Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1980

AUSLÄNDISCHE ARBEITNEHMER UND IHRE FAMILIEN

Einleitendes Referat zum Themenbereich III: Ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien auf dem 69. Deutschen Fürsorgetag
veröffentlicht in: Otto Fichtner: Soziale Arbeit - Soziale Sicherheit - Aufgaben, Probleme, Perspektiven - Gesamtbericht über den 69. Deutschen Fürsorgetag 1980 in Frankfurt/Main 23.-25. April 1980, Frankfurt/M. 1980, S,180-195


Engführungen

Was vor zwei Jahren noch als "sozialromantisch" abgetan werden konnte, ist mittlerweile in einem rasanten Aneignungsprozeß Allgemeingut der Ausländerpolitik geworden. Das läßt hoffen, es könnten derzeit noch als utopisch eingestufte Ideen (wie etwa das Kommunalwahlrecht für Ausländer) irgendwann in naher Zukunft aufgegriffen werden.

Die Ausländerpolitik der letzten zwei Jahrzehnte war von Lernverzögerungen und Engführungen bestimmt, die angemessene politische Reaktionen verhinderten. Die erste Engführung bestand darin, die Ausländerbeschäftigung als ein Provisorium zu betrachten. Die zweite Engführung lag in der Vorstellung, daß angeworbene Arbeitnehmer nur vorübergehend in der Bundesrepublik bleiben würden. Die April-Nummer von "Capital" bringt einen Artikel, in dem der Beauftragte der Bundesregierung Heinz Kühn mit seinem Memorandum zur Ausländerintegration als Papiertiger apostrophiert wird, und in dem die genannte Vorstellung folgendermaßen umschrieben wird: "Sie (die Ausländerbeschäftigung) orientierte sich in etwa am Denkmodell der Gewerkschaften, wie es auch Josef Stingl, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, verfocht: Arbeitsmöglichkeit auf begrenzte Zeit, dann - ausgestattet mit Berufserfahrung und Spargeld Rückkehr in die Heimat, um dort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen." "Capital" fügt dann allerdings noch schnell hinzu, daß das freilich nur für Facharbeiter gegolten habe. In bestimmten Berufssparten wie der Abfallbeseitigung sei der Gastarbeiter zum Dauerbeschäftigten geworden. Eine weitere Engführung bestand in dem Vorhaben, den durch den Familiennachzug fortschreitenden Einwanderungsprozeß zu stoppen, bzw. rückgängig zu machen. So lautet noch 1977 die Grundposition 1 eines Bund-Länder-Konsenses: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland". Sie verstehe sich als ein Aufenthaltsland für Ausländer, die in der Regel nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt aus eigenem Entschluß in ihre Heimat zurückkehren. Dagegen hat Dieter Rilling bereits auf dem Deutschen Fürsorgetag 1973 in Stuttgart von einer neuen Dimension der Ausländerbeschäftigung gesprochen, insofern die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien zu einem dauerhaften und bleibenden Bestandteil der Wohnbevölkerung in den Städten und Gemeinden und damit zu Einwohnern mit umfassenden Bedürfnissen geworden seien.

Es ist längst an der Zeit, die Engführung hinter sich zu lassen und eine realistische Integrationspolitik zu betreiben. Das jüngste Integrationsprogramm ist erst einen Monat alt und stammt von der Bundesregierung. Es setzt sich als Schwerpunkt die Integration der zweiten und dritten Ausländergeneration. Bereits in der Überschrift des Programms ist ein bereits längst fälliger Schritt nach vorn getan. Es ist nicht mehr von der Ausländerbeschäftigungspolitik, sondern von der "Weiterentwicklung der Ausländerpolitik" die Rede. So löst auch dieses Regierungsprogramm die Vorschläge der Bund-Länder-Kommission zur Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik von 1977 ab.

Von dieser unterscheidet sich das neue Konzept nicht nur durch die erwähnte Sprachregelung, sondern auch durch den Verzicht auf Grundpositionen der Ausländerpolitik. Wer sich erinnert, wie schnell politische Grundannahmen in diesem Bereich aufgegeben wurden, wird hierfür ein gewisses Verständnis aufbringen. Der Ansatz des Regierungskonzeptes ist pragmatisch. Es wird für die verschiedenen Lebensbereiche ein Katalog von Maßnahmen aufgestellt, der nach breiter Abstimmung mit den gesellschaftlichen Groß gruppen als integrationsförderlich betrachtet wird.

Das Konzept vermittelt den Eindruck, daß die Bundesrepublik keine Alternative zur vollen Integration der nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen sieht, von denen sicher der größere Teil auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben wird. Außerdem ist an zwei, drei Stellen auf die besondere Interessenlage der Bundesrepublik hinsichtlich der Integration hingewiesen. Neben einem gesellschaftspolitischen wird auch ein beschäftigungspolitisches Interesse erwähnt. Das letztere richtet sich vor allem auf die ausländischen Jugendlichen ohne schulischen Abschluß, von denen möglichst viele an anerkannte Berufsbildungsgänge herangeführt werden sollen. Ihnen ist die Funktion zugedacht, dem Mangel an Fachkräften abzuhelfen, der wegen des Geburtenrückgangs in einigen Jahren erwartet wird. Daß es vielleicht noch weitere Interessen der Bundesrepublik an integrierten und auch eingebürgerten jungen Menschen nichtdeutscher Herkunft gibt, wird nur angedeutet.

Trotz des pragmatischen Ansatzes verzichtet die Bundesregierung nicht auf grundsätzliche Bemerkungen, die als Orientierungslinien ausgewiesen sind. Sie befassen sich mit der Umschreibung der Integration als einer umfassenden gesamtstaatlichen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, betonen die volle Integration der Ausländerkinder in deutsche Kindergärten und deutsche Regelklassen, die intensive Förderung der beruflichen Ausbildung, kündigen Erleichterungen des Beschäftigungszugangs für ausländische Jugendliche und Regelungen für die erleichterte Einbürgerung in der Bundesrepublik heranwachsender Ausländer an, versuchen die Rolle der ausländischen Eltern und der deutschen Bevölkerung bei der Integration zu beschreiben und fordern, das soziale Umfeld der ausländischen Kinder und Jugendlichen bei den Integrationsbemühungen mit einzubeziehen. Des weiteren soll die Konsolidierungspolitik fortgeführt, die Zuwanderung in die Bundesrepublik begrenzt gehalten, der Anwerbestopp nicht aufgehoben und auch keine ausländischen Saisonarbeiter zugelassen werden.

