Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1979

Herbert Leuninger
Bischöfliches Ordinariat Limburg

DIE ZUKUNFT DER BESCHÄFTIGUNG VON ARBEITNEHMERN NICHTDEUTSCHER HERKUNFT IN DER BUNDESREPUBLIK

Die Frage nach der Rolle der Arbeitgeber

Referat beim Dialogik-Aufbauseminar im "Haus der Technik", Essen am 1.September 1979


 

1. Arbeitgeber und öffentliche Diskussion der Ausländerbeschäftigung

1.1 Sie üben Zurückhaltung

Konfliktpartner der Kirchen bei ihrem Versuch, als Anwalt der nichtdeutschen Arbeitnehmer und ihrer Familien den Anspruch auf Chancengerechtigkeit durchzusetzen, waren die Bundesregierung und dabei vor allem das Bundesarbeitsministerium, die Bundesanstalt für Arbeit, die eine oder andere Länderregierung, schließlich auch der DGB, nicht aber die Arbeitgeberseite. Dies muß insofern erstaunlich sein, als doch der Ruf der Wirtschaft nach dem Erschließen neuer Arbeitskräftereservoire zu der Hereinnahme von Millionen Arbeitnehmern aus anderen Ländern geführt hat, und deren Behandlung im Betrieb in die Verantwortung der Arbeitgeber fiel.

Zur Erklärung dieses überraschenden Phänomens genügt es nicht, auf den staatlichen und gesetzlichen Dispositionsvorbehalt für den Einsatz nichtdeutscher Arbeitskräfte zu verweisen und damit der Bundesregierung die entscheidende Rolle für die Ausländerbeschäftigungspolitik zuzuweisen. Es muß vielmehr eine Strategie der Arbeitgeber gegeben haben, die vielleicht auch für andere Bereiche gilt, sich nicht in die öffentliche und gelegentlich heiße Debatte über die Ausländerbeschäftigung einzulassen. Gründe hierfür kann ich nur vermuten und stelle sie zur Diskussion. So könnte es sein, daß die Arbeitgeber eine öffentliche Auseinandersetzung über ihren Part bei der Ausländerbeschäftigung insofern befürchten mußten, als eine politisch vorwiegend links angesiedelte Kritik an der Massenanwerbung und -beschäftigung nichtdeutscher Arbeitnehmer bereits lange vor der Rezession zur Szenerie gesellschaftspolitischer und wirtschaftspolitischer Auseinandersetzungen über unser Wirtschaftssystem überhaupt gehörten. Im weiteren Verlauf der Ausländerbeschäftigung war dann mit Eintreten der Rezession eine noch härtere Diskussion zu erwarten.

Einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der Arbeitgeber sehe ich in der Forderung, die bereits vor Beginn des großen Konjunkturtiefs von SPD-Politikern erhoben wurde, die Arbeitgeber als "Verursacher" der durch den Familiennachzug aufgetretenen infrastrukturellen Friktionen über die bereits erhöhten Anwerbepauschalen hinaus zur Kasse zu bitten. Auch hier handelte es sich um eine Grundsatzdiskussion, von der seinerzeit nicht abzusehen war, wie sie ausging.

Vielleicht hätten sich die Arbeitgeber auch nur sehr ungern öffentlich auf die Beantwortung von Fragen festlegen lassen wollen, wie sie es mit der Integration, der Rotation und auch mit dem Vorrang des deutschen Arbeitnehmers u.ä. halten. Schließlich durfte wohl ein öffentliches Engagement von Arbeitgeberseite auch überflüssig erscheinen, da sich herausstellte, daß DGB und Bundesarbeitsministerium ihrerseits durchaus bereit waren, die arbeitsmarktpolitischen Kohlen aus dem Feuer zu holen.

1. 2 Der Einfluß im Hintergrund

Das Fehlen auf öffentlicher Bühne hat die Arbeitgeber aber keinesfalls zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Sie waren maßgeblich vertreten in den einschlägigen Koordinierungskreisen auf Länderebene, im Koordinierungskreis "Ausländische Arbeitnehmer" des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, sie stell(t)en ein Drittel der Mitglieder in den Selbstverwaltungsorganen der Bundesanstalt für Arbeit und waren einbezogen in die Bund-Länder-Kommission "Zur Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik". Der Schwerpunkt politischer Einflußnahme auf die Ausländerbeschäftigung muß aber bei einem informellen Kontaktkreis gelegen haben, der im Anschluß an ein Spitzengespräch der Sozialpartner am 16.11.1973 mit dem Auftrag gebildet wurde, alle mit der Ausländerbeschäftigung zusammenhängenden Probleme zu untersuchen (Jahresbericht der BDA 1974). Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß das Bundesarbeitsministerium am 22.11. den Anwerbestopp erlassen hat. Der dann regelmäßig mehrmals im Jahr tagenden Arbeitsgruppe gehörten auch Vertreter des Bundesarbeitsministeriums und der Bundesanstalt für Arbeit als ständige Gäste an. Somit waren alle für die Ausländerbeschäftigung Maßgeblichen in diesem Expertenkreis versammelt. Im Jahresbericht der BDA 1974 (S. 5) heißt es wörtlich: "Dabei wurden kurz- und mittelfristige Maßnahmen, insbesondere aber das jeweilige Verhalten der beiden Sozialpartner, weitgehend einvernehmlich erörtert, um damit eine flexible Reaktion auf die Beschäftigungsrisiken zu ermöglichen". Über das, was das bedeuten könnte, enthalten die folgenden Jahresberichte nur Floskelhaftes, etwa in dem Sinn, daß dieser Gesprächskreis, der weitergeführt werde, sich wiederum als nützliche Form für eine kooperative und konstruktive Behandlung der vielschichtigen Probleme der Ausländerbeschäftigung erwiesen habe, deren gemeinsame. Lösung im allseitigen Interesse liege. (BDA 1975 und 1976). Wie einvernehmlich die Abstimmung tatsächlich erfolgte zeigte sich etwa beim Koordinierungskreis des BMA am 13.4.1977, als es um die Stellungnahme dieses Kreises zu den Empfehlungen der Bund-Länder-Kommission "Zur Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik" ging, schließlich auch beim gleichen Abstimmungsverhalten der Sozialpartner in der Bund-Länder-Kömmission selbst. (vgl. Protokoll der Sitzung der Bund-Länder-Kommission vom 15./16.2. 1977, abgedruckt in epd-Dokumentation Nr. 16/77).

1.3 Die wirklichen Positionen bleiben unklar

Dennoch wird aus den mir zur Verfügung stehenden Unterlagen, die gelegentliche Stellungnahme von Arbeitgebern, von Arbeitgebervertretern und von diesen nahestehenden wissenschaftlichen Instituten einschließen, nicht deutlich genug, welche Rolle die Arbeitgeber in den politischen Entscheidungsprozessen der Ausländerbeschäftigung gespielt haben, welche Positionen sie bei den Verhandlungen, an denen sie teilgenommen haben, wirklich vertreten haben, wie stark die Interessenidentität mit dem DGB war und inwieweit sie sich - gleich aus welchen Gründen - von den Gewerkschaften ins Schlepptau nehmen ließen. Nicht bekannt geworden ist mir, daß es etwa einen entschiedenen Protest der Arbeitgeber gegen die offizielle Ausländerpolitik der Regierung gegeben hat. Damit wären m.E. die Arbeitgeber in die Kritik einzubeziehen, die sich gegen die konjunkturelle Manipulierbarkeit der ausländischen Arbeitnehmer gewendet hat. Außerdem halte ich es in unserer Gesellschaftsordnung für unangemessen, wenn eine gesellschaftlich so bedeutende Macht wie die Arbeitgeber z.B. in der Ausländerbeschäftigungspolitik im Hintergrund bleiben, die Öffentlichkeit über ihre Intentionen in Unkenntnis lassen und damit nicht bereit sind, in einen- offenen und weiterführenden Meinungsbildungsprozess aller gesellschaftlich relevanten Kräfte einzutreten. Umso mehr freue ich mich über die in jüngster Zeit feststellbaren Signale, daß sich dieses Verhalten zu ändern scheint, und die Arbeitgeber sich in der Öffentlichkeit ihrer besonderen bildungspolitischen Verantwortung gegenüber der zweiten Einwanderergeneration stellen.

