x Herbert Leuninger: (Archiv - Migration 1978) Integration der nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung - Interview

Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1978

16. Juli 1978
HESSISCHER RUNDFUNK (HR)
und angeschlossene Sender
"Rendezvous in Deutschland"

Arbeitslosigkeit und freiwillige Rückkehr in die Heimat

INHALT
Interview von Herrn Torfilli (türk. Sendung)
mit
Siegfried Müller, IG-Metall Hauptvorstand
und
Herbert Leuninger, Bischöfliches Ordinariat, Limburg
Thema:
Stellung von Gewerkschaft und Kirche zu der Frage, wie sich die Politik angesichts hoher Arbeitslosigkeit gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern verhalten soll.


HR:
Liebe Hörer, ich darf jetzt unsere Studio-Gäste begrüßen: Herr Herbert Leuninger von der Diözese Limburg ist Referent für Ausländerfragen, Herr Siegfried Müller ist von der Industriegewerkschaft Metall, ebenfalls für Ausländerfragen zuständig.

Meine Herren, ich habe hier einen Artikel von Herrn Egon Overbeck vorliegen. Herr Dr. Overbeck ist Vorstandsvorsitzender der Mannesmann AG. und Präsidiumsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. In einem Beitrag für das Handelsblatt erklärt Herr Overbeck, daß der Aufenthalt der Gastarbeiter in der Bundesrepublik nur vorübergehend sein sollte. Herr Overbeck schreibt wörtlich: "Wenn wir mit der Arbeitslosigkeit fertig werden wollen, muß die Möglichkeit genutzt werden, einen Teil der Arbeitsplätze der Gastarbeiter bei gedrosselter Zuwanderung und verstärkter freiwilliger Heimkehr wieder mit deutschen Mitarbeitern zu besetzen, eben mit den heutigen arbeitslosen Jugendlichen, die dann als Hilfsarbeiter die Plätze der Ausländer einnehmen sollen."

Was halten Sie, Herr Müller, zunächst einmal ganz allgemein von dieser These aus gewerkschaftlicher Sicht?

Müller:
Kurz und knapp formuliert: Nicht viel! Herr Overbeck scheint hier ein Täuschungsmanöver in der öffentlichen Diskussion zu vollziehen, denn er nimmt mit keinem Wort in seinem wirklich sehr langen ausgewalzten Beitrag Stellung zu den Fragen, die in Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit die Gewerkschaften aufgeworfen haben. Hier sind ganz klare, konkrete Vorschläge gemacht worden. Ich erinnere an die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, Beschluß des Bundeskongresses des DGB, ich erinnere an eine frühere Pensionierung, ich erinnere an Forderungen nach längerem Urlaub; und ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass von den Gewerkschaften immer wieder auch eine verlängerte Ausbildung für die Jugendlichen gefordert wurde. Die vier Schwerpunkte sehen wir als einen wichtigen Beitrag zu Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Herr Overbeck hat in keinem seiner vielen Worte dazu Stellung bezogen.

HR:
Herr Leuninger, zu den Thesen des Herrn Overbeck ist aus humanitärer Sicht sicher verschiedenes zu sagen. Dazu müßte aber auch die Frage aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden. Was meinen Sie?

Leuninger:
Die Kirche lehnt es grundsätzlich ab, daß die Arbeitslosigkeit dadurch bewältigt wird, daß ein schwacher Teil der Arbeitnehmerschaft verdrängt wird, und zwar noch stärker, als das bisher schon geschehen ist. Vergessen wir nicht, daß mehr als 700.000 ausländische Arbeitnehmer seit Beginn der Rezession in der BRD ihren Arbeitsplatz verloren haben und sogar vom Arbeitsplatz verdrängt worden sind.
Wir können es nicht dulden, dass dieser Prozess weiter gefördert wird. Wir betrachten die ausländischen Arbeitnehmer mittlerweile als einen festen Bestandteil unserer Gesellschaft, auch als einen festen Bestandteil in der Arbeitswelt.

HR:
Stimmt das überhaupt, dass die deutsche Industrie in Zukunft weniger Fachkräfte und mehr Hilfskräfte brauchen wird?

Müller:
Das, was Herr Overbeck gesagt hat, ist sicher nicht über den Tag hinaus gedacht. Wenn man sich einmal langfristige Perspektiven anschaut und einmal davon ausgeht, dass die BRD einer der hochindustriealisierten Länder ist, dann muß man davon ausgehen, dass in späteren Jahren sehr viele Fachkräfte gebraucht werden. Das Problem liegt immer darin, dass wir mit dem vorhandenen Schülerberg fertig werden müssen. Deshalb jedoch können die Investitionen für die Zukunft nicht außer acht gelassen werden. Das, was hier Herr Overbeck sagt, ist also nur für den Tag gedacht. Ich meine, er macht hier einen Versuch, alte Thesen der Unternehmer wieder aufzuwerfen, die gerne die ausländischen Arbeitnehmer im Rotationsprinzip hier hätten. Dagegen werden sich aber die Gewerkschaften mit aller Kraft zur Wehr setzen.

HR:
Herr Overbeck meint, die Gastarbeiter sollten dazu ermuntert werden, freiwillig heimzukehren. Wie viele Gastarbeiter kämen da als Heimkehrer in Frage? Ich denke dabei an Ausländer aus den EG-Ländern, an ausländische Arbeitnehmer, die mit deutschen Frauen verheiratet sind; dann aber auch an Ausländer, die sich länger als 5 Jahre in der BRD aufhalten.