Anfragen an das Programm der Bundesregierung

Nehmen wir das Integrationsprogramm der Bundesregierung einmal als das Ergebnis und die Zusammenfassung dessen, was heute in der Bundesrepublik als „eine sämtliche Interessen beachtende, ausgewogene und behutsame Weiterentwicklung der Ausländerpolitik" (so der Kabinettsbeschluß auf Seite 4) betrachtet " wird, so bleibt die Frage: Sind die Engführungen der früheren Jahre überwunden, ist das Programm tragfähig und erfolgversprechend, oder enthält es vielleicht sogar neue Engführungen, die seinen Erfolg von vornherein gefährden?

Im Vorfeld der Diskussion um die Kabinettsvorlage haben sich die Kirche und ihre Wohlfahrtsverbände zu Wort gemeldet und ihre grundsätzliche Zustimmung zur Konzeption der Bundesregierung von der Beachtung einiger wesentlicher Voraussetzungen abhängig gemacht. Dabei betrachten die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände die im Kühn-Memorandum enthaltenen Schwerpunkte als gemeinsamen politischen Nenner, hinter den bei einer zeitgemäßen Ausländerpolitik nicht mehr zurückgegangen werden sollte. Bei den Schwerpunkten des Kühn-Memorandums geht es an erster Stelle um die Anerkennung der faktischen Einwanderung eines Teils der unter uns lebenden ausländischen Volksgruppen. Eine solche Feststellung ist im Regierungsprogramm tunlichst vermieden, weil es sehr einflußreiche gesellschaftspolitische Kräfte gibt, die eine solche Formulierung strikt ablehnen. Nun könnte man sagen, daß das Konzept der Regierung unausgesprochen von der faktischen Einwanderung, vor allem der zweiten und dritten Ausländergeneration ausgeht; das könnte an sich für das Programm auch ausreichend sein, wenn der Kabinettsbeschluß nicht einige Vorstellungen enthielte, die der indirekten Anerkennung der faktischen Einwanderung zu widersprechen scheinen. Nehmen wir eine Passage der Orientierungslinien:

Unter Punkt 5 heißt es u. a.: "Ob der Aufenthalt in der Bundesrepublik und die Integration in unser gesellschaftliches Leben im Einzelfall in die Einwanderung münden, muß der Ausländer selbst entscheiden." Die Ausländerpolitik solle lediglich die rechtliche Voraussetzung für einen solchen freien Entschluß erleichtern, nicht jedoch ein solches Ziel vorgeben. Auch dürfe der Absicht jener Ausländerfamilien, die die Bundesrepublik wieder verlassen wollten, nicht entgegengewirkt werden. Dies ist eine individualistische, restriktive und im Grunde unrealistische Vorstellung vom Einwanderungsprozeß, was noch einmal dadurch bestätigt wird, daß das Wort "Masseneinwanderung", die sich aus der Anwerbung einer großen Zahl von ausländischen Arbeitnehmern ergeben habe, aus dem Entwurf der Kabinettsvorlage herausgestrichen wurde. Wie ist dies zu verstehen? Die Bundesregierung verkündet ein Integrationsprogramm, das sie als umfassend und flächendeckend betrachtet. Sie bekundet die Absicht, die Einbürgerung junger Ausländer zu erleichtern; und zwar bestehe an der Einbürgerung von Personen, die im Bundesgebiet aufgewachsen sind und hier den überwiegenden Teil ihrer Schulbildung erhalten haben, ein besonderes öffentliches Interesse. Dies trifft aber im Prinzip auf hunderttausende junger Menschen zu. Es kommt unwillkürlich der Verdacht auf, es ginge der Bundesregierung nicht nur um eine allgemeine Integration bis zu einer gewissen Grenze, sondern um eine neue Form der Auswahl der für die Bundesrepublik besten und interessantesten jungen Menschen. Ein bezeichnendes Indiz hierfür ist die Begriffsprägung Integrationsbereitschaft und -fähigkeit. So soll Jugendlichen, die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit bereits dadurch unter Beweis stellen, daß sie einen Hauptschul- oder höheren Schulabschluß erwarben, eine berufliche Ausbildung abschlossen oder an berufsorientierenden Vollzeitmaßnahmen teilgenommen haben, ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Arbeitserlaubnis gegeben werden. Die Einteilung der ausländischen Jugendlichen in Integrationsbereite und' -fähige und solche, die es nicht sind, mit Rechtsvergünstigungen, die man für die ersteren vorsieht, ist eine höchst bedenkliche Aufteilung, die aus humanitären Gründen und wegen der Einengung des Integrationsbegriffs prinzipiell abzulehnen ist.