2. Struktur und Bedarf der Ausländerbeschäftigung,

2.1. Daten zur Beschäftigung nichtdeutscher Arbeitnehmer.

Bevor ich darauf des Näheren eingehe, möchte ich Ihnen die wichtigsten Ergebnisse einer Bestandsanalyse in der Ausländerbeschäftigung vorlegen, die Ende 1976 mit Unterstützung des Bundesministers für Forschung und Technik gemacht wurde und der die Fragebogenergebnisse von ca. 1.700 Betrieben zugrunde liegen. Das Ergebnis, der wissenschaftlichen Betriebserhebung wurde 1978 von Gaugler und Weber unter dem Titel "Ausländer in deutschen Industriebetrieben" veröffentlicht und kann wohl als repräsentativ angesehen werden. Die Antworten stammen aus Industriebetrieben des verarbeitenden Gewerbes (ohne Baugewerbe) mit mindestens 200 Beschäftigten oder mindestens DM 500.000.- Kapital oder mindestens 5 Mio. DM Umsatz (S.4).

Es stellte sich heraus, daß der durchschnittliche Ausländeranteil in diesen Betrieben mit 20,4% mehr als doppelt so hoch liegt wie in der Gesamtwirtschaft, und daß. fast ein Viertel der Betriebe eine Ausländerquote von 30 und mehr Prozent aufweist.(S.15)Trotz des Rückgangs der Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik von 21,5% zwischen 1973 und 1975, ist die Ausländerquote bei einem Drittel der Betriebe, die hierzu Angaben gemacht haben, konstant geblieben und hat sich bei einem weiteren Drittel sogar erhöht (S.16.).

Besonders hohe Ausländerquoten sind in den Branchen Kunststoff/Gummi/Asbestverarbeitung, Metallerzeugung/-bearbeitung zu finden (S.19). Die Tendenz, daß hohe Ausländerquoten umso eher anzutreffen sind, je größer der Betrieb ist, hat sich verstärkt (S.24). Betriebe mit hohem Ausländeranteil schätzen ihren Bedarf an un- bzw. angelernten gewerblichen Arbeitnehmern vergleichsweise häufig als steigend ein und werden nach Auffassung der Wissenschaftler sich auch in Zukunft kaum von der Ausländerbeschäftigung trennen(S.29).

Bei Betrieben mit hoher Ausländerquote ist besonders häufig ein stark schwankender Personalbestand feststellbar. "Unternehmen, die ein personalpolitisches Konzept der Disponibilität des Personals verfolgen, greifen bevorzugt auf die Beschäftigung von Ausländern zurück“(S.107). Nur ein Drittel der Betriebe hat für die Ausländer die gleiche niedrige Fluktuationsquote wie für die deutschen Beschäftigten. Durchweg ist die Fluktuationsquote der ausländischen Arbeitnehmer doppelt so hoch wie die der Deutschen (S.115). Auch die Entlassungsquoten für Ausländer sind mehr als doppelt so hoch wie für ihre deutschen Kollegen. Der Personalabbau 1974/75 hat sich in besonderem Maße über die beschäftigten Ausländer vollzogen.

Ausländer sind stärker von Unfällen betroffen (S.129), zumal Betriebe, in denen Ausländer beschäftigt sind, ein insgesamt höheres Unfallrisiko aufweisen (S.135); allerdings nimmt die Unfallquote mit einer größeren Zahl von Integrationsmaßnahmen seitens der Betriebe ab(S.140).

Fast ein Drittel der Betriebe weist bei den Ausländern eine Krankheitsquote von weniger als 4% auf. Das ist bei Deutschen nur in einem Fünftel der Betriebe der Fall. Allerdings ist in Betrieben mit Ausländerbeschäftigung die Krankheitsquote signifikant höher als in Betrieben, die keine Ausländer beschäftigen. Das wird aber wiederum eher auf die Art der Arbeit als auf grundsätzliche Verhaltensweisen der Beschäftigten zurückgeführt(S.147).

Von den 1.300 Betrieben, die Angaben zum Betriebsrat gemacht haben, verfügen ein Viertel auch über ausländische Betriebsräte. Während aber ein Betriebsratsmitglied auf 19 gewerblich Beschäftigte entfällt, ergibt sich bei den Ausländern ein Verhältnis von etwa 1 zu 110 (S.151). 40% der Betriebe stellen Betriebsratsmitglieder frei, allerdings keinen einzigen Ausländer. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Integrationsmaßnahmen in Betrieben und Vorhandensein von ausländischen Betriebsratsmitgliedern (S.157).

Was die Qualifikationsstruktur der gewerblich beschäftigten Arbeitnehmer angeht, sind knapp mehr als die Hälfte der Ausländer Ungelernte. Jeder zweite Betrieb hat unter seinen ausländischen Belegschaftsmitgliedern überhaupt keine Facharbeiter (S.74/75). Je größer der ungelernte Anteil in einem Betrieb ist, desto eher wird auch der künftige Bedarf an Ungelernten als steigend angegeben (S.78).

Hinsichtlich der Ausbildung der ausländischen Jugendlichen hat die Studie ermittelt, daß nur 1,7% der 34.000 Auszubildenden Ausländer sind, wobei die Abgangsquote an Haupt- und Realschulen 1:10 beträgt (S.84). Wer mehr deutsche Auszubildende beschäftigt, beschäftigt auch mehr ausländische Auszubildende(S.89). Die allgemeine Ausbildungsquote nimmt mit zunehmender Betriebsgröße ab (S.91). Durchschnittlich entfallen auf 12 gewerblich Beschäftigte ein Auszubildender. Bei den ausländischen Kollegen sind es 71, auf die ein ausländischer Auszubildender kommt, in Großbetrieben sogar 143. Unter 1.000 Betrieben, die kaufmännisch Auszubildende haben, sind nur 54, die auch Ausländer ausbilden.

Sehr breit befasst sich die empirische Untersuchung mit den in Betrieben durchgeführten Integrationsmaßnahmen und ihre Auswirkungen. Dabei wird festgestellt, daß ein Drittel der Betriebe z.Zt. keine Integrationsmaßnahmen durchführt (S.43). Wo sie durchgeführt werden, stehen Wohnraumbeschaffung und Überwindung sprachlicher Kommunikationshindernisse an erster, bzw. zweiter Stelle (S.45).

Häufigere Anwender von Integrationsmaßnahmen sind Großbetriebe (S 51) Betriebe mit konstantem Ausländeranteil und Betriebe mit einem hohen Anteil von Türken (S.55) Betriebe, die eine Strategie der Konzentration auf die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer u. auf bestimmte Nationalitäten anwenden, ergreifen überdurchschnittlich keine Integrationsmaßnahmen. Auch in Betrieben ohne ausländische Facharbeiter gibt es nur selten integrationswirksame Maßnahmen (S. 63).

