenten verabschiedet.

Das zweite Konzept ist das des Deutschen Städtetages. Es umfasst die alternative Kritik an der Vorlage der Bund-Länder-Kommission, Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik.

Das Bund-Länder Konzept - ich setze seine wesentlichen Inhalte als bekannt voraus - ist das Produkt eines intensiven Einsatzes der Ministerialbürokratie Bonns und der Landeshauptstädte, also ein Konzept der Exekutive, nicht des Parlaments. Die Mandatsträger haben sich diese entscheidende Angelegenheit aus der Hand nehmen lassen, nicht zuletzt wohl deswegen, weil ausländische Bevölkerung kein Wählerpotential darstellt. Die Ministerien müssen Entscheidungen fällen und möchten dies - darauf hat gerade der Ministerpräsident von Baden-Württemberg sehr gedrängt - koordiniert und konzertiert tun.

Das Bund-Länder Konzept ist vom Ansatz her arbeitsmarktpolitisch orientiert. Eine umfassende Ausländerpolitik ist naturgemäß dann nicht zu erwarten, wenn Ausländerpolitik heute immer noch vorwiegend als Ausländerbeschäftigungspolitik bewertet wird und die Federführung für die Ausarbeitung eines gemeinsamen Konzepts beim Bundesarbeitsministerium liegt.

Dennoch wäre es falsch, das Bund-Länder Konzept nur als Konzept des Bundesarbeitsministeriums zu betrachten. Es ist ein Konzept, in dem die Vorstellungen des Bundesarbeitsministeriums mit denen des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger (CDU), konvergieren. Filbinger hat sich dieser Tage noch rühmen können, daß seine ausländerpolitischen Vorstellungen mittlerweile Allgemeingut in der Politik geworden seien. Bei der Abfassung und Abstimmung des Konzepts haben Baden-Württemberg und die CDU-regierten Länder durchwegs zu restriktiveren Maßnahmen geneigt, im Unterschied zu den SPD-regierten Ländern und Stadt-Staaten. Das ergibt sich eindeutig aus den Protokollunterlagen. Das Bund-Länder Konzept ist aber auch das Konzept des DGB und der Arbeitgeber, die in diesem Bereich erstaunlich gut miteinander harmonieren.

Ich bin an dieser Stelle der Mühsal enthoben, meine Kritik und die etwa der Katholischen Kirche einzubringen, weil dies der Deutsche Städtetag und sein vormaliger Präsident, Bürgermeister Hans Koschnick (SPD), in politisch bedeutsamerer Weise getan haben.

Vorab kann ich sagen, daß sich die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände, letztere soweit die finanzielle Abhängigkeit dies zuließ, hinter die Kritik des Deutschen Städtetages gestellt haben, offiziell z.B. bei der Sitzung des Koordinierungskreises "Ausländische Arbeitnehmer" im Bundesministerium für Arbeit am 13.4.1977.

Die Stellungnahme des Deutschen Städtetages zum Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 5.2.1977 wurde verfaßt unter der Mitwirkung der Städte Bochum, Köln, München, Stuttgart, Wuppertal, vor allem auch Frankfurt. Frankfurts Vorstellungen, die Bürgermeister Martin Berg (SPD) einzubringen hatte, sind wohl dabei sehr stark in dieses Papier eingegangen. Ich setze auch hier die Kenntnis der Positionen des Deutschen Städtetages in der Ausländerpolitik voraus. Nur so viel: Die Städtevertreten eine umfassendere und realistischere Ausländerpolitik als Bund und Länder. Sie kalkulieren ein, daß eine wachsende Zahl von Ausländern auf Dauer im Bundesgebiet verbleibt. Die Städte sind sogar an einer forcierten Integrationspolitik interessiert.

Die Ministerialen wissen natürlich auch um den Reifegrad der Immigration, möchten diese aber im Sinne einer Entwurzelungsstrategie und einer Abschreckung weiterer Familienzusammenführungen durch administrative Maßnahmen und politische Fiktionen (z.B. Nichteinwanderungsland) stören und minimalisieren.