Zur Interessenlage

An dieser Stelle möchte ich einiges zur Interessenlage sagen, die im Regierungsprogramm nur kurz gestreift wird. Seit ein, zwei Jahren gibt es eine bis dahin nicht vorhersehbare Zuwendung von Politik, Gesellschaft und Medien zur zweiten und dritten Einwanderergeneration. Das Integrationskonzept der Bundesregierung ist ja nur eines von vielen der jüngsten Zeit. Diese Aufmerksamkeit hat die verschiedensten Gründe: Es ist die unübersehbare Präsenz großer Anteile nichtdeutscher Kinder in Schulen und Stadtvierteln unserer Großstädte, der starke Geburtenrückgang in der Bundesrepublik und die Diskussion über die Auswirkungen, die immer stärker werdenden Klagen über die schulischen Mißerfolge der nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen, nicht zuletzt die wachsende Angst vor den Folgen einer Desintegration einer nach Hunderttausenden zählenden Jugend anderer ethnischer Herkunft. Darüber hinaus gibt es aber ein zentrales Interesse der Wirtschaft, für die mageren Jahre eines abzunehmenden Schülerbergs ausbildungsmäßig vorzusorgen. So weiß der Deutsche Industrie- und Handelstag in seinem Konzept zur Eingliederung von ausländischen Jugendlichen in die Berufsausbildung, daß eben auch arbeitsmarktpolitische Gründe für die Eingliederung der nichtdeutschen Jugendlichen sprächen, weil etwa Mitte der achtziger Jahre die Zahl der deutschen Jugendlichen, die ein Ausbildungsverhältnis antreten können, erheblich abgenommen haben werde. Der erforderliche Nachwuchs an Fachkräften könne dann dadurch gesichert werden, daß mehr ausländische Jugendliche ausgebildet würden. Ähnlich argumentieren die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl. Ich bin überzeugt, daß dieses bildungspolitische Interesse der Wirtschaft einen bedeutsamen Faktor der Integration darstellen wird. Auch ist es legitim, daß ein solches spezifisches Interesse an der Integration bekundet wird. Nur muß man die öffentliche Anmeldung dieses Interesses nach Jahren des Schweigens - gerade seitens der Arbeitgeber – im Zusammenhang mit dem Boom von Integrationskonzepten der jüngsten Zeit betrachten, und dann stellt sich die ernste Frage, ob hier nicht erneut das arbeitsmarktpolitische Interesse an den Ausländern das entscheidende Motiv zur umfassenden Beschäftigung mit der Integrationsaufgabe darstellt. Wenn dem so wäre, bedeutete es wiederum eine Engführung, die unseren Integrationskonzepten das Odium der Einseitigkeit und Instrumentalisierung einbrächte. Die Wirtschaft zeigt die Bereitschaft, die ausbildungspolitische Komponente in einen umfassenden gesellschaftspolitischen Rahmen von Eingliederung zu stellen, insofern von einer sehr wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe für das kommende Jahrzehnt gesprochen wird, an deren Lösung alle, Staat und Wirtschaft beteiligt werden müssen. Ich sehe die Aufgabe darin, daß die berufliche Integration der nichtdeutschen Jugendlichen nicht nur und nicht einmal in erster Linie vom Arbeitsmarkt her motiviert wird, sondern als zentrales Element menschlicher Selbstverwirklichung. Hier wäre dann auch kein Platz für eine Einteilung in integrationsfähige und integrationsunfähige junge Menschen.

Ein spezifisches Interesse an der Integration der nichtdeutschen Jugendlichen meldet auch die Bundeswehr an. So hat sich kürzlich der deutsche Bundeswehrverband für die Dienstpflicht von jungen in der Bundesrepublik lebenden Ausländern in der Bundeswehr ausgesprochen. Die Einführung der Bundeswehrdienstpflicht für junge Ausländer aus den Nato-Staaten solle dazu beitragen, in den 90er Jahren den notwendigen Personalbedarf der Bundeswehr zu decken. In einer Studie, die der ehemalige Brigade-General Christian Krause für die Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitet hat, verweist dieser ebenfalls für die 90er Jahre auf das Problem einer mangelnden Präsenz der Bundeswehr im Frieden und damit auf die Gefährdung der Nato-Strategie bei einer sich rasch zuspitzenden Krise. Den möglichen Plänen, wonach auch Gastarbeiter aus Nato-Staaten ihre Wehrpflicht in der Bundesrepublik ableisten könnten, räumt der frühere General weniger Aussichten ein. Wehrdienst von Ausländern sei nach dem Wehrpflichtgesetz unter dem Prinzip der Gegenseitigkeit bereits vorgesehen, doch gäbe es bisher keine entsprechenden internationalen Verträge. Er vertritt die Auffassung, daß eine großzügigere Einbürgerung von Gastarbeitern einfacher wäre!

Mögen solche Überlegungen eine nicht unwichtige politische Schubkraft für den Willen zur Integration darstellen, als partikuläres Interesse der Bundesrepublik im Hintergrund eines Integrationsprogrammes müßte es selbst wieder integriert werden in eine alle Aspekte umfassende Integrationsvorstellung. Nur so kann auch hier eine Engführung vermieden werden, die bei der Zielgruppe integrationshemmend wirkt.

Die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation

Der Vorschlag in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, für die Rekrutierung von Ausländern als Bundeswehrangehörige großzügiger einzubürgern, leitet zu den Überlegungen über, was es mit der Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat auf sich hat, die Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration zu erleichtern. Die Bundesregierung unterstützt in ihrem Programm die Gesetzesinitiative des Landes Nordrhein- Westfalen, einen gesetzlichen Einbürgerungsanspruch zu schaffen. Danach ist vorgesehen, daß ein Ausländer, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, auf Antrag einzubürgern ist, wenn er seit Vollendung des 12. Lebensjahres rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Inland hat und sich darüber hinaus vorher insgesamt mindestens zwei Jahre hier aufgehalten hat, und wenn er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Der im ersten Anlauf im Bundesrat erfolglose Gesetzesantrag soll nach dem Willen der Bundesregierung weiter verfolgt werden, insofern der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit den Ländern die Einbürgerungsrichtlinien entsprechend ändert.

Die Gewährung eines Einbürgerungsanspruchs ist zu begrüßen,

  • weil er die Anerkennung der Bundesrepublik als faktisches Einwanderungsland einschließt,
  • weil er eines der wichtigen Instrumente jedes Einwanderungsprozesses darstellt,
  • weil er die Integrationsaufgabe in einem Teilbereich gesetzlich fundiert,
  • weil er den Begünstigten die erforderliche
  • aufenthaltsrechtliche Sicherheit gewährt und
  • weil er alle Rechte des Staats- und EG-Bürgers einräumt.

Allerdings bestehen Gefahren für die gesamte Integration der nichtdeutschen Wohnbevölkerung, wenn nicht auch der ersten Generation eine entscheidende Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung und eine - ruhig abgestufte Erleichterung der Einbürgerung zugestanden wird. So sind auch die evangelische und katholische Kirche im Zusammenhang mit dem Integrationsprogramm der Bundesregierung für eine Erleichterung der Einbürgerung bei ausländischen Jugendlichen, allerdings in Verbindung mit einer Überprüfung des Ausländerrechts, die das Ziel einer größeren Rechtssicherheit für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien haben sollte. Es werden von dieser Seite auch bestimmte Vorstellungen entwickelt, die dahin gehen, einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsberechtigung zu gewähren, der nur an die Bedingung eines rechtmäßigen Aufenthaltes von 8 Jahren geknüpft ist. Auch sollte eine erleichterte Einbürgerung nach 10-jährigem Aufenthalt und ein ausweisungsfreier Status für die, die sich nicht einbürgern lassen wollen oder können, nach 15 Jahren Aufenthalt gewährt werden.