Die Studie, die als empirische natürlich keine Motiv- und Ursachenuntersuchung betreibt und bei den Ergebnissen auch dort stehen bleiben muß, wo die eigentlichen Fragen beginnen, fasst u.a. ihre Ergebnisse dahingehend zusammen, daß hohe Beschäftigtenzahl und Massenfertigung häufig mit einem hohen Ungelerntenanteil, sowie mit Schichtarbeit verbunden ist, und diese Konstellation hohe Ausländeranteile begünstigt (S.171).

Das gelte vor allem auch für die Qualifizierung der Jugendlichen, deren wirtschafts- und damit auch gesellschaftspolitische Tragweite kaum stark genug betont werden könne. Die Interessenvertretung der Ausländer sei ebenfalls stark unterentwickelt.

2.2 Ausländerbeschäftigung als Strukturkonstante

2.2.1 Unersetzbarkeit nichtdeutscher Arbeitskräfte

Die Untersuchung bestätigt im wesentlichen die bisherigen Erkenntnisse über Funktion, Umfang und Charakter der Ausländerbeschäftigung. Für einige Aspekte lässt sich dieses Bild folgendermaßen zusammenfassen: Die Ausländerbeschäftigung ist eine Strukturkonstante der bundesdeutschen Wirtschaft. Rezession und restriktive Ausländerbeschäftigungspolitik haben zu einem massiven Rückgang der Beschäftigung nichtdeutscher Arbeitnehmer von 2,6 Millionen auf 1,9 Millionen geführt. Dieser Rückgang entspricht nicht den Erwartungen und Vorstellungen, die die Arbeitsmarktpolitiker gehabt haben und unterstreicht damit die Ausländerbeschäftigung als einen unverzichtbaren Bestandteil, mit dem allerdings auf sozialpolitisch bedenkliche Weise konjunkturell geatmet wurde. Die Arbeitnehmer nichtdeutscher Herkunft haben in einem hohen Maße das Beschäftigungsrisiko tragen müssen, und zwar einerseits als wenig qualifizierte Arbeitnehmer und andererseits als Nichtdeutsche. Ihre Interessenvertretung und die Möglichkeiten des Einflusses auf das Betriebsgeschehen sind im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes völlig unzulänglich. Ihre mangelnde berufliche Qualifikation, fehlende Alternativen bei der Wahl des Arbeitsplatzes, aufenthaltsrechtliche Unsicherheiten, Kommunikationsdefizite und eigene vordergründige Sparziele, die immer wieder hinausgeschobenen Rückkehrvorstellungen prädestinieren sie für Arbeitsbereiche, für die kaum mehr deutsche Arbeitnehmer gewonnen werden können, bei denen ein erhöhtes Unfallrisiko besteht, besondere Umweltbelastungen auftreten und Schicht- und Akkordarbeit den Arbeitsrhythmus bestimmen. Die vor allem vom Lande Baden-Württemberg propagierte Substituierung der Ausländer durch deutsche Arbeitslose darf im wesentlichen als gescheitert betrachtet werden. Die betriebliche Ausbildung der ausländischen Jugendlichen gilt als geradezu hoffnungslos

2.2.2 Das Beispiel Frankfurt

Die Unersetzbarkeit des typischen "Gastarbeiters", die unter Experten und sicher auch unter den Arbeitgebern nie ernsthaft bestritten war, kommt noch deutlicher zum Ausdruck in der Beschäftigtenstruktur einer Wirtschaftsmetropole wie Frankfurt und in dem Ruf verschiedener Wirtschaftszweige in der Bundesrepublikrepublik nach der Erschließung wiederum neuer Arbeitskraftreserven. Derzeit nehmen die nichtdeutschen Arbeitnehmer ein Viertel der Arbeitsplätze im Frankfurter Baugewerbe ein. Im Leder-Textil- und Bekleidungsgewerbe sind sie zu 40%, im Hotel- und Gaststättengewerbe zu einem Drittel und im Reinigungsgewerbe sogar fast zur Hälfte vertreten. (Asemann, Arbeitsstätten und Beschäftigte in Frankfurt a. Main, 1977). Nicht enthalten in der Beschäftigtenstatistik sind naturgemäß die illegal Beschäftigten. Frankfurts Oberbürgermeister Wallmann schätzt die illegale Wohnbevölkerung seiner Stadt auf 30 bis 40.000. Übertragen wir die Beschäftigtenquote der nichtdeutschen Wohnbevölkerung von augenblicklich 56 % auf diese Gruppe amtlich nicht Erfasster, so müssen dem Frankfurter Arbeitsmarkt zwischen 15.ooo bis 2o.ooo illegal Tätige zugerechnet werden.

Angesichts dieser Fakten zeigt sich die einmalige Bedeutung der nichtdeutschen Erwerbsfähigen für die Großstadt Frankfurt. Sie tragen entscheidend dazu bei, daß bestimmte Betriebe und Fabriken überhaupt weitergeführt werden können. Ohne sie hätte Frankfurt seine Position als Wirtschaftsmetropole nicht ausbauen können. Frankfurts eingesessene Arbeitnehmerbevölkerung, und die relativ große Zahl der Einpendler waren und sind außerstande, die erforderliche Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die Erwerbsbevölkerung nichtdeutscher Herkunft stellt in hohem Maße geeignete junge, kräftige und anpassungsfähige Menschen, die die ihrer Altersgruppe natürlicherweise zufallenden Lasten zugunsten der Älteren und gesundheitlich Beeinträchtigten übernehmen. Damit gewährleisten sie auch die Steigerung der Produktivität und halten genügend physische und psychische Reserven für Veränderungen und Umstellungen des Produktionsablaufes vor. Man vergesse nicht, daß das Anwerbesystem der Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Anwerbekommissionen in den entsprechenden Ländern seinerzeit nur junge, gesunde und kräftige Menschen ausgesucht hat, die von ihrer Konstitution und Einstellung her den in unserer Wirtschaft bestehenden Arbeitskräftemangel nicht nur ergänzt, sondern vor allem auch regeneriert haben. So wurde nicht nur einfach Arbeitskraft importiert, sondern auch die Verjüngung unseres Arbeitskräftepotentials.

3.Die Abdeckung des künftigen Arbeitskräftebedarfs

3.1 Der dauernde Bedarf

Dieser Vorgang ist durch den Anwerbestopp im November 1973 beendet worden, hat aber den kontinuierlichen Bedarf an jungen und kräftigen Menschen, die zur Übernahme schwerer, unattraktiver und gesellschaftlich minder bewerteter Arbeit fähig und willens sind, nicht aufhören lassen. Dies wurde in der Rezession nicht so deutlich und konnte in etwa auch durch nachziehende Familienangehörige und die illegale Beschäftigung aufgefangen werden. Die Kontinuität dieses Bedarfs ergibt sich m.E. daraus, daß der nicht umkehrbare Trend der deutschen Arbeitnehmerschaft in bessere Positionen aufzusteigen, sich auch auf die nichtdeutsche Arbeiterschaft übertragen hat, in der eine starke Aufsteigermentalität vorhanden ist. Der arbeitsmarktpolitische Versuch, die zweite Generation in diese Bereiche zu lenken, dürfte bereits jetzt als gescheitert angesehen werden.

3.2 "Gastarbeiter"in Italien!

