HR:
Liebe Hörer, ich darf jetzt
unsere Studio-Gäste begrüßen:
Herr Herbert Leuninger von der Diözese
Limburg ist Referent für Ausländerfragen, Herr
Siegfried Müller ist von der Industriegewerkschaft
Metall, ebenfalls für Ausländerfragen
zuständig.
Meine Herren, ich habe hier
einen Artikel von Herrn Egon
Overbeck vorliegen. Herr Dr. Overbeck
ist Vorstandsvorsitzender der Mannesmann
AG. und Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie. In einem Beitrag
für das Handelsblatt erklärt
Herr Overbeck, daß der Aufenthalt
der Gastarbeiter in der Bundesrepublik
nur vorübergehend sein sollte. Herr
Overbeck schreibt wörtlich: "Wenn
wir mit der Arbeitslosigkeit fertig werden
wollen, muß die Möglichkeit
genutzt werden, einen Teil der Arbeitsplätze
der Gastarbeiter bei gedrosselter Zuwanderung
und verstärkter freiwilliger Heimkehr
wieder mit deutschen Mitarbeitern zu besetzen,
eben mit den heutigen arbeitslosen Jugendlichen,
die dann als Hilfsarbeiter die Plätze
der Ausländer einnehmen sollen."
Was halten Sie, Herr Müller, zunächst einmal ganz allgemein von dieser These aus gewerkschaftlicher Sicht?
Müller: Kurz und knapp formuliert: Nicht viel! Herr Overbeck scheint hier ein Täuschungsmanöver in der öffentlichen Diskussion zu vollziehen, denn er nimmt mit keinem Wort in seinem wirklich sehr langen ausgewalzten Beitrag Stellung zu den Fragen, die in Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit die Gewerkschaften aufgeworfen haben. Hier sind ganz klare, konkrete Vorschläge gemacht worden. Ich erinnere an die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, Beschluß des Bundeskongresses des DGB, ich erinnere an eine frühere Pensionierung, ich erinnere an Forderungen nach längerem Urlaub; und ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass von den Gewerkschaften immer wieder auch eine verlängerte Ausbildung für die Jugendlichen gefordert wurde. Die vier Schwerpunkte sehen wir als einen wichtigen Beitrag zu Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Herr Overbeck hat in keinem seiner vielen Worte dazu Stellung bezogen.
HR:
Herr Leuninger, zu den Thesen des
Herrn Overbeck ist aus humanitärer
Sicht sicher verschiedenes zu sagen. Dazu
müßte aber auch die Frage aus
wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden.
Was meinen Sie?
Leuninger:
Die Kirche lehnt es grundsätzlich
ab, daß die Arbeitslosigkeit dadurch
bewältigt wird, daß ein schwacher
Teil der Arbeitnehmerschaft verdrängt
wird, und zwar noch stärker, als das
bisher schon geschehen ist. Vergessen wir
nicht, daß mehr als 700.000 ausländische
Arbeitnehmer seit Beginn der Rezession
in der BRD ihren Arbeitsplatz verloren
haben und sogar vom Arbeitsplatz verdrängt
worden sind.
Wir können es nicht dulden, dass dieser
Prozess weiter gefördert wird. Wir
betrachten die ausländischen Arbeitnehmer
mittlerweile als einen festen Bestandteil
unserer Gesellschaft, auch als einen festen
Bestandteil in der Arbeitswelt.
HR: Stimmt das überhaupt, dass die deutsche Industrie in Zukunft weniger Fachkräfte und mehr Hilfskräfte brauchen wird?
Müller: Das, was Herr Overbeck gesagt hat, ist sicher nicht über den Tag hinaus gedacht. Wenn man sich einmal langfristige Perspektiven anschaut und einmal davon ausgeht, dass die BRD einer der hochindustriealisierten Länder ist, dann muß man davon ausgehen, dass in späteren Jahren sehr viele Fachkräfte gebraucht werden. Das Problem liegt immer darin, dass wir mit dem vorhandenen Schülerberg fertig werden müssen. Deshalb jedoch können die Investitionen für die Zukunft nicht außer acht gelassen werden. Das, was hier Herr Overbeck sagt, ist also nur für den Tag gedacht. Ich meine, er macht hier einen Versuch, alte Thesen der Unternehmer wieder aufzuwerfen, die gerne die ausländischen Arbeitnehmer im Rotationsprinzip hier hätten. Dagegen werden sich aber die Gewerkschaften mit aller Kraft zur Wehr setzen.
HR: Herr Overbeck meint, die Gastarbeiter sollten dazu ermuntert werden, freiwillig heimzukehren. Wie viele Gastarbeiter kämen da als Heimkehrer in Frage? Ich denke dabei an Ausländer aus den EG-Ländern, an ausländische Arbeitnehmer, die mit deutschen Frauen verheiratet sind; dann aber auch an Ausländer, die sich länger als 5 Jahre in der BRD aufhalten.
Müller: Wenn ich gleichzeitig überlege, dass z.Zt. sehr heftig darüber diskutiert wird und sich sehr positiv geäußert wird, Portugal, Spanien und Griechenland in die EG aufzunehmen, dann muß man den Teil der Arbeitnehmer langfristig schon zu den EG-Arbeitnehmern rechnen, die gleiche Rechte haben werden wie heute die italienischen Arbeitnehmer. Dann bleiben also 2 Nationalitäten, das wäre die Türkei und das wäre Jugoslawien. Mit der Türkei gibt es bereits langfristige Verträge , die irgendwann auch in Kraft treten, und von daher ist der Effekt bei den bei uns vorhandenen ausländischen Arbeitskräften sicherlich sehr gering.