Ohne die Einbeziehung einer erleichterten Einbürgerung in eine auch die erste Generation umfassende Sicht von Einwanderung und europäischer Binnenwanderung läßt sich nicht ausschließen,

  • daß sich die zweite Generation mehr als unbedingt notwendig von der ersten entfernt,
  • daß sich die Angehörigen der ersten Generation noch stärker als bisher von der deutschen Gesellschaft zurückgesetzt fühlen,
  • daß an die Stelle gegenseitiger Integration und des Respekts vor anderen
  • ethnischen und kulturellen Werten eine Verschärfung des Assimilierungsdruckes tritt,
  • daß vor allem viele Familien gespalten werden und für die Unterstützung der Integration weitgehend ausfallen,
  • daß die Bereitschaft zur Einbürgerung mit der Bereitschaft zur Integration gleichgesetzt wird,
  • daß sich die Bereitschaft zur Integration bei denen vermindert, die sich nicht
  • einbürgern lassen wollen, weil sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgeben möchten,
  • daß nicht zuletzt die Angleichung der Rechte der nicht eingebürgerten Ausländer, z.B. das Kommunalwahlrecht, zurückgestellt wird.

Nun wird im Kabinettsbeschluß ausführlich die Frage erörtert, ob nicht auch der ersten Ausländergeneration der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit in der Weise erleichtert werden soll, daß nur eine Mindestaufenthaltsdauer von 6 Jahren verlangt wird. Hierbei gehe es darum, die Folgerungen zu ziehen, die sich aus der Anwerbung einer großen Zahl von ausländischen Arbeitnehmern, der Zulassung des Familiennachzugs und dem Verzicht auf einer Rückkehrforderung ergeben hätten. Es sei zu überlegen, ob diesem Personenkreis, dessen Aufenthalt nach den bisherigen Erfahrungen auf Dauer angelegt sei, eine Integrationshilfe dergestalt angeboten werden solle, daß die Anforderungen zur Einbürgerung niedriger angesetzt werden. Eine solchermaßen erleichterte Einbürgerung könne deutlich machen, daß das Integrationsangebot an die dauernd hier bleibenden Ausländer auch in letzter Konsequenz ernst gemeint ist. Mit der Einbürgerung erreichten die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien die von ihnen angestrebte Gleichstellung, vor allem auch die Teilhabe an der politischen Willensbildung. Bei diesen Sätzen wird deutlich, daß hier ein anderes Ressort als das Bundesarbeitsministerium vorformuliert hat. Aber was hilft's? Die Bedenken gegen die Erleichterung einer Einbürgerung für die erste Generation sind dann doch größer. Es könne nämlich sein, dass, wenn die Anforderungen für eine Einbürgerung wesentlich herabgesetzt würden, ein Eingebürgerter trotz des rechtlichen Bandes der Staatsangehörigkeit innerlich in Deutschland ein Fremder bleibe, und daß sich fremdsprachige Minderheiten mit deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten, die für soziale Krisen besonders anfällig wären. Den Abschluß der Erörterung über diese Frage bildet ein Absatz, der im Entwurf noch nicht enthalten war. Er schlägt eine Prüfung in dieser Angelegenheit vor und zwar erst nach eingehender Fühlungnahme mit den Herkunftsstaaten und nur nach Auswertung sozialpsychologischer und anderer Repräsentativuntersuchungen. Das betrachte ich als eine Verschiebung auf den St. Nimmerleins-Tag. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß eine Verkürzung der Aufenthaltsfrist für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit noch keinen Rechtsanspruch eingeschlossen hätte und daß auch die sehr hohen Anforderungen an einen Einbürgerungswilligen nicht herabgesetzt worden wären.

Ohnehin sollte die Einbürgerung nicht zu einem zentralen Thema der Integration gemacht werden, sie darf nur als eins unter anderen Integrationsinstrumenten gewertet werden. Auch sehe ich angesichts der Erweiterung der europäischen Gemeinschaft und der damit verbundenen Ausdehnung der Freizügigkeit keine Lösung in der Nationalisierung, sondern nur in der Europäisierung der Integration.

Die Familie als Zielgruppe der Integration

Ohne diese Überlegung weiterzuverfolgen, bleibt es noch notwendig darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn die Bundesregierung die Einbürgerung der zweiten und dritten, nicht aber die ersten Ausländergeneration betreiben will. Daß eine in der Bundesrepublik aufgewachsene Generation für eine Einbürgerung naturgemäß eher und zahlreicher in Frage kommt, ist unbestritten. Es zeugt aber wohl von einem bestimmten Integrationsverständnis, wenn bei den Voraussetzungen für eine erleichterte Einbürgerung der bislang geltende Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie erheblich relativiert wird und eine Einbürgerung des Jugendlichen auch ohne die Eltern erfolgen kann. Dies muß selbstverständlich immer möglich sein, zumal die erleichterte Einbürgerung erst mit dem Eintritt der Volljährigkeit angeboten werden soll. Da der Familienzusammenhalt gerade in der Emigration normalerweise aber nicht mit der Vollendung des 18. Lebensjahres aufhört, sind Spannungen und Belastungen der Familien bei einer Einbürgerungserleichterung in dieser Form nicht auszuschließen. Familienpolitisch viel sinnvoller wäre es, den Familien eine Einbürgerung zu erleichtern. Aber auch hier ist der Ansatz der Bundesregierung zu individualistisch und zu selektiv.