Der permanente Bedarf hochindustrialisierter Wirtschaften nach Arbeitskräften, die die von den Einheimischen - auch von den arbeitslosen - nicht mehr angenommenen Arbeitsplätze übernehmen, zeigt sich drastisch in Italien. Italien, ein Land mit hoher Arbeitslosigkeit, vor allem im Süden, und Millionen Arbeitsemigranten in aller Welt, ist inzwischen zu einem Einwanderungsland für Ausländer geworden. Dem Osservatore Romano vom 20.1.1978 ist zu entnehmen, daß das italienischen Arbeitsministerium allein für Rom 120.000 illegale Arbeitskräfte annimmt, während die Gewerkschaften für Italien mit etwa 500.000 mehr oder weniger illegalen Arbeitskräften aus Afrika, Lateinamerika und anderen Mittelmeerländern rechnen. Das EG-Magazin 7/8 von 1978 bringt einen Artikel unter der Überschrift "Gastarbeiter für das Gastarbeiterland". Diese "Gastarbeiter" kommen über Sizilien oder Jugoslawien ins Land. Viele reisen auch ganz legal ein und bleiben einfach da. Jede Woche landen Dutzende von Nordafrikanern im Fischereihafen Mazara del Vallo an Siziliens Südküste. Hier werden sie zuerst einmal von der örtlichen Mafia-Organisation vermittelt als billige Arbeitskräfte auf Fischerbooten und in Lagerschuppen. Des weiteren sind die Illegalen tätig als Tellerwäscher, Marktträger, Boten und Tomatenpflücker. Es gibt "Agenten", die Mädchen aus Eritrea und Somalia, aus Äthiopien, von Mauretanien und den Westindischen Inseln als Hausangestellte für wohlhabende Familien in Rom vermitteln. Das italienische Dienstleistungsgewerbe beschäftigt die Illegalen in Bars, Restaurants, Pensionen und Pizzerias.

Die großen Gewerkschaften fordern zwar eine Eindämmung des Zuwandererstroms, eine bürokratische Erfassung - es gibt keine offiziellen Zahlen -, die Legalisierung, gesetzliche Tarifverträge und die Garantie sozialer Leistungen. Die Arbeitsbedingungen für die Illegalen sind bekanntermaßen miserabel, z.T. vegetieren sie im Freien oder in lichtlosen Kellern dahin, müssen auf alle sozialen Leistungen verzichten und kassieren einen Lohn, der weit unter dem des Tarifvertrages liegt. Soweit Italien! Und was ist bei uns in der Bundesrepublik ?

3.3 Die illegale Beschäftigung

Illegale Beschäftigung ist auch in. der Bundesrepublik gang und gäbe. Im Ausländerbericht des Magistrates der Stadt Dietzenbach bei Frankfurt, einer Kommune mit 2.800 Menschen anderer Muttersprache unter 23.000 Einwohnern, wird die Zahl der illegal Beschäftigten, die also keine gültige Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis besitzen, auf 200 bis 300 Personen geschätzt. Sie leben bei Verwandten oder Bekannten und finden Arbeit im Raum Frankfurt und Hanau in Wäschereien, Hotels, Reinigungsbetrieben und sonstigen Kleinbetrieben. Die Vermittlung erfolgt über Organisationen mit internationalen Verbindungen, die den Löwenanteil des Verdienstes einstreichen. Die vermittelnde Organisation transportiert die sogenannten Illegalen in Kleinbussen oder PKWs zum jeweiligen Arbeitsplatz. Sie wacht auch darüber, daß die einzelnen Arbeitnehmer nicht bekannt werden, und vermittelt sie deswegen an ständig andere Arbeitsstellen.

Ein italienischer Bekannter von mir, der von Beruf Maurer ist, schätzt, daß in seinem Gebiet jeder zehnte Arbeiter auf den Baustellen illegal eingesetzt ist. Er berichtet mir von einem ungesetzlich beschäftigten Marokkaner, der sich eine schwere Handverletzung zuzog. Niemand brachte ihn zum Arzt. Er verschwand irgendwohin auf Nimmerwiedersehen. Dieser Tage hat mich mein Nachbar, der eine maßgebliche Funktion in einem großen Bauunternehmen ausübte und mit dem ich seit 10 Jahren in gutem Einvernehmen lebe, in geradezu beleidigender Weise mangelnder Fairness und Unkenntnis der Situation bezichtigt , weil ich in einem Rundfunkinterview auf die Problematik von Saisonarbeit und illegaler Beschäftigung hingewiesen hatte. Meine Unkenntnis gebe ich gerne zu, weil ich davon ausgehe, daß viele Unternehmer in der Bauwirtschaft, die mit modernen Sklavenhändlern paktieren, wesentlich mehr wissen.

Nach der Frankfurter Rundschau vom 29.6.sollen rund 800 legalen Firmen, die etwa 30.000 Arbeitskräfte unter strengen Auflagen vermitteln, rd. 5.000 illegale Vermittler mit einer Kapazität von 80.000 Beschäftigten gegenüberstehen. 1977 heißt es in der gleichen Zeitung, daß Subunternehmer im Baugewerbe, die meist jugoslawische Gastarbeiter entgegen den Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes an Großfirmen verleihen, gerade mit der ungewissen Konjunkturlage auf dem Bausektor ihr großes Geschäft machten. Sie zahlten häufig keine Steuern und führten für ihre Mitarbeiter keine Sozialabgaben ab. Viele Baufirmen, so behaupteten Justiz, Gewerkschaft, Polizei und Steuerbehörden spielten nicht nur mit, sondern förderten kräftig die illegalen Praktiken. So griffen die Großbetriebe lieber auf das Arbeitskräftereservoir der Subunternehmer zurück, weil die entliehenen Bauarbeiter gewichtige Vorteile böten: Für einen Stundenlohn von DM 20.- bis 25.-, von dem der Vermittler einen Großteil einbehält sind sie preiswert zu haben, da die Großfirmen ihren Anteil an den Sozialabgaben sparen. Vor allem aber sind sie für Termingeschäfte bestens verwendbar. Ist die Arbeit auf einer Baustelle beendet, kosten sie kein Geld mehr, ist die Auftragsdecke wieder kürzer, "haben die Firmen keinen finanziellen Klotz am Bein", wie es ein Steuerfahnder ausdrückt (FR 19.4.77).

"Sklaven rechnet man in Kubikmeter ab", Überschrift eines Artikels der Stuttgarter Zeitung vom 20.August 1979. Darin behauptet ein Funktionär der IG-Bau, Bezirksverband Stuttgart, daß es im Bezirk mindestens 100 private. Firmen gäbe, die Arbeitskräfteverleih betrieben. Hierbei sei die weitaus größte Zahl der vermittelten Arbeitnehmer illegale ausländische. Arbeiter für Baufirmen. Die Baufirmen griffen immer gieriger nach ihnen, obwohl es sich bei diesen Arbeitern fast ausschließlich um solche handele, die für diese Arbeit nicht die geringsten Qualifikationen aufwiesen. Der Gewerkschafter hatte eine Woche zuvor auf einer Stuttgarter Baustelle eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Eine als seriös bekannte französische Verleihfirma vermittelte dort 31 Arbeiter, von denen nur 13 eine Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis besaßen. Durch einen Trick werde die Steuerfahndung getäuscht, in dem man die nach Zeiteinheiten berechnete Vergütung eines Leiharbeiters in Maßeinheiten - etwa cbm oder qm – umwandelt. Damit fällt ein solcher Vertrag nicht unter die Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.

Die Europäische Kommission in Brüssel schätzt;-- für 1976 die Zahl der aus Drittländern illegal eingereisten und beschäftigten Arbeitnehmer, ohne die Familienangehörigen, auf 600.000. (Handelsblatt 5.11.1976) Diese Zahl entspricht etwa einem Zehntel der regulären eingewanderten Arbeiterschaft. Für die Bundesrepublik wurden seinerzeit etwa 200.000 Illegale angesetzt. (FNP 20.7.1977) Die illegale Beschäftigung von Ausländern ist ein Krebsgeschwür unserer Gesellschaft, das letztlich durch das wirtschaftliche Ungleichgewicht in Europa und der Dritten Welt möglich wird. Die strafverschärfenden Bestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung vom 25. April 1975 haben zwar kaum eine Besserung gebracht, dennoch muß diese Form der Ausbeutung von Menschen in unserer Gesellschaft geächtet werden. Hier liegt die entscheidende Verantwortung bei den Arbeitgebern, an die die Frage zu stellen ist, wie sie es künftig mit der Beschäftigung Illegaler zu halten gedenken.

