HR:
Wir haben heute ein außerordentlich strittiges Thema, das zum Teil sogar sehr emotional
aufgeladen ist. Ausgelöst worden ist es durch den Kommunalwahlkampf in Gießen und Wetzlar,
da beide Städte ja nach der Auflösung der Stadt Lahn wieder eigene kommunale Vertretungen
wählen müssen. Nun kommen hier wohnende ausländische Arbeitnehmer und fordern auch
für sich das kommunale Wahlrecht. Wahlrecht für Ausländer, ein Thema, über
das schon sehr heftig und kontrovers gesprochen worden ist.
Meine Kollegin Patrizia Arnold hat sich noch einmal darum gekümmert
und außerdem haben wir einen kompetenten Gesprächspartner hier im Studio, den ich begrüßen
kann: Es ist Pfr. Herbert Leuninger, der Ausländerreferent der katholischen Kirche im Bistum
Limburg.
Aber ich glaube, Frau Arnold, bevor wir uns mit Herrn Leuninger
unterhalten, sollten wir den rechtlichen Rahmen dieses Themas abstecken. Zu diesem Zweck haben
wir eine Telefonverbindung hergestellt zum Hessischen Innenministerium, Wiesbaden und begrüße
den Gesprächspartner Herrn Peter Beckmann.
Herr Beckmann,- ich möchte Sie fragen, worin
liegen die rechtlichen Schwierigkeiten, um Ausländern das Wahlrecht zu geben;
Beckmann:
Für Hessen liegen die Schwierigkeiten zunächst in der hessischen Verfassung, die ausdrücklich
bestimmt, daß nur Deutsche bei Wahlen stimmberechtigt sind. Um die hessische Verfassung
zu ändern, bedürfte es einer Volksabstimmung. Die Frage ist. also darüber hinaus,
ob Hessen einen Alleingang machen könnte, weil das Grundgesetz bestimmt, daß bei Wahlen
nur das Volk mitwirken darf. Die meisten Kommentatoren sind der Ansicht, daß das Volk -
das Staatsvolk - die Deutschen sind.
HR:
Die Forderung von den Ausländern ist Ihnen nicht neu. Gibt es schon Initiativen, uni diese Hürden
aus dem Weg zu räumen ?
Beckmann:
Es gibt Initiativen im politischen Bereich und es ist im Hessischen Landtag eine. Anhörung
beantragt worden, aber gesetzgeberische Initiativen gibt es bisher noch nicht.
HR:
Vielleicht noch ganz kurz das Stichwort Europa. Die Bürger Europas haben die Möglichkeit,
sich überall niederzulassen, haben das Arbeitsrecht usw. Vielleicht lassen sich über
diesem Wege Gesetze schaffen, daß Ausländer, die in der BRD leben, wählen können.
Beckmann:
Ja, mit dieser Frage haben sich die Regierungschefs schon befasst und eine Arbeitsgruppe eingesetzt
und auch das Europäische Parlament hat schon entsprechende Initiativen ergriffen. Es
wäre möglich, durch eine Ergänzung des Europäischen Vertrags das Kommunalwahlrecht
auf Gegenseitigkeit in den Ländern der Gemeinschaft einzuführen. Das würde auch
die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten in der BRD überspielen.
HR:
Aber das wird noch sehr lange dauern, auch wenn es Initiativen gibt.
Beckmann:
Konkrete Ergebnisse sind noch nicht bekannt.
HR (Patrizia Arnold):
Herr Leuninger, warum fordern die Ausländer eigentlich jetzt verstärkt das Wahlrecht?
HL (Herbert Leuninger):
Das ist eine Frage des Selbstverständnisses dieser Menschen, die schon lange hier in der
Bundesrepublik leben. Denken wir einmal daran, daß etwa 60% 8 Jahre und länger hier leben.
HR:
Sie haben ein Recht darauf, hier eingebürgert zu werden.
HL:
Das haben sie im Grunde erst nach 10 Jahren; aber unabhängig davon möchten sie doch
- gerade auch auf dem Hintergrund, daß das Europaparlament gewählt worden ist - immer
stärker ihre Möglichkeiten nutzen oder die Möglichkeiten bekommen, politisch
in den Kommunen und Gemeinden, in denen sie leben, mitzubestimmen.
HR:
Welches Recht sehen die Ausländer, ihre Forderung nach dem
Wahlrecht mit einer Einbürgerung zu verknüpfen ?