Das hängt natürlich mit der Rolle zusammen, die man der emigrierten Familie für die Integration zuerkennt. Diakonisches Werk und Deutscher Caritasverband sahen sich bei ihrer Stellungnahme zu den ihnen bekannt gegebenen Eckpunkten der Kabinettsvorlage veranlaßt darauf hinzuweisen, daß sie auf Zukunft eine Integrationspolitik für notwendig halten, die auf die gesamte ausländische Familie und nicht nur auf die Kinder und Jugendlichen ausgerichtet ist. Für die beiden Wohlfahrtsverbände sind Programme und Maßnahmen, die sich grundsätzlich nur auf einen Teil der ausländischen Bevölkerung beschränken, nicht sinnvoll und widersprechen dem Ziel einer Integration. Hier lassen sich nahtlos die Thesen Eberhard de Haans vom Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt zum diesjährigen Fürsorgetag anschließen, wonach Ziel der amtlich proklamierten und auch von den Wohlfahrtsverbänden vertretenen Integrationspolitik die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der ausländischen Familien sein müsse.

Nun konzentriert sich das Programm der Bundesregierung auf die Integration der ausländischen Kinder und Jugendlichen und tut damit etwas, was dem derzeitigen öffentlichen und politischen Bewußtseinsstand entspricht. Betrachten wir es als die Fortschreibung von einem Dutzend anderer Konzepte von Ländern Städten und Organisationen, die den Schwerpunkt der Integration ebenfalls auf die nachfolgenden Generationen der eingewanderten nichtdeutschen Arbeiterschaft legen.

Hier spielen das von den Medien vermittelte Problembewußtsein und die bereits angedeutete Interessenlage eine entscheidende Rolle, so daß die Bundesregierung dafür nicht in erster Linie haftbar gemacht werden muß. An dieser Auswahl der Zielgruppe für eine vorrangige Integration haben alle entscheidenden gesellschaftspolitischen Kräfte mitgewirkt und tragen damit auch Verantwortung dafür, daß die emigrierten Familien als entscheidender Ausgangspunkt für eine Erfolg verprechende Integration in den Hintergrund getreten sind. Es scheint aber ein Bewußtseinswandel im Gange zu sein, der sich auch im Integrationsprogramm der Regierung niederschlägt.

Bevor ich aber hierauf eingehe, möchte ich die Aufmerksamkeit lenken auf den dritten Familienbericht "Die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland", den die Bundesregierung im letzten Jahr dem Bundestag vorgelegt hat. Er enthält einen ausführlichen Exkurs über die ausländischen Familien in der Bundesrepublik, der stärkere Beachtung verdiente, als ihm meines Wissens zuteil geworden ist.

Der Bericht bezeichnet die Unsicherheit der Zukunftsplanung als ein Hauptmerkmal der ausländischen Familien in der Bundesrepublik. Es gäbe - und das gilt m.E. auch noch nach den inzwischen vorgenommenen aufenthaltsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Verbesserungen - keinen Anspruch auf einen Verbleib in der Bundesrepublik.

Durch den Anwerbestopp, der eine Rückkehr in die Bundesrepublik nach längerem Aufenthalt in der Heimat unmöglich mache, hätten sich die nur für kurze Zeit geplanten Trennungsphasen von Familien erheblich verlängert. Der Familiennachzug stehe immer noch unter restriktiven Bedingungen, nach denen der ausländische Arbeitnehmer in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, eine für den Nachzug angemessene Wohnung nachweisen müsse und für den Nachzug nur der Ehepartner und die unter 18 Jahre alten Kinder in Betracht kämen.

Dennoch wird eingeräumt, daß der Nachzug von Familienangehörigen sehr groß gewesen sei, zumal die Behörden aus Personalmangel bestimmte Kontrollen gar licht hätten vornehmen können. Dennoch bleibe die Unsicherheit, da im Einzelfall die restriktive Anwendung der Bestimmungen immer möglich sei und auch gelegentlich durchgeführt würde. Nach dem Familienbericht stehen die getrennt lebenden Familien unter großen Belastungen. Die Rückkehr des in der Bundesrepublik erwerbstätigen Teils ist nur für wenige eine Alternative, die langfristig ihre Existenz sichert. Für den Nachzug von Frau und Kindern müßten große finanzielle Anstrengungen gemacht werden, die oft ohne ein Mitverdienen der Ehefrau gar nicht möglich sind. Diese darf auf Jahre nicht in der Bundesrepublik arbeiten; jetzt verhindern es die Wartezeiten. Für eine Rückkehr kann dann auch nicht mehr gespart werden.

Zur Erziehungsleistung ausländischer Familien sagt der Bericht, daß diese auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat und hier zu interpretieren sei. Die Struktur der Familie habe sich im Rahmen der Auswanderung wesentlich verändert. Die Bereitschaft ins Ausland zu gehen, sei oft eine Fortsetzung der bereits im Heimatland angelaufenen Mobilität und der damit verbundenen Verkleinerung der zusammenlebenden Familie. Und so gehe der Weg vom Land über die Stadt ins Ausland. Isolation und Vereinsamung der Kleinfamilie in der Emigration seien ein großes Problem für die ausländischen Familien.

Oft müßten sich diese nach einer Trennung wieder neu zusammenfinden, alte Autoritätsstrukturen seien in den Zwischenphasen durchbrochen worden und führten zu Konflikten und zu einer starken Verunsicherung der Kinder. Auf eine Stabilisierung ihrer Situation könne sich die ausländische Familie zudem nicht verlassen. Die Unmöglichkeit einer klaren Zukunftsplanung werde außerordentlich erschwert und wirke sich insbesondere auf die Ausbildungsplanung für die Kinder und ihre spätere Einordnung in das Berufsleben aus. Die wirtschaftlichen Bedingungen sind eine hohe Frauenerwerbsquote, geringere Stundenlöhne, aber doch mittlere Familieneinkommen durch erhöhten Arbeitseinsatz, hohe Anteile von un- und angelernten Arbeitskräften mit überhöhtem Arbeitsplatzrisiko und schließlich Wohnungen mit geringem Standard und höheren Mieten in infrastrukturell ungünstig ausgestatteten Wohngegenden.

Was die Familiengröße angehe, hätten ausländische Frauen trotz allmählicher Angleichung der Kinderzahl an deutsche Durchschnittszahlen mehr Kinder zu versorgen, andererseits seien die Familien aber stärker auf den Verdienst der Frau angewiesen. Aufgrund des relativ hohen Familieneinkommens seien Kindergärten, -hort, -krippen und -pflegestellen ziemlich teuer.