Die Positionen des Deutschen Städtetages bekräftigte und überbot der stellvertretende SPD-Vorsitzende Hans Koschnick vor der Katholischen Akademie, Hamburg am 8. Mai des Jahres. Was er zu sagen hatte, ist in ähnlicher Form und auf dem politischen Niveau seit der Rezession aus Politikermunde nicht mehr zu hören gewesen.

Er betrachtet die Bund-Länder-Vorstellungen als unbrauchbares Konzept der Ausländerpolitik in der Bundesrepublik (S.2). Die These vom Nichteinwanderungsland hält er für eine Fiktion. Mit dem Deutschen Städtetag befürwortet er eine Integration, die es den ausländischen Einwohnern ermöglicht "gleichberechtigt in der Bundesrepublik zu leben, gesellschaftlich gleichgestellt zu sein, und alle nicht verfassungsrechtlich ausdrücklich den deutschen Staatsangehörigen vorbehaltenen Rechte wahrzunehmen" (S. 9). Die Möglichkeit des Familiennachzuges ist für ihn eine zwingende Voraussetzung, der aus sozialen und humanitären Gründen gebotenen Eingliederungspolitik (S. 16). Im Zusammenhang mit den immer wieder aufgestellten Kosten-Nutzen-Analysen, die gegen die ausländischen Arbeitnehmer verwendet werden, sagt er: "Wir haben über fast 2 Jahrzehnte alle den Nutzen aus der Ausländerbeschäftigung gezogen. Wir werden uns jetzt daran gewöhnen müssen, auch Kosten dafür zu übernehmen, sonst würden wir den Anstieg unseres Lebensstandards mit der Ausbeutung anderer Menschen begründen." Dies sind nur einige wenige Aussagen von Hans Koschnick, die von einem hohen politischen Ethos zeugen.

Seine Ausführungen haben auf der gleichen Akademietagung den bisherigen Leiter des Kommissariates der Deutschen Bischöfe in Bonn, Weihbischof Wilhelm Wöste zu dem Ausspruch veranlaßt: "Herr Koschnick, Sie haben katholischer gesprochen, als das ein Weihbischof sagen kann." Kurz darauf fuhr er fort: "Die grundsätzlichen Ausführungen von Herrn Koschnick und von dem Deutschen Städtetag möchten wir als Katholische Kirche unterstreichen und akzeptieren." Wöste erwähnt noch einige zusätzliche Aspekte, die für eine künftige rationale Ausländerpolitik von Bedeutung sein müssen, und zwar den bevölkerungspolitischen Aspekt, angesichts des Geburtenschwunds bei der deutschen Bevölkerung und der europäische Aspekt, der dem Versuch, Ausländerpolitik auf enger nationaler Basis zu machen, zuwiderläuft.

Mir will scheinen, als sei das Bund-Länder-Konzept für eine ernsthafte politische Diskussion auch auf dem Hintergrund der Diskussionen um die Menschenrechte und die Durchführung der Schlußakte von Helsinki (KSZE) ein erledigtes Papier. Ich entnehme dies u.a. der Tatsache, daß Bundeskanzler Schmidt in seiner Regierungserklärung im Dezember 1976 in Kenntnis der Tatsache, daß es eine Bund-Länder Kommission zur Fortentwicklung der Ausländerpolitik bereits gab, eine Enquete-Kommission angekündigt hat, die den Gesamtkomplex der Fragen, die daraus folgen, daß 4 Millionen Ausländer in unserem Land leben, untersuchen soll. Sicher war die Ankündigung dieser Kommission ein Kompromiß, der mit der FDP geschlossen werden mußte. Dennoch sollte man in dieser Enquete-Kommission eine einzigartige Möglichkeit sehen, das festgefahrene Schiff der Ausländerpolitik unter anderen Vorzeichen wieder flott zu machen. Die Arbeitsministerkonferenz und der DGB halten eine solche Kommission für überflüssig. Dennoch muß das politische Gespräch mit dem politischen und kompetenten Gewicht des Deutschen Städtetages erneut und baldmöglichst aufgenommen werden. Der Schaden, der durch eine halbherzige Integrationspolitik für die gesamte Bevölkerung, für die deutsche wie für die nichtdeutsche, angerichtet worden ist, ist bereits groß genug.