HL:
Die Nichtdeutschen vor allem der ersten Generation sind emotional und von ihrer Einstellung
her noch sehr stark an ihre Heimat gebunden und möchten hier in der BRD leben können
als Menschen ihrer jeweiligen Nationalität, möchten als solche hier anerkannt
werden und gleichberechtigt leben können. Ich glaube, das ist ja auch das Ziel des immer
stärker zusammenwachsenden Europa.
HR:
Es gibt zahlreiche Familien, deren Kinder hier auf die Welt gekommen sind, die hier zur Schule
gehen, die integriert sind. Die Väter und Mütter bedeuten nichts. Ist das nicht auch
eine Schwierigkeit in der Ökonomie des Zusammenlebens ?
HL:
Ja, die junge Generation wird es überhaupt nicht mehr verstehen, daß man nicht bereit
ist, ihnen auch diese politischen Rechte einzuräumen. Sie betrachten sich von daher als besonders
diskriminiert und an den Rand gedrängt, ohne daß damit ihre sonstige Integration entsprechend
gewürdigt wird.
HR:
Was bedeutet es Ihrer Meinung nach, wenn dieses Begehren langfristig im Sande verläuft ?
HL:
E s bedeutet eine Störung des Zusammenlebens der Deutschen und Nichtdeutschen gerade in den
Kommunen und in den Städten mit einem relativ hohen Anteil nichtdeutscher Bevölkerung.
Es bedeutet Frustation und eine Behinderung des doch sehr komplizierten und schwierigen
Integrationsvorgangs. Wenn Menschen wissen, daß sie politisch akzeptiert sind, werden sie
auch die Schwierigkeiten die mit jeder Eingliederung verbunden sind, eher meistern,
als wenn sie den Eindruck haben, wir sind nicht voll und ganz akzeptiert.
HR:
Dann wird die Randgruppenbildung größer, vielleicht auch die Kriminalisierung.
HL:
Das möchte ich nicht so sagen, aber die Gefahr ist nicht ganz auszuschließen..
HR:
Warum ist die Haltung von Politikern so ablehnend, oder gibt es bereits einen Sinneswandel ?
HL:
Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen, die sich vor allem auch je nach der politischen
Einstellung und je nach dem Alter verändern. Ich stelle im Augenblick fest, daß die
Bereitschaft, dieses Thema offen zu diskutieren, in der Öffentlichkeit gewachsen ist, eben auch
auf dem Hintergrund der Tatsache, daß Europa stärker ins Bewusstsein getreten ist.
HR:
Herr Leuninger, Sie glauben sicher auch, daß bei der bundesdeutschen Bevölkerung noch
eine ganze Reihe von Hemmschwellen abzubauen ist.
HL:
Ja, ich stelle das immer wieder fest; ich stelle aber auch eine Veränderung fest. Diese
Veränderung ist sehr positiv zu bewerten. Ich sehe vor allem auch, daß diese
Frage auf europäischer Ebene längst akut ist, wenn ich bedenke, daß das
Aktionsprogramm der EG-Kommission eigentlich die Einführung des Kommunalwahlrechtes für
EG-Bürger bzw. für ausländische Arbeitnehmer in der verschiedenen Ländern
bis 1980 vorsieht. Das ist aber noch nicht abzusehen.
HR:
Sie haben das Stichwort gegeben: Europa! Hat man daran gedacht, allen ausländischen
Arbeitnehmern das Wahlrecht zu geben, oder nur den europäischen? Würde das bedeuten,
die Italiener bekommen es,. die Marokkaner nicht ?
HL:
Das ist ein sehr großes Problem. Deswegen ist auch die Engführung auf die Europäische
Gemeinschaft nicht ganz glücklich. Viel besser ist der Vorschlag, der von der katholischen
Kirche kommt, doch die Ebene des Europarates zu nehmen. Damit wären 21 Länder beteiligt.
HR:
Welche Aktionen sind denn im Rahmen des Kommunalwahlkampfes geplant ?
HL:
Die Initiative, die sich auf Hessenebene gebildet hat, möchte Bewusstsein schaffen,
möchte Informationen in den verschiedensten Sprachen verteilen, Vorurteile abbauen
und die Politiker, die Gewerkschaften und auch die Kirchen dazu bringen, sich verstärkt
für die Gewährung dieses Rechtes einzusetzen.
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