Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1977

Geburtenrückgang, Überalterung und Zukunftssicherung
Der Konsolidierungsbeitrag einer Einwanderungsstrategie

Tagung der Rabanus-Maurus-Akademie
am 23./24. April 1977 in Königstein/Taunus
INHALT

EINLADUNG

Die Ausländerpolitik beschäftigt die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlichen Graden und mit sehr differierenden Auffassungen. Auch die Kirche versucht, ihre Stimme im Konzert der Meinungen zur Geltung zu bringen.

Immer noch heißt es dabei, die Bundesrepublik, ohnedies auf begrenzten Raum verwiesen und mit eigenen Sorgen belastet, sei kein Einwanderungsland. Mit dieser politischen Aussage sollen eine Rückkehrpolitik für die inzwischen eingewanderte ausländische Arbeiterbevölkerung begründet und neue Einwanderungsströme verhindert werden. Ist dies eine weitsichtige Politik?

Oder müßte sich die Bundesrepublik Deutschland nicht längst als ein Einwanderungsland verstehen, nicht zuletzt angesichts einer „Bevölkerungsimplosion"? Können nicht die verschiedenen Interessen, langfristig besehen, auch einmal in die gleiche Richtung gehen?

Wir laden Sie freundlich ein, zugleich mit der Bitte, im interessierten Freundes- und Bekanntenkreis auf unsere Veranstaltung aufmerksam zu machen.

Dr. G. Gebhardt             Pfarrer H. Leuninger


BERICHT

DER SONNTAG
Kirchenzeitung für das Bistum Limburg
vom 1. Mai 1977

Derzeitige Ausländerpolitik ist kurzsichtig

Geburtenrückgang und künftige Ausländerpolitik - Seminar der Rabanus-Maurus-Akademie

Limburg/Königstein. Als kurzsichtig muß die derzeitige Ausländerpolitik angesehen werden, die die Rückkehr der inzwischen eingewanderten ausländischen Arbeiterbevölkerung betreiben will und die Bundesrepublik als Nicht-Einwanderungsland bezeichnet.

Das ergab eine Studientagung der Rabanus-Maurus-Akademie, die am Wochenende in Königstein/Ts. stattfand, und sich mit den Folgen des rapiden Geburtenrückgangs bei der deutschen Bevölkerung befaßte. Gerd-Rüdiger Rückert vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden verwies darauf, daß derzeit mehr als 35 Prozent der Geburten fehlten, die für eine dauernde Erhaltung des Bestands der Bevölkerung in der Bundesrepublik notwendig wären. Würde in den nächsten Jahren der Ausländerbestand drastisch verringert, so würde sich der bedenkliche Überalterungsprozeß der deutschen Bevölkerung mit all seinen negativen Folgen beschleunigen. Von 1,5 Millionen - fehlenden Geburten sprach Gabriele Erpenbeck vom Kommissariat der deutschen Bischöfe in Bonn. Das dadurch entstandene Bevölkerungsdefizit sei kaum anders als durch eine gezielte Einwanderungsstrategie aufzufüllen. Ohnehin habe es die Bundesrepublik im Rahmen der EG-Freizügigkeit nicht mehr in der Hand, sich als Nicht-Einwanderungsland zu erklären.

Im Hinblick auf die nach 1990 drohende Arbeitskräfteknappheit empfahl schließlich Wolfgang Klauder, Wissenschaftler im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, zunächst die heute in der Bundesrepublik anwesenden Ausländer, vor allem die deutschsprachigen Ausländerkinder, dauerhaft zu integrieren. Auch er warnte vor einer radikalen Reduzierung der Ausländerbeschäftigung zur Lösung der gegenwärtigen Beschäftigungsprobleme. Bereits zu Beginn der Tagung hatte der Ausländerreferent des Bistums Limburg, Herbert Leuninger, der Mitveranstalter war, erklärt: „Wir liegen mit dieser Tagung völlig quer zu dem, was augenblicklich in Sachen Ausländer politisch verhandelt wird. Am kommenden Montag will die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister ein neues Ausländerkonzept verabschieden, gegen das von den verschiedensten Seiten her Sturm gelaufen wird. Grundposition eins soll lauten: Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Sie versteht sich als ein Aufenthaltsland für Ausländer, die in der Regel nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt aus eigenem Entschluß in ihre Heimat zurückkehren.

Dies ist eine politische Aussage, die unrealistisch ist. Nach zwei Jahrzehnten Ausländerbeschäftigung ist ein großer Teil der nichtdeutschen Arbeiterbevölkerung hier ansässig geworden. Diese Basisaussage ist aber unter Umständen eine große bevölkerungspolitische Torheit mit unabsehbaren schädlichen Folgen."