3.4 600.000 Mitarbeiter gesucht

In einer Konjunkturlage, die in bestimmten Regionen wie in Baden-Württemberg und Hessen bereits mit Vollbeschäftigung einhergeht, stellt sich nach meinem Überblick des letzten halben Jahres die Arbeitsmarktlage folgendermaßen dar:

Der Deutsche Gießerei-Verband vermittelt der Öffentlichkeit seine großen Sorgen wegen dringend gesuchter Arbeitskräfte. Eine Branche, die fast 30 % Gastarbeiter beschäftigt, in einigen Ballungsgebieten liegt dieser Anteil sogar über 60 %, hat einen verstärkten Mangel nicht nur an Facharbeitern, sondern auch an angelernten und ungelernten Arbeitern (SZ 28.2.79 und 11.6.79). Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks gibt die Zahl von 150.000 Fach- und Hilfskräften an, die in den Handwerksbetrieben der Bundesrepublik sofort eingesetzt werden könnten (ZDF 14.2.79).

Die Metallindustrie von Baden-Württemberg konnte zum Jahresbeginn nur 2 Drittel ihres Bedarfs an neuen Arbeitskräften decken (ZDF). In den Krankenhäusern fehlen nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft 28.000 Arbeitskräfte. (ZDF Mai 79).

Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels bietet 50.000offene Stellen an (FAZ 6.6.79).

Der Zechengesellschaft im Ruhrgebiet fehlen rd. 2.500 Arbeitskräfte (ZDF 4.8.79).

In Berlin werden dringend 2.000 Fach- und Hilfskräfte für das Hotelgewerbe gesucht.

Der Syndikus des Bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbes bezeichnet die Personalsituation in der Gastronomie als chaotisch (SZ 7.6.79).

Gerold Tandler, bayerischer Innenminister, verweist darauf, daß ganze Industriezweige von Asylsuchenden lebten, die eingeschleust würden (FR 30.7.79).

Eine Umfrage des Arbeitsrings Chemie in Wiesbaden ergab, daß gegenwärtig knapp 2.000 Arbeitsplätze für Arbeiter unbesetzt sind.(ZDF 11.8.79).

"Die deutsche Wirtschaft sucht in der Bundesrepublik 600.000 Mitarbeiter", dies erklärt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, F.-H. Himmelreich. Die vielen unbesetzten Arbeitsplätze seien ein Handicap für Investitionen und Wirtschaftswachstum (SZ 30.3.79).

Die Bundesanstalt für Arbeit gibt bekannt, daß bereits im September des vergangenen Jahres mit knapp 20,5 Mio. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten das Niveau vor der Wirtschaftskrise bereits fast wieder erreicht worden sei (FR 28.7.79).

3.5 Aufhebung des Anwerbestopps?

Wir haben es also derzeit mit massiven Friktionen auf dem Arbeitmarkt zu tun, und zwar trotz der Beschäftigung von immerhin noch 1,9 Mio nichtdeutschen Arbeitnehmern, trotz hunderttausendfacher Beschäftigung von Illegalen und trotz relativ hoher Arbeitslosigkeit. Wie nun gedenken die Arbeitgeber und Politiker mit dieser Lage fertig zu werden, zumal man sich darüber einig ist, daß .der Anwerbestopp grundsätzlich beibehalten werden soll? Ein gewisser Unterschied zur Bundesregierung besteht darin, daß die Arbeitgeber zwar Ausnahmeregelungen beim Anwerbestopp nicht ausschließen. So hat die Vereinigung Hessischer Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände e.V. im Februar 1977 an den Hessischen Sozialminister geschrieben, der Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer müsse grundsätzlich aufrechterhalten werden, allerdings müßten zu gegebener Zeit zur Sicherstellung des Kräftebedarfs der Wirtschaft flexible Regelungen möglich werden. Im gleichen Schreiben hatten die Hessischen Arbeitgeber außerdem die Auffassung vertreten, daß ein bewusst in Kauf genommene oder forcierte, tendenzielle Abnahme der Ausländerbeschäftigung in einzelnen Wirtschaftsbereichen deren Interessen zuwiderliefe (Materialdienst des Initiativausschusses "Ausländische Mitbürger in Hessen 20/77).

Die Arbeitsgruppe Fremdenverkehr der SPD-Bundestagsfraktion hat Bundesarbeitsminister Ehrenberg aufgefordert, u.a. die vierjährige Beschäftigungssperre für Ehepartner von nichtdeutschen Arbeitnehmern drastisch zu verkürzen und eine verstärkte Anwerbung von gastronomischem Fachpersonal aus EG-Ländern zu betreiben (SZ 13.7.79).

Der Bundesverband der Selbständigen hat die Bundesregierung angegangen, den Einstellungsstopp für Ausländer zu lockern (FAZ 13.7.79).

In seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung von Baden-Württemberg hat Dr. Steeb MdL den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth auf eine gefährliche Zuspitzung der Arbeitsmarktlage gerade bei mittelständischen Betrieben in der Region Mittlerer Neckar hingewiesen und ihn dringend gebeten, die Bemühungen um eine Lockerung des Anwerbestopps bis zum Erfolg fortzusetzen. Solche Forderungen sind aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe - auch in früherer Zeit - erhoben worden, wurden aber von der Bundesregierung und auch dem DGB, ebenso von den großen Parteien zurückgewiesen (Stuttgarter Zeitung vom 20.8.79).

Diese Bitte steht in einem offensichtlichen Zusammenhang mit dem stark beachteten Vorstoss zur Lockerung des Anwerbestopps zugunsten der Gastronomie, den Ministerpräsident Lothar Späth am 30.Mai unternommen hat. In der Pressemitteilung des Staatsministeriums Baden-Württemberg hieß es, daß die Landesregierung sich dafür einsetzen werde, einen einmaligen, zeitlich und zahlenmäßig begrenzten Versuch mit der Anwerbung von bis zu 1.000 ausländischen Saison-Arbeitskräften für die Dauer von 6 bis 8 Monaten nach dem sog. "Schweizer Modell" zu erproben. Auf der Landespressekonferenz, die auszugsweise vom Süddeutschen Rundfunk übertragen wurde, gab Späth zu, daß es sich bei diesem Vorschlag um Rotation handele. Wörtlich beschreibt er sie folgendermaßen: "Die Gastronomie wirbt an, und nur da dürfen sie hin. Sie dürfen nur für die Frist von 6 bis 8 Monaten hier sein. Der Arbeitgeber muß die Rückreisekosten hinterlegen. Wenn die Frist abgelaufen ist, werden sie mit den schon vorgelegten Kosten abgeschoben, falls sie nicht freiwillig zurückgehen."

Die Zulassung von Saison-Arbeitern nach dem "Schweizer Modell" hatte einige Wochen zuvor auch der Industrieverband Steine und Erden in Baden-Württemberg gefordert. Um eine Lockerung des An werbestops für ausländische Arbeitnehmer zu erreichen, führt dieser Industrieverband, bislang als einziger, einen Musterprozess vor dem Karlsruher Verwaltungsgericht (dpa 3.Mai 1979). Auch die Gießerei-Industrie hat sich wieder mit ihrem Arbeitskräftebedarf in der Öffentlichkeit gemeldet, und gleichfalls die Lockerung des Anwerbestopps - besonders für Türken - gefordert. Dies solle mit einer zeitlichen Begrenzung des Einsatzes und einer Rückkehrverpflichtung verbunden werden.(Südd.Z.3.8.1979).

