Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1979

Kommunalwahlrecht für Ausländer

HESSISCHER RUNDFUNK (HR) Frankfurt/Main
1. Hörfunkprogramm "Unterwegs in Hessen"
Interview von Patrizia Arnold
am 28. September 1979

INHALT
Weniger die erste als die zweite Generation der eingewanderten nichtdeutschen Atbeitnehmer- bevölkerung dürfte ein fehlendes Wahlrecht als diskriminierend empfinden.

HR:
Wir haben heute ein außerordentlich strittiges Thema, das zum Teil sogar sehr emotional aufgeladen ist. Ausgelöst worden ist es durch den Kommunalwahlkampf in Gießen und Wetzlar, da beide Städte ja nach der Auflösung der Stadt Lahn wieder eigene kommunale Vertretungen wählen müssen. Nun kommen hier wohnende ausländische Arbeitnehmer und fordern auch für sich das kommunale Wahlrecht. Wahlrecht für Ausländer, ein Thema, über das schon sehr heftig und kontrovers gesprochen worden ist.

Meine Kollegin Patrizia Arnold hat sich noch einmal darum gekümmert und außerdem haben wir einen kompetenten Gesprächspartner hier im Studio, den ich begrüßen kann: Es ist Pfr. Herbert Leuninger, der Ausländerreferent der katholischen Kirche im Bistum Limburg.

Aber ich glaube, Frau Arnold, bevor wir uns mit Herrn Leuninger unterhalten, sollten wir den rechtlichen Rahmen dieses Themas abstecken. Zu diesem Zweck haben wir eine Telefonverbindung hergestellt zum Hessischen Innenministerium, Wiesbaden und begrüße den Gesprächspartner Herrn Peter Beckmann.

Herr Beckmann,- ich möchte Sie fragen, worin liegen die rechtlichen Schwierigkeiten, um Ausländern das Wahlrecht zu geben;

Beckmann:
Für Hessen liegen die Schwierigkeiten zunächst in der hessischen Verfassung, die ausdrücklich bestimmt, daß nur Deutsche bei Wahlen stimmberechtigt sind. Um die hessische  Verfassung zu ändern, bedürfte es einer Volksabstimmung. Die Frage ist. also darüber hinaus, ob Hessen einen Alleingang machen könnte, weil das Grundgesetz bestimmt, daß bei Wahlen nur das Volk mitwirken darf. Die meisten Kommentatoren sind der Ansicht, daß das Volk - das Staatsvolk - die Deutschen sind.

HR:
Die Forderung von den Ausländern ist Ihnen nicht neu. Gibt es schon Initiativen, uni diese Hürden aus dem Weg zu räumen ?

Beckmann:
Es gibt Initiativen im politischen Bereich und es ist im Hessischen Landtag eine. Anhörung beantragt worden, aber gesetzgeberische Initiativen gibt es bisher noch nicht.

HR:
Vielleicht noch ganz kurz das Stichwort Europa. Die Bürger Europas haben die Möglichkeit, sich überall niederzulassen, haben das Arbeitsrecht usw. Vielleicht lassen sich über diesem Wege Gesetze schaffen, daß Ausländer, die in der BRD leben, wählen können.

Beckmann:
Ja, mit dieser Frage haben sich die Regierungschefs schon befasst und eine Arbeitsgruppe eingesetzt und auch das Europäische Parlament hat  schon entsprechende Initiativen ergriffen. Es wäre möglich, durch eine Ergänzung des Europäischen Vertrags das Kommunalwahlrecht auf Gegenseitigkeit in den Ländern der Gemeinschaft einzuführen. Das würde auch die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten in der BRD  überspielen.

HR:
Aber das wird noch sehr lange dauern, auch wenn es Initiativen gibt.

Beckmann:
Konkrete Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

HR (Patrizia Arnold):
Herr Leuninger, warum fordern die Ausländer eigentlich jetzt verstärkt das Wahlrecht?

HL (Herbert Leuninger):
Das ist eine Frage des Selbstverständnisses dieser Menschen, die schon lange hier in der Bundesrepublik leben. Denken wir einmal daran, daß etwa 60% 8 Jahre und länger hier leben.

HR:
Sie haben ein Recht darauf, hier eingebürgert zu werden.

HL:
Das haben sie im Grunde erst nach 10 Jahren; aber unabhängig davon möchten sie doch - gerade auch auf dem Hintergrund, daß das Europaparlament gewählt worden ist - immer stärker ihre Möglichkeiten nutzen oder die Möglichkeiten bekommen, politisch  in den Kommunen und Gemeinden, in denen sie leben, mitzubestimmen.

HR:
Welches Recht sehen die Ausländer, ihre Forderung nach dem
Wahlrecht mit einer Einbürgerung zu verknüpfen ?

HL:
Die Nichtdeutschen vor allem der ersten Generation sind  emotional und von ihrer Einstellung her noch sehr stark an ihre Heimat gebunden und möchten hier in der BRD leben können als Menschen ihrer jeweiligen  Nationalität, möchten als solche hier anerkannt werden und gleichberechtigt leben können. Ich glaube, das ist ja auch das Ziel des immer stärker zusammenwachsenden Europa.

HR:
Es gibt zahlreiche Familien, deren Kinder hier auf die Welt gekommen sind, die hier zur Schule gehen, die integriert sind. Die Väter und Mütter bedeuten nichts. Ist das nicht auch eine Schwierigkeit in der Ökonomie des Zusammenlebens ?

HL:
Ja, die junge Generation wird es überhaupt nicht mehr verstehen, daß man nicht bereit ist, ihnen auch diese politischen Rechte einzuräumen. Sie betrachten sich von daher als besonders diskriminiert und an den Rand gedrängt, ohne daß damit ihre sonstige Integration entsprechend gewürdigt wird.

HR:
Was bedeutet es Ihrer Meinung nach, wenn dieses Begehren langfristig im Sande verläuft ?

HL:
E s bedeutet eine Störung des Zusammenlebens der Deutschen und Nichtdeutschen gerade in den Kommunen und in den Städten mit einem relativ hohen Anteil nichtdeutscher Bevölkerung. Es bedeutet  Frustation und eine Behinderung des doch sehr komplizierten und schwierigen Integrationsvorgangs. Wenn Menschen wissen, daß sie politisch akzeptiert sind, werden sie auch die Schwierigkeiten die mit jeder Eingliederung verbunden sind, eher meistern, als wenn sie den Eindruck haben, wir sind nicht voll und ganz akzeptiert.

HR:
Dann wird die Randgruppenbildung größer, vielleicht auch die Kriminalisierung.

HL:
Das möchte ich nicht so sagen, aber die Gefahr ist nicht ganz auszuschließen..

HR:
Warum ist die Haltung von Politikern so ablehnend, oder gibt es bereits einen Sinneswandel ?

HL:
Es gibt sehr unterschiedliche  Auffassungen, die sich vor allem auch je nach der politischen Einstellung und je nach dem Alter verändern. Ich stelle im Augenblick fest, daß die Bereitschaft, dieses Thema offen zu diskutieren, in der Öffentlichkeit gewachsen ist, eben auch auf dem Hintergrund der Tatsache, daß Europa stärker ins Bewusstsein getreten ist.

HR:
Herr Leuninger, Sie glauben sicher auch, daß bei der bundesdeutschen Bevölkerung noch eine ganze Reihe von Hemmschwellen abzubauen ist.

HL:
Ja, ich stelle das immer wieder fest;  ich stelle aber auch eine Veränderung fest. Diese Veränderung ist sehr positiv zu bewerten. Ich sehe  vor allem auch, daß diese Frage auf europäischer Ebene  längst akut ist, wenn ich bedenke, daß das Aktionsprogramm der EG-Kommission eigentlich die Einführung des Kommunalwahlrechtes für EG-Bürger bzw. für ausländische Arbeitnehmer in der verschiedenen Ländern bis 1980 vorsieht. Das ist aber noch nicht abzusehen.

HR:
Sie haben das Stichwort gegeben: Europa!  Hat man daran gedacht, allen ausländischen Arbeitnehmern das Wahlrecht zu geben, oder nur den europäischen? Würde das bedeuten, die Italiener bekommen es,. die Marokkaner nicht ?

HL:
Das ist ein sehr großes Problem. Deswegen ist auch die Engführung auf die Europäische Gemeinschaft nicht ganz glücklich. Viel besser ist der Vorschlag, der von der katholischen Kirche kommt, doch die Ebene des Europarates zu nehmen. Damit wären 21 Länder beteiligt.

HR:
Welche Aktionen sind denn im Rahmen des Kommunalwahlkampfes geplant ?

HL:
Die Initiative, die sich  auf Hessenebene gebildet hat, möchte  Bewusstsein schaffen, möchte Informationen  in den verschiedensten Sprachen verteilen, Vorurteile abbauen und  die Politiker, die Gewerkschaften und auch die Kirchen dazu bringen, sich verstärkt für die Gewährung dieses Rechtes einzusetzen.