Die Verständigungsschwierigkeiten in den Familien werden als sehr groß bezeichnet. Große Probleme ergeben sich für die Familien durch die arbeits- und ausbildungslosen Jugendlichen. Sie stellten eine finanzielle Belastung dar. Wenn die beiden Eltern berufstätig seien, hätten sie zu wenig Zeit, die Probleme der Jugendlichen aufzunehmen. Viele Jugendliche fielen dadurch aus dem Familienverband heraus.

Das sind einige der Aspekte, die die enormen Belastungen signalisieren, unter denen die ausländische Familie ihre unverzichtbare Integrationsleistung zu erbringen hat. Sie erbringt sie meiner Kenntnis nach trotzdem in einem ganz erstaunlichen Maß, das allerdings noch nicht genügend untersucht, geschweige denn entsprechend gewertet und unterstützt wird. Reflektieren Sie unter diesem Blickwinkel noch einmal die kritischen Anmerkungen über die Einbürgerungsüberlegungen der Bundesregierung und vielleicht auch, das füge ich aus aktuellem Anlaß hinzu, die gesetzlichen Kindergeldregelungen, nach denen für Kinder von ausländischen Arbeitnehmern aus Nicht-EG-Ländern, die in der Heimat leben, wesentlich geringere Beträge an Kindergeld gezahlt werden als für die Kinder in der Bundesrepublik.

Der Hessische Ministerpräsident Börner, bekannt für seine ausländerfreundliche Politik, hat sich kürzlich vor der Evangelischen Synode in Hessen und Nassau positiv zur Erleichterung der Einbürgerung für die zweite Ausländergeneration geäußert, aber auch betont, daß diese Initiative zugunsten der zweiten Ausländergeneration nicht isoliert gesehen werden dürfe. "Es wird", so sagte er wörtlich, "nach meiner Überzeugung dafür Sorge getragen werden müssen, daß bei einer Änderung der Einbürgerungsrichtlinien auch eine Erleichterung für die Einbürgerung der älteren Generation vorgesehen wird". Staatliche Maßnahmen müßten im Bereich der Ausländerpolitik so aufeinander abgestimmt sein, daß sie nicht familienfeindlich wirkten. Politisch in bedeutsamer Weise aufgegriffen, sehe ich das skizzierte Problem in seinem Wort, es sei ihm ein persönliches Anliegen, diesen Zusammenhang zwischen Ausländerpolitik und Familienpolitik zu wahren.

Auch wenn das Programm der Bundesregierung kein familienpolitisches ist, so geht es aber davon aus, daß die Umsetzung der Integrationspolitik auch von der Mithilfe der ausländischen Eltern abhängt. Daher hält es die Bundesregierung für notwendig, die Elternarbeit zu intensivieren, die Inanspruchnahme von Angeboten der Eltern- und Familienbildung, der Ehe-, Familien- und Erziehungsberatung, der familienergänzenden Erziehung zu erleichtern, die Eltern- und Familienbildung im vorschulischen Bereich zu verstärken, die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus zu verbessern und Jugendliche und Eltern über Schulpflicht und Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren. Wenn dies alles flächendeckend und wesentlich kostenintensiver als vorgesehen umgesetzt wird, müßte die Familie zwangsläufig stärker in das Zentrum einer realistischen Integrationspolitik rücken.

Die Bedeutung der ethnischen Selbstorganisationen

Die Familie im Zentrum der Integrationspolitik bedeutet die prinzipielle Überwindung eines individualistischen Eingliederungsansatzes. Ein solcher ist wenn überhaupt realistisch - in seiner konsequenten Ausbildung eine Art Nadelöhr-Politik, mit der assimilierbare Eliten privilegiert werden. Mit der Familie ist aber nicht nur ein Sozialgebilde, eine Gruppe im Blick, sondern im Gefolge davon die in der Einwanderung begriffene oder bereits eingewanderte ethnische Gruppe. Jetzt muß die Antwort gegeben werden, wie auf deren Recht zur Selbstorganisation, zur Interessenvertretung und zur politischen Mitbestimmung eingegangen wird.

Bei einem Einwanderungsprozeß unseres Stils stehen sich die Mehrheit einer durchorganisierten und formierten Gesellschaft und eine sozial und soziologisch schwache Minderheit gegenüber, deren organisierte Partizipations- und Informationsmöglichkeiten in den Anfängen stecken.

Erforderlich ist in diesem Stadium eine große Bereitschaft der Führungseliten zur Kooperation und zum Dialog, in unserem Falle also mit der nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung. Ich halte dies für eine entscheidende Anfrage an die Integrationsprogramme, wie sie es mit der Beteiligung derer halten, um deren Eingliederung es geht: Ob das Programm ein Ergebnis von Kommunikation, vom gemeinsamen Lernen ist; wie ein Programm - falls es ein solches kooperatives Ergebnis nicht ist - sein entscheidendes Lerndefizit kompensieren will, und wie es Partnerschaft, Dialog und Lernfähigkeit organisiert. Es geht um so etwas wie um das Programm eines gemeinsamen Lernprozesses, um ein gesellschaftliches Curriculum. In den mir bekannten Integrationsprogrammen ist zwar sehr viel von dem Lernen die Rede, das für die nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen, ja auch für ihre Eltern notwendig ist, zu wenig aber von dem Lernen, in das die Aufnahmegesellschaft einzubeziehen wäre, ein Lernen, das von vorneherein ein gemeinsames Lernen wäre.

Die Partizipation der Betroffenen und die Kommunikation mit ihnen, also den Personen, Familien und Volksgruppen, um deren Eingliederung es geht, ist in der Bundesrepublik kein Teil, kein Moment der Integrationsprogramme.