3.6 Das Urbild des "Gastarbeiters"

Damit haben wir von verschiedenster Seite wieder die Forderung nach der Rotation auf dem Tisch, von der angenommen werden konnte daß sie nach heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit nicht mehr erhoben würde. Gerade auch die Kirchen haben sich mit Entschiedenheit gegen die Rotation, d.h. gegen das periodische und kontinuierliche Auswechseln nichtdeutscher Arbeitnehmer gewandt. Was die Einführung des "Schweizer Modells" anbelangt, wurde kirchlicherseits auf den jahrelangen Kampf hingewiesen, den die Schweizer Kirchen gegen das Saisonarbeiterstatut geführt haben. Lockerung des Anwerbestopps und Einführung eines Saisonarbeiterstatus werden derzeit von der Bundesregierung von der Bundesanstalt für Arbeit, von den Gewerkschaften und von den Parteien bis hin zur CDU strikt abgelehnt. Wie lange werden sie das können, wenn die Arbeitgeber in ihren Forderungen immer massiver werden?

Dabei ist zu beachten, daß hinter der Forderung nach Einführung der Rotation in dieser oder jener Form im Grunde das Urbild des "Gastarbeiters" wieder auftaucht, wie es kaum besser beschrieben werden konnte, als in der vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg 1975 herausgegebenen Denkschrift "Ausländische Arbeitnehmer in Baden-Württemberg". In ihr wird das Anfangsstadium der Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik gleichsam als das goldene Zeitalter herausgestellt. Gedacht ist nämlich an den Menschen in seiner besten Arbeitsverfassung, ohne Familie, mit minimalen Ansprüchen an die Infrastruktur, der Steuern und Abgaben zahlt, ohne öffentliche Einrichtungen im entsprechenden Maße in Anspruch zu nehmen, der den Rentenberg mitträgt, nach kurzer Zeit wieder in seine Heimat zurückkehrt und je nach Konjunkturlage ersetzt. oder nicht ersetzt werden kann. Daß ein solcher Arbeiter in dieser begrenzt eingesetzten Zeit besonders anfällig für psychische oder psychogene Krankheiten ist, besonderen Gefahren am Arbeitsplatz ausgesetzt ist, eingeschränkt kommunikationsfähig bleibt, kaum Kontakte zur deutschen Seite aufnehmen kann, geringe Aussichten hat, seine Rechte wahrzunehmen, sexuellen Spannungen ausgesetzt wird, isoliert und in einem kulturellen und sozialen Ghetto leben muß, ohne irgendwelche Aufstiegschancen, daß er also nur in reduzierter Weise Mensch sein kann, lässt die Frage an die Arbeitgeber richten, welches Menschenbild sie vom Arbeitnehmer gerade nichtdeutscher Herkunft haben (vgl. Düsseldorfer Reformprogramm zum Ausländerrecht S. 190). Daran schließt sich an die nächste Frage, wie der Arbeitskräftebedarf denn nun gedeckt werden soll, ohne daß der Vorwurf unzulässiger Ausnutzung von Menschen aus anderen Ländern erhoben werden kann. Immerhin setzt Himmelreich von der BDA auf das novellierte Arbeitsförderungsgesetz und auf die überregionale Vermittlung der Arbeitsämter. Ein Kommentar des Handelsblatts vom 7.8.79 hält es für Selbstbetrug, Gastarbeiter als Lückenbüßer einspringen zu lassen. Es sei vielmehr Sache der Arbeitsmarkt- bzw. der Tarifpolitik Abhilfe für den Arbeitskräftemangel zu schaffen. Es sei der einzige Weg, der unsere Arbeitsmarktprobleme auf Dauer lösen könne. Der Kommentar schließt im Hinblick auf die Forderungen zur Lockerung des Anwerbestopps : "Lasst das Tor zuf"

4. Die Ausbildung der zweiten Generation

4.1 Eine Welle der Aufmerksamkeit

Selbst wenn "das Tor zubleibt" und die Arbeitsmarkt- und Tarifpolitiker mit neuen Strategien die Probleme des Überhangs an unbesetzten Arbeitsplätzen mit dem inländischen Arbeitskräftepotentials lösen sollten, bleibt eine nicht minder wichtige Aufgabenstellung, nämlich die berufliche Eingliederung der Nachkommen der ersten hier ansässig gewordenen nichtdeutschen Arbeitnehmergeneration.

Hier stehen die Zeichen relativ konfliktfreien Vorgehens und guter Kooperation aller in diesem Bereich beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen günstig. Seit einem geraumen Jahr sind eine so nicht vorhersehbare Zuwendung von Politik, Gesellschaft und Medien zur zweiten und dritten Einwanderergeneration feststellbar. Deren Integration ist bereits mehrmals im Bundestag behandelt worden und stand auch im Bundesrat zur Debatte. Außerdem dürfte es keinen in Frage kommenden Landtag gegeben haben, der sich nicht im Laufe der vergangenen Zeit , in der einen oder anderen Form mit der Integration befasst hätte.

Diese Aufmerksamkeit hat die verschiedensten Gründe: Einmal spielt sicher das Jahr des Kindes eine Rolle; dann aber auch die unübersehbare Präsenz großer Anteile nichtdeutscher Kinder in Schulen und Stadtvierteln unserer Großstädte, der starke Geburtenrückgang in der Bundesrepublik und die Diskussion über die Auswirkungen, die immer stärker werdenden Klagen über schulische Misserfolge der nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen, und nicht zuletzt die immer größer werdende Angst vor den Folgen einer Desintegration einer nach Hunderttausenden zählenden Jugend anderer ethnischer Herkunft. Nicht zuletzt ist auch in zentraler Weise das Interesse der Unternehmer angesprochen für die mageren Jahre eines abnehmenden Schülerberges ausbildungsmäßig vorzusorgen.

4.2 Die Sicht der Bundesanstalt für Arbeit

Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, hat im vergangenen Mai beim Studiengespräch des Instituts der Deutschen Wirtschaft über "Bevölkerungsentwicklung und Bildungsplanung in den achtziger Jahren" ein Referat über "Die berufliche Eingliederung der zweiten Ausländergeneration" gehalten (unkorrigiertes Manuskript). Wenn eine berufliche Eingliederung dieser Generation gelänge, so betonte Stingl, könnte dies bedeuten, "daß statt eines Rückgangs der Erwerbspersonen von 1990 bis 2000 um 1 Million das Erwerbspersonenpotential unverändert bleiben, bzw. sogar leicht anwachsen würde" (S.4). Wenn hingegen die Integrationsmöglichkeiten der. nachwachsenden Ausländergeneration nicht genützt würden, so sei zu erwarten, daß nach 1990 die Hereinnahme neuer erwachsener Ausländer notwendig würde, Bei der Auffüllung der Erwerbspersonenlücke nach 1990 sei die Wirtschaft auf Kräfte angewiesen, die über eine ausreichende Allgemeinbildung und über eine abgeschlossene berufliche Ausbildung verfügten (S.5).

Nach Stingl sehen die Erfahrungen der Arbeitsämter hinsichtlich der Berufsausbildung ausländischer Jugendlicher folgendermaßen aus:

·        Eine berufliche Eingliederung dieser Jugendlichen gelingt nur dann, wenn sie über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

·        Ihr Berufsverhalten gleicht sich mit zunehmender Aufenthaltsdauer dem der Deutschen an. Sie bevorzugen die gleichen Berufe, wie die Deutschen.. Berufe, die von deutschen Bewerbern weniger gewünscht' werden, sind auch bei den Ausländern nicht gefragt (z.B. Bau). Die Bandbreite der Berufe ist noch geringer als be: deutschen Jugendlichen.

·        Die ausländischen Ratsuchenden sind weniger flexibel, wenn sich ihre Berufswünsche nicht realisieren lassen.

·        Der Einfluß der Eltern auf die Berufswahl ist stärker als bei deutschen Jugendlichen.

·        Neben den mangelnden Sprachkenntnissen und unzulänglichen Bildungsabschlüssen spielt die Konkurrenz mit den deutschen Jugendlichen in den begehrten aber auch in den unbegehrten Berufen eine wesentliche Rolle für die berufliche Eingliederung,

Diese Erfahrungen müssen vornehmlich die Arbeitsmarktpolitiker desillusionieren, die behaupten, man könne die ausländischen Jugendlichen in die Berufe bugsieren,, für die deutsche Jugendliche nicht in genügendem Umfang zur Verfügung stünden. Man muß aber davon ausgehen, daß eine zweite Generation von Einwanderern sich grundlegend in ihren Erwartungen an das Aufnahmeland von der ersten Generation und deren Vorstellung unterscheidet. Insofern sie sich an den Chancen und Erwartungen ihrer einheimischen Alterskollegen orientieren, sind sie nicht mehr bereit, das als provisorisch gedachte Heloten-Dasein ihrer Väter für sich zu akzeptieren. Das schließt für sie generell nicht nur die Ablehnung der für die Angeworbenen reservierten, unattraktiven Arbeitsplätze aus, sondern auch der einen beruflichen Aufstieg einschließenden Ausbildungsplätze in weniger begehrten Berufen.

4.3 Einflüsse auf das Bildungsverhalten

Eine Ergänzung dieser Feststellungen der Arbeitsämter bietet eine wissenschaftliche Befragung von 840 italienischen und deutschen Auszubildenden und Jungarbeitern im Alter von 15 bis 20 Jahren. Untersucht wurden die Einflußfaktoren auf das Bildungsverhalten ausländischer Jugendlicher (Ursula Mehrländer,. "Einflußfaktoren auf das Bildungsverhalten ausländischer Jugendlicher," 1978).

Einige der wichtigen Ergebnisse seien im folgenden aufgeführt:

·        Zukunftspläne, die deutsche oder italienische Eltern für ihre Kinder haben, unterscheiden sich nicht grundsätzlich voneinander (S.24).

·        Von allen Auszubildenden konnte der größere Teil den ursprünglich gewünschten Beruf wegen fehlender Ausbildungsplätze oder fehlender Schulabschlüsse, wie Mittlere Reife, nicht erlernen (S.23).

·        Von den Jungarbeitern wollten 86 % der deutschen und immerhin 71 % der italienischen eine Lehre machen (S.72). Hierfür waren die fehlenden Hauptschulabschlüsse das größte Hindernis (S.23).

·        60 % der italienischen Auszubildenden, aber nur 10 % der italienischen Jungarbeiter konnten einen deutschen Schulabschluss vorweisen (bei den Deutschen 80 % und 15 %).

·        Je früher italienische Jugendliche eingereist waren, bzw. eingeschult wurdeq:,desto besser waren normalerweise Schulerfolg und Ausbildungschance (S.22).

·        Die Bleibe-Absicht wirkte sich günstig für die Aufnahme einer Berufsausbildung aus.(S.21).

·        Italienische Auszubildende sind stärker integriert, haben eher eine deutsche Freundin, pflegen eher ausschließlichen Kontakt mit Deutschen und äußern in geringerem Umfang Rückkehrabsichten (S.27).

·        Nur ein Fünftel von ihnen lebt in Wohngebieten mit überwiegend ausländischer Bevölkerung, während dies bei den Jungarbeitern doppelt so oft der Fall ist.

Für mich unterstreicht die Untersuchung die Notwendigkeit eines integrationsfreundlichen, gesellschaftlichen Umfeldes und einer Art sicherer Zukunftsplanung der Familie für das Gelingen einer beruflichen Eingliederung. Entsprechende Maßnahmen müssen ganzheitlich konzipiert werden, zumal sie im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Bildungschancen stehen. Der Vorrang der Bildungsabschlüsse ist unverkennbar.

4.4 Eine abgeschlagene Minderheit

Allerdings sind die derzeitigen Möglichkeiten für eine angemessene Bildung der Nichtdeutschen derart ungenügend und ungünstig, daß eine entscheidende Verbesserung der beruflichen Eingliederung gesellschafts-, schul-, berufsbildungspolitische Anstrengungen größten Ausmaßes erforderlich macht.

In Juni 1977 standen 29.600 Ausländer in beruflichen Ausbildungsverhältnissen, wobei die Bundesanstalt für Arbeit bei ihren Zahlenangaben wohl von 3 .Ausbildungsjahrgängen ausgeht. Bei 118.000 Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren machen die in Ausbildung Stehenden ein.Viertel aus (BfA Februar 1979).

Noch markanter sind Zahlen einer hessischen Untersuchung, nach der 30 % der 14-jährigen Ausländer im Schuljahr 1977/78 keine Schule besuchten und von 100 Nichtdeutschen von 15 bis unter 18 Jahren waren nur 30 in schulischer, 8 in dualer Ausbildung,:8 erwerbstätig und 54 nichterwerbstätig. Die Vergleichszahlen für deutsche Jugendliche weichen hier von völlig ab (HeS, Landtag, Drucks.9/1190, 5.7.79).

Aber auch dann, wenn die Quote der nichtdeutschen Schüler mit Hauptschulabschlußzeugnissen erheblich verbessert würde, wäre ihre berufliche Ausbildung noch lange nicht garantiert. Stingl hat auf die Konkurrenzsituation hingewiesen. Sie gilt nach neuesten Untersuchungen nicht nur für ausländische, sondern für alle Hauptschüler, und weist die Hauptschule als eine Art "Restschule"" aus. Danach haben in vielen kaufmännischen und technischen Berufen Hauptschüler kaum noch Chancen. 90 % der Auszubildenden in diesen Berufen sind bereits Realschüler, Gymnasiasten und Abiturienten, wie eine Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin ergab. In insgesamt 13 Berufen, die in der Ausbildungsordnung nur den Hauptschulabschluss als Voraussetzung vorsehen, haben mindestens 2/3 der Lehrlinge eine bessere Schulausbildung. In den Bereichen Metall, Bau, sowie Textil und Bekleidung überwiegen noch die Hauptschüler. Sie sind fast ausschließlich vertreten in den Berufen wie Bekleidungsnäher, Bekleidungsfertiger, Textilmaschinenführer, Teile-Zurichter und Tankwarte (S.Z. 31.7.79).

So ergibt sich eine Art Konkurrenzskala, nach der der Abiturient dem Realschüler, der Realschüler dem Hauptschüler, dann der Hauptschüler dem Sonderschüler und schließlich der Deutsche dem Ausländer vorgezogen wird. Letzteres wird im gewissen Sinne noch abgesichert durch das Arbeitsförderungsgesetz, das den Vorrang des Deutschen und des ihm gleichgestellten Arbeitnehmers vor dem nicht privilegierten Ausländer festlegt.