Leuninger:
Eine sog. freiwillige Rückkehr
, die es sicher für Einzelfälle
geben kann, bedeutet aber hier als arbeitsmarktpolitische
Aussage im Grunde einen Versuch, Arbeitslosigkeit
in der BRD zu exportieren. Ich schließe
an den europäischen Gedanken von Herrn
Müller an: solche Auffassungen betrachten
wir mittlerweile als hinterwäldlerisch
und der Zukunft unseres Landes überhaupt
nicht mehr angemessen.
HR: Welche Auswirkungen hätte es auf die deutsche Wirtschaft, wenn die Gastarbeiter im Sinne des Arbeitgebervertreters Overbeck tatsächlich heimkehren würden, um deutschen arbeitslosen Jugendlichen Platz zu machen?
Müller:
Zunächst einmal würden
in einer ganzen Reihe von Betrieben Arbeitsplätze
frei, die schon heute nicht mehr mit deutschen
Arbeitnehmern besetzt werden können..
Wenn man sich - zum Beispiel wie Herr Overbeck
- darüber beklagt, dass keine Formerlehrlinge
zu bekommen sind, da kann man nicht die
letzten in der Gießerei noch tätigen
ausländischen Arbeitnehmer nach Hause
schicken. Das ist das eine Problem. Das
andere Problem ist, daß die Länder,
aus denen die Arbeitnehmer zu uns gekommen
sind, ja auch in der Bundesrepublik kaufen.
Das heißt, die Milliardenbeträge,
die jährlich von den ausländischen
Arbeitnehmern als Devisenreserve nach Hause
geschickt werden, werden ja wiederum umgesetzt,
um Güter in der BRD zu kaufen. Damit
würden sicherlich eine ganze Reihe
zusätzlicher Arbeitsplätze gefährdet.
HR: Nun eine letzte Frage: Herr Overbeck spricht nur von der Arbeitslosigkeit unter der deutschen Jugend. Was ist mit den ausländischen arbeitslosen Jugendlichen? Zum größten Teil haben sie gar keinen Zugang zu einer Berufsausbildung. Für sie ist sowieso nur eine Zukunft als Hilfsarbeiter möglich. Braucht die deutsche Industrie denn zusätzlich deutsche Hilfsarbeiter? Ist das nicht eher eine Resignation vor dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit?
Leuninger:
Wir haben uns mit der mangelnden
Integration - gerade auch der ausländischen
Jugendlichen der zweiten Generation - ein
Problem eingehandelt, das uns noch eine
Generation lang beschäftigen wird:
Nämlich das Problem, dass wir tatsächlich
in einem nicht vertretbaren Maße
unqualifizierte, junge Menschen haben werden,
die auf dem Arbeitsmarkt die größten
Schwierigkeiten haben, eingegliedert zu
werden. Es müßte der Versuch
gemacht werden, gemeinsam und solidarisch
dieses Problem der deutschen und der ausländischen
Jugendlichen zu lösen, wie es die
Kirchen zum Tag des ausländischen
Mitbürgers vorgeschlagen haben. Sie
haben diesen Tag unter das Motto gestellt:
"Für eine gemeinsame Zukunft".
Wir werden es nicht zulassen,
dass man die Zukunft der deutschen Jugendlichen
trennt von der Zukunft der ausländischen
Jugendlichen, die hier geboren wurden,
die hier groß geworden sind. Wir
räumen ihnen die gleichen Chancen
ein. Wir möchten, dass ihnen die gleichen
Chancen eingeräumt werden.
Müller:
Es hat ja bei der Diskussion zur
Arbeitslosigkeit schon verschiedentlich
solche Rundschläge gegeben. Ich erinnere
nur daran, dass man irgendwann einmal in
den Boulevard-Zeitungen den deutschen Arbeitnehmern
vorgeworfen hat, sie wären faul; beim
nächsten Mal waren es die ausländischen
Arbeitnehmer. Es waren immer solche Schläge,
die man los lässt, um mit den Emotionen
in der Bevölkerung zu rechnen und
Zustimmung zu finden. Herr Overbeck hat
insgesamt der Integration der ausländischen
Arbeitnehmer in der Bundesrepublik einen
schweren Schlag versetzt. Das Präsidium
des deutschen Industrieverbandes, oder
überhaupt die Arbeitgeber mit ihren
Organisationen sollten schleunigst dazu
Stellung beziehen und klarstellen, daß
die Meinung von Herrn Overbeck wirklich
eine Einzelmeinung gewesen ist.
Leuninger: Es gibt mittlerweile meines Wissens auch andere Stellungnahmen der Arbeitgeber etwa aus Baden-Württemberg
und auch der entsprechenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die die Anwesenheit der ausländischen Wohnbevölkerung und Arbeitsbevölkerung als wichtig erachten für die Bewältigung unserer künftigen Aufgaben in der Wirtschaft.
HR:
Liebe Hörer, hier wollen wir
das Gespräch mit unseren Studio-Gästen
abbrechen. Herr Leuninger und Herr Müller
bleiben im Studio und das Gespräch
wird dann von meinem italienischen und
griechischen Kollegen fortgesetzt. (nicht
dokumentiert)
|