Diese entstehen, von Ausnahmen abgesehen, ohne Beteiligung oder mit einer sporadischen, gelegentlichen, d.h. völlig unangemessenen Einbeziehung der nichtdeutschen Bevölkerung. Das hängt damit zusammen, daß es keine Infrastruktur der Kommunikation gibt und daß sich die Integrationsprogramme zu sehr auf die Kinder und Jugendlichen konzentrieren. Deren Mitwirkungsrechte spielen ohnehin in unserer Gesellschaft keine oder eine höchstens unterentwickelte Rolle. Die mangelnde Kommunikation mit den eingewanderten Minderheiten ist also das Ergebnis einer Engführung der Integration, konkret gesprochen das Ergebnis einer Unterbewertung oder sogar Mißachtung legitimer Formen der Selbstorganisation und Selbstvertretung. Die Einwanderungsprozesse in anderen Ländern könnten uns lehren, daß jede Einwanderung auch eine vereinsmäßige und organisatorische Strukturierung der Minderheiten mit einschließt. Daher genügt es nicht, die bereits nach vielen Hunderten zählenden Vereine und Selbstorganisationen in der Bundesrepublik als Spielformen des politischen Radikalismus und der Ghetto-Förderung zu beargwöhnen und die Beurteilung ihrer Existenz vorwiegend dem Verfassungsschutz zu überlassen. Wer so vorgeht, trägt natürlich dazu bei, daß genau das in verstärktem Maße eintritt, was er zu Recht befürchtet und abzuwehren sucht.

Da ich seit Jahren auf den verschiedensten Ebenen und in den verschiedensten Formen mit nichtdeutschen Vereinigungen zusammenarbeite, möchte ich auf diesem Hintergrund die Bedeutung und Notwendigkeit solcher Organisationen und die wichtigsten Erfahrungen einbringen. Es läßt sich belegen, daß nicht nur in der Duldung, sondern in der Förderung von nichtdeutschen Vereinen, die die Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung respektieren und religiösen Fanatismus wie politischen Extremismus ablehnen, ein Schwerpunkt der Integrationspolitik liegen muß. Hierüber werden sie auch im Integrationsprogramm der Bundesregierung nichts finden, obwohl der Vorsitzende der Spanischen Elternvereine bei der Erstellung des Maßnahmenkataloges des Koordinierungskreises beim Bundesarbeitsministerium mitgewirkt hat. Dieser Maßnahmenkatalog ist in seinen wesentlichen Teilen in das Programm der Bundesregierung aufgenommen worden.

Am vergangenen Samstag hat in Bonn eine eindrucksvolle Demonstration von rd. 4.000 Mitgliedern aus Arbeitnehmerorganisationen der verschiedensten Herkunftsländer stattgefunden. Sie haben gegen die geringen Kindergeldbeträge protestiert, die für etwa 800.000 Kinder, die in der Heimat leben, gezahlt werden. Hiermit spare die Bundesrepublik jährlich bis zu einer Milliarde DM auf Kosten der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien (wahrlich keine familienfreundliche Maßnahme, die auch von den Kirchen, den Wohlfahrtsorganisationen und dem DGB abgelehnt wird). Die Demonstration ist eine erstaunliche Leistung der Selbstorganisation und interethnischen Kooperation gewesen. Als solche stellt sie eine der wichtigen und öffentlichkeitswirksamen Formen der Selbstvertretung der Interessen dar, die nicht nur vom Anliegen her eine positive Würdigung verdient.

Die Koordination des Internationalen Kindergeldkomitees, das diese Demonstration vorbereitet hat, und das sich bei seiner Gründung der aktiven Symphathie der Sozialattachées verschiedener Botschaften erfreute, hatte der Initiativausschuß "Ausländische Mitbürger in Hessen" übernommen. Seine Anfänge liegen 10 Jahre zurück. In ihnen sind ausländische und deutsche Vereine, Organisationen und Verbände zu einer sehr fruchtbaren, wenn auch nicht immer konfliktfreien Integrationspolitik zusammengefaßt. Der Initiativausschuß ist nicht zuletzt dank der intensiven Mitarbeit der Vertreter ausländischer Vereine und Organisationen ein qualifiziertes Forum gegenseitiger Information, gemeinsamer Analyse, Stellungnahme und Aktion. Für die deutschen Vertreter im Initiativausschuß ist es undenkbar, eine Integrationspolitik zu formulieren und zu betreiben, ohne intensive Kommunikation mit den Vereinen und Organisationen der Minderheitengruppen.

Eine Zusammenfassung von mehr als 15 ausländischen Arbeitnehmervereinigungen auf Bundesebene stellt das Internationale Forum ausländischer Arbeitnehmervereinigungen dar. In ihm sollen Vertreter der Kirchen und des DGB nur Beraterfunktionen wahrnehmen. Damit handelt es sich bei dieser Dachorganisation um eine interethnische Form der Selbstvertretung, die die einzelnen Verbände aus ihrem nationalen Kontext herausführt und zu einer Interessengemeinschaft führt, die erfolgreich bemüht ist, gemeinsam formulierte Anliegen gegenüber der deutschen Seite durchzusetzen.

Als Form ethnischer Vertretung kenne ich das Entstehen, die Zusammensetzung und die Politik des Bundes der Spanischen Elternvereine. Er zählt bezeichnenderweise seine Mitglieder nicht nach Köpfen, sondern nach Familien. In einer Selbstdarstellung gibt er an, daß derzeit 113 Ortsvereine mit 9.000 Familien, zu denen mehr als 16.000 Kinder zählen, zu diesem Bund gehören.

Ende der 60er Jahre entstanden im Umkreis der Katholischen Spanischen Gemeinden und der Sozialberatung des Caritasverbandes die ersten Vereine Spanischer Eltern. Sie fühlten sich durch die miserable Schulsituation ihrer Kinder herausgefordert, die Problematik der Beschulung ihrer Kinder selbst in die Hand zu nehmen. Sie entdeckten aber bald, daß es sich hierbei nicht um ein lokales, sondern um ein nationales Phänomen handelte und schlossen sich 1973 zu einem Dachverband zusammen. Er vertritt als Selbstorganisation das Ziel der Einfügung des spanischen Kindes in das deutsche Schulsystem, fordert aber dabei auch den zusätzlichen Spanisch-Unterricht an dieser Schule.

Eine große Rolle spielt die selbstbetriebene Elternbildung durch Vorträge, Diskussionen, Begegnungen und Wochenendseminare, an denen die Familien teilnehmen. Elternbildung führt dazu, daß sich die Väter und Mütter ihrer besonderen Lage in der Emigration bewußt werden, gemeinsam in die Analyse eintreten, ihre Forderungen formulieren und Aktionen beschließen. Mit einem durch die Gruppe gestärkten Selbstbewußtsein treten sie an deutsche und spanische Behörden und Regierungsstellen heran und verstehen sich als kompetente Gesprächs- und Verhandlungspartner. Sie wollen in allen Gremien vertreten sein, in denen über ihre Belange entschieden wird. Mittlerweile bestehen auch internationale Kontakte.