4.5 Die Arbeitgeber sehen eine gesellschaftspolitische Verpflichtung

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat eine eindeutige Stellungnahme zur beruflichen Eingliederung der zweiten Ausländergeneration bei der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen und Auskunftspersonen des Bundestagsausschusses für:

Jugend, Familie und Gesundheit am 23. April 1979 abgegeben ( Ausschußdrucksache 8/95/1, S. 85-89). Der Vertreter der BDA, Rolf Weber, der diese Stellungnahme vor dem Bundestagsausschuss kurz erläuterte (Protokoll Nr. 50), sagte einleitend, daß die Frage der Einschleusung der zweiten Ausländergeneration in unser Beschäftigungssystem von Arbeitgeberseite als eine gesellschaftspolitische Verpflichtung angesehen werde. Dies damit gesetzte Signal der Wahrnehmung einer umfassenden Verantwortung wird keinesfalls dadurch gemindert, daß auch die Rede von einem wirtschaftlichen und ausbildungspolitischen Interesse ist, aus dem großen Potential ausländischer Jugendlicher geeignete Fachkräfte zu gewinnen. Die Stellungnahme der BDA sieht die Förderung der beruflichen Bildung - gerade der ausländischen Jugendlichen - als besonders gewichtig durch die Tatsache an, daß sich die Wirtschaft nach dem Abbau des Schülerbergs einem stark reduzierten Angebot von qualifizierten Arbeitskräften gegenübersehen wird.

Die Arbeitgeber fordern ein Konzept des Zusammenwirkens zwischen Arbeitsverwaltung, Schule, Elternhaus und Betrieb. Eine wichtige Aufgabe wird in der Motivierung der ausländischen Eltern gesehen, die eine Information über die beruflichen Chancen ihrer Kinder, vor allem auch die Aufforderung zu einer arbeitsmarktorientierten Berufswahl beinhalten müsse.

Die Bereitstellung von quantitativ ausreichenden Ausbildungsstellen werde in Zukunft nicht das gravierende Problem darstellen Natürlich fehlt nicht der Hinweis auf die Modeberufe, die auch von diesen Jugendlichen angestrebt werden, und die mangelnde Flexibilität, wenn ihre Berufswünsche sich nicht realisieren lassen. Hinter diesen und ähnlichen Vorstellungen steckt natürlich der Wunsch, die ausländischen Jugendlichen dort unterzubringen, wo Bedarf und Kapazität vorhanden sind.

Was die Betriebe angeht, seien diese nicht in der Lage, die vorhandenen Sprach- und Bildungsdefizite im Rahmen der Berufsausbildung auszugleichen. Für die Betriebe sei allein entscheidend, daß der ausländische Jugendliche mit Eintritt in die Berufsausbildung die gleichen Startvoraussetzungen wie ein deutscher Auszubildender mitbringt.

Eine wichtige, gesellschaftspolitische Aussage sehe ich in dem Gedanken, daß es die Arbeitgeber im Interesse einer vollen Integration ablehnen, die ausländischen Jugendlichen getrennt von den deutschen Jugendlichen in separaten Ausbildungsgängen auszubilden. "Wir wollen keine Facharbeiter zweiter Klasse, sondern Chancengleichheit und gleiche Möglichkeiten für alle." Hier besteht eine große Gemeinsamkeit auch mit dem DGB.

Die Formulierung der' gesellschaftspolitischen Ziele einer vollen beruflichen Integration der ausländischen Jugendlichen mit einer vollen Chancengleichheit und mit gemeinsamen Bildungsgängen bleibe aber sicher wenig wirksam, wenn die Arbeitgeber darauf bestehen sollten, die erforderliche Vorbildung für eine erfolgreiche Ausbildung allein dem derzeitigen Schulsystem zu überlassen. Dieses dürfte in den kommenden Jahren noch nicht dazu in der. Lage sein. Das Urteil einer Untersuchung des Internationalen Bundes für Sozialarbeit, die dieser im Auftrag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften durchgeführt hat, ist geradezu vernichtend. Weder Hauptschule noch Berufsschule sind danach in der Lage, ausländischen Jugendlichen einen erfolgreichen Übergang in das Berufs- und Arbeitsleben zu gewähren ("Berufsvorbereitung und Berufsausbildung für ausländische Jugendliche", Heft 20/21, Seite 103f). Der Gesprächskreis Bildungsplanung beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hält u.a. eine intensive Nachbetreuung beim Übergang ausländischer Jugendlicher von der Ausbildungsvorbereitung in die Ausbildung für notwendig, die verstärkte Motivierung der Betriebe, deren Ausbildung und die Entwicklung und das Angebot von ausbildungsbegleitenden Fördermaßnahmen; z.B. der Einsatz von Beratern und die Einrichtung von Stützkursen (Bundestagsdrucksache 8/2716). Wer die berufliche Chancengleichheit einer gesellschaftlich nicht integrierten Gruppe vorantreiben will, kann dies sicher nicht dadurch tun, daß er sie separiert,aber auch nicht dadurch, daß er auf Maßnahmen verzichtet, um das Defizit zur Normierungsgruppe abzubauen. Hier sind sicher weitere Überlegungen und Entscheidungen notwendig.

5. Ein Dogma wird aufgegeben

Die Beschäftigung nichtdeutscher Arbeitnehmer ist längst in eine neue Phase eingetreten. Der Beschäftigungsstand der nichtdeutsches Arbeiter hat sich auf einem bestimmten Niveau eingependelt. Die arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen von diesem Teil der Arbeitnehmerschaft als einer Restgröße, und der Versuch im Rahmen einer Bog. Konsolidierung sie noch weiter zu reduzieren, sind zurückgetreten. Die Aufmerksamkeit richtet sich immer mehr auf die Frage, wie werden vom einheimischen Arbeitskräftepotential nicht mehr besetzbare Stellen besetzt. Substitution, Rotation, Saisonarbeit und die Aufhebung den Anwerbestopps scheiden wegen unseres gesellschaftlichen Anspruchsniveaus als nicht angemessen aus. Was werden die Arbeitgeber in dieser Situation vorschlagen?

Ein wichtiger Fortschritt in der Ausländerbeschäftigung ist schließlich, daß die nichtdeutschen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation als integrierbarer Teil notwendiger Ausbildungskapazität angesehen werden, und die Bereitschaft wächst, ihnen eine volle Integration in die Arbeitswelt und Gesellschaft zu ermöglichen. Allerdings fehlen hierfür noch entscheidende Voraussetzungen. Auch hier gleichsam „die große Anfrage“ an die Arbeitgeber.

Zum Schluß vielleicht noch ein bescheidener Rat: Wenn die Arbeitgeber bereit sind, stärker als bisher in den öffentlichen Entscheidungsprozess über die Zukunft der Ausländerbeschäftigung einzuschalten, sollten sie vielleicht mehr, als sie das bislang getan haben, auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte hören, die sich seit Jahren um die Wahrnehmung der Interessen der schweigenden nichtdeutschen Minderheit bemüht haben. Ihre seit Jahren vertretenen Auffassungen über die faktische Einwanderung werden immer stärker Allgemeingut, während die Positionen, die Bundesregierung, bestimmte Länderregierungen, die Gewerkschaften und mit ihnen auch die Arbeitgeber vertreten haben, nach und nach geräumt werden müssen. Die neueste Meldung aus Bonn: Bundeskanzler Schmidt plane eine Kehrtwendung in der Gastarbeiter-Politik. Vor erlauchter Abendgesellschaft mit Spitzenvertretern aus Regierung, Gewerkschaft, Wirtschaft und Kirchen werde der Kanzler ein Dogma bundesdeutscher Gastarbeiterpolitik revidieren. "Die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland, soll nicht länger gültig sein" (Spiegel Nr.35, S. 28).