Müller:
Wenn ich gleichzeitig überlege, dass z.Zt. sehr heftig darüber diskutiert wird und sich sehr positiv geäußert wird, Portugal, Spanien und Griechenland in die EG aufzunehmen, dann muß man den Teil der Arbeitnehmer langfristig schon zu den EG-Arbeitnehmern rechnen, die gleiche Rechte haben werden wie heute die italienischen Arbeitnehmer. Dann bleiben also 2 Nationalitäten, das wäre die Türkei und das wäre Jugoslawien. Mit der Türkei gibt es bereits langfristige Verträge , die irgendwann auch in Kraft treten, und von daher ist der Effekt bei den bei uns vorhandenen ausländischen Arbeitskräften sicherlich sehr gering.

Leuninger:
Eine sog. freiwillige Rückkehr , die es sicher für Einzelfälle geben kann, bedeutet aber hier als arbeitsmarktpolitische Aussage im Grunde einen Versuch, Arbeitslosigkeit in der BRD zu exportieren. Ich schließe an den europäischen Gedanken von Herrn Müller an: solche Auffassungen betrachten wir mittlerweile als hinterwäldlerisch und der Zukunft unseres Landes überhaupt nicht mehr angemessen.

HR:
Welche Auswirkungen hätte es auf die deutsche Wirtschaft, wenn die Gastarbeiter im Sinne des Arbeitgebervertreters Overbeck tatsächlich heimkehren würden, um deutschen arbeitslosen Jugendlichen Platz zu machen?

Müller:
Zunächst einmal würden in einer ganzen Reihe von Betrieben Arbeitsplätze frei, die schon heute nicht mehr mit deutschen Arbeitnehmern besetzt werden können.. Wenn man sich - zum Beispiel wie Herr Overbeck - darüber beklagt, dass keine Formerlehrlinge zu bekommen sind, da kann man nicht die letzten in der Gießerei noch tätigen ausländischen Arbeitnehmer nach Hause schicken. Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist, daß die Länder, aus denen die Arbeitnehmer zu uns gekommen sind, ja auch in der Bundesrepublik kaufen. Das heißt, die Milliardenbeträge, die jährlich von den ausländischen Arbeitnehmern als Devisenreserve nach Hause geschickt werden, werden ja wiederum umgesetzt, um Güter in der BRD zu kaufen. Damit würden sicherlich eine ganze Reihe zusätzlicher Arbeitsplätze gefährdet.

HR:
Nun eine letzte Frage: Herr Overbeck spricht nur von der Arbeitslosigkeit unter der deutschen Jugend. Was ist mit den ausländischen arbeitslosen Jugendlichen? Zum größten Teil haben sie gar keinen Zugang zu einer Berufsausbildung. Für sie ist sowieso nur eine Zukunft als Hilfsarbeiter möglich. Braucht die deutsche Industrie denn zusätzlich deutsche Hilfsarbeiter? Ist das nicht eher eine Resignation vor dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit?

Leuninger:
Wir haben uns mit der mangelnden Integration - gerade auch der ausländischen Jugendlichen der zweiten Generation - ein Problem eingehandelt, das uns noch eine Generation lang beschäftigen wird:
Nämlich das Problem, dass wir tatsächlich in einem nicht vertretbaren Maße unqualifizierte, junge Menschen haben werden, die auf dem Arbeitsmarkt die größten Schwierigkeiten haben, eingegliedert zu werden. Es müßte der Versuch gemacht werden, gemeinsam und solidarisch dieses Problem der deutschen und der ausländischen Jugendlichen zu lösen, wie es die Kirchen zum Tag des ausländischen Mitbürgers vorgeschlagen haben. Sie haben diesen Tag unter das Motto gestellt: "Für eine gemeinsame Zukunft".

Wir werden es nicht zulassen, dass man die Zukunft der deutschen Jugendlichen trennt von der Zukunft der ausländischen Jugendlichen, die hier geboren wurden, die hier groß geworden sind. Wir räumen ihnen die gleichen Chancen ein. Wir möchten, dass ihnen die gleichen Chancen eingeräumt werden.

Müller:
Es hat ja bei der Diskussion zur Arbeitslosigkeit schon verschiedentlich solche Rundschläge gegeben. Ich erinnere nur daran, dass man irgendwann einmal in den Boulevard-Zeitungen den deutschen Arbeitnehmern vorgeworfen hat, sie wären faul; beim nächsten Mal waren es die ausländischen Arbeitnehmer. Es waren immer solche Schläge, die man los lässt, um mit den Emotionen in der Bevölkerung zu rechnen und Zustimmung zu finden. Herr Overbeck hat insgesamt der Integration der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik einen schweren Schlag versetzt. Das Präsidium des deutschen Industrieverbandes, oder überhaupt die Arbeitgeber mit ihren Organisationen sollten schleunigst dazu Stellung beziehen und klarstellen, daß die Meinung von Herrn Overbeck wirklich eine Einzelmeinung gewesen ist.

Leuninger:
Es gibt mittlerweile meines Wissens auch andere Stellungnahmen der Arbeitgeber etwa aus Baden-Württemberg und auch der entsprechenden wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die die Anwesenheit der ausländischen Wohnbevölkerung und Arbeitsbevölkerung als wichtig erachten für die Bewältigung unserer künftigen Aufgaben in der Wirtschaft.

HR:
Liebe Hörer, hier wollen wir das Gespräch mit unseren Studio-Gästen abbrechen. Herr Leuninger und Herr Müller bleiben im Studio und das Gespräch wird dann von meinem italienischen und griechischen Kollegen fortgesetzt. (nicht dokumentiert)