Wer die erstaunliche Integrationsleistung des Bundes der Spanischen Elternvereine kennt und wertet, der außer einem regelmäßigem Zuschuß kirchlicherseits keine öffentliche Förderung erfährt, versteht das Selbstbewußtsein dieser Organisation, die von sich behauptet, viel besser, effektiver und mit weniger Geldaufwand arbeiten zu können als große institutionelle Instanzen. Daher hält es der Bund auch für unerläßlich, auf Lokal-, auf Regional- und Bundesebene mit den nötigen Mitteln ausgestattet zu werden. Auf jeden Fall ist der Bund der Spanischen Elternvereine ein Beispiel dafür, daß ethnische Selbstorganisation weder die Integration behindert noch ins Ghetto führt, sondern die Integrationsleistung der Familien stabilisiert und fördert. Der Nutzen für unsere Gesellschaft ist nicht hoch genug zu veranschlagen.

Kommunales Wahlrecht als Instrument der Integration

Selbstorganisation und Interessenvertretung, Partizipation am gesellschaftlichen Prozeß, Einwirkungsmöglichkeiten auf politische Entscheidungen als zur Persönlichkeitsentfaltung und Menschenwürde gehörig, lassen immer mehr die Frage nach der politischen Selbst- und Mitbestimmung der nichtdeutschen Wohnbevölkerung in den Vordergrund treten.

Die bisherigen Möglichkeiten für Ausländer, am Prozeß der politischen Willensbildung mitzuwirken, umfaßt die Teilnahme an Versammlungen aller Art, den Beitritt zu Vereinen, die Mitgliedschaft in den politischen Parteien, die Mitwirkung als sachkundige Einwohner in Kommissionen und Ausschüssen der Kommunen und ggfs. die Bildung von Ausländerbeiräten auf kommunaler Ebene. Es handelt sich hierbei um wichtige Elemente der politischen Partizipation, die aber auf Dauer kein Ersatz sind für ein Wahlrecht. Auch die Gewährung des Wahlrechts über die Einbürgerung würde nur einen sehr kleinen Teil begünstigen, da derzeit nur eine verschwindende Minderheit der Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen möchte, wenn dies die Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit einschließt (so das Ergebnis einer Untersuchung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg).

Die langjährige Anwesenheit von Ausländern und der Reifegrad des Einwanderungsprozesses legen die Einführung eines Wahlrechtes - zumindest auf kommunaler Ebene - dringend nahe. Die Bundesrepublik kann es sich aus ihrem demokratischen Selbstverständnis heraus wohl kaum leisten, eine Nebenbevölkerung minderen Rechtes zu besitzen, die politisch ständig durch die deutsche Bevölkerung fremdbestimmt wird. Auch zahlen die nichtdeutschen Arbeitnehmer Steuern und Sozialabgaben, ohne über deren Verwendung mitbestimmen zu können. Die Möglichkeit, sich an Wahlen zu beteiligen, fördert die Integration. Ein größerer Teil der nichtdeutschen Wohnbevölkerung wird sich naturgemäß stärker mit den Problemen und Aufgaben des Gemeinwesens, in dem sie wohnt, befassen und auch eher in der Lage sein, die eigenen Interessen mit denen der Deutschen zu verbinden. Die Politiker nehmen zwar die Ausländer in verstärktem Maße wahr, aber doch nur indirekt, d.h. aus der Perspektive ihrer deutschen Wähler. Erst dann, wenn die Nichtdeutschen ihres Wahlkreises auch Wähler sind, wird sich diese Perspektive zugunsten der Nichtdeutschen verändern. Schließlich wird angesichts eines zusammenwachsenden Europa die wohnungsmäßige Vermischung von Nationalitäten ein Dauerphänomen sein, bei dem die politische Mitbestimmung nicht nur auf die Volkszugehörigkeit gegründet werden kann.

So ist es konsequent, wenn der Bundesbeauftragte in seinem Memorandum die Einräumung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer nach längerem Aufenthalt fordert. Auch er vertritt die Auffassung, daß eine politische Teilhabe an der Gestaltung des engeren örtlichen Lebensbereiches in Form des kommunalen Wahlrechts zur Intensivierung des Integrationsprozesses erheblich beitragen könnte. Auch werden damit die Betroffenen wesentlich stärker in die Eigenverantwortung für die konstruktive Lösung ihrer Probleme eingebunden und nicht zuletzt zweifelhaften anderen Selbsthilfeversuchen entgegengewirkt.

Das Programm der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Ausländerpolitik enthält darüber nichts, es sei denn den Satz, mit der Einbürgerung erreichten die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien die von ihnen angestrebte Gleichstellung, vor allem auch die Teilhabe an der politischen Willensbildung. Das ist eine indirekte aber deutliche Absage an die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Ausländer. Die Forderung, bereits vor 10 Jahren erhoben, seitens der Europa-Union Deutschland und des Deutschen Caritasverbandes, gewinnt immer mehr Befürworter. Gleichzeitig formieren sich aber auch die politischen Gegner und führen schwere juristische Geschütze auf, wonach die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer eine Grundgesetzänderung und die Änderung einiger Landesverfassungen erforderlich machte. Dabei bleiben sie aber die politische Antwort schuldig, wie Einwanderung und Europäische Binnenwanderung hinsichtlich der politischen Mitbestimmung der Betroffenen demokratisch aufgegriffen wird. Einbürgerung allein oder in erster Linie ist sicher hierfür eine höchst unzulängliche Lösung. Vermutlich kommt es auch nicht zu einer nationalen Lösung, sondern zu einer internationalen auf der Ebene entweder der Europäischen Gemeinschaft oder des Europa-Rates.

Noch ein großer Lernprozess

Trotz aller Fortschritte hat die Bundesrepublik in Sachen Integration noch einen großen Lernprozeß vor sich, der nur gelingen kann, wenn die eingewanderten Minderheiten hieran beteiligt und die an bestimmten Interessenlagen orientierten Engführungen überwunden werden. Integration kann nur die Konsequenz der Grundprinzipien unserer Gesellschaftspolitik sein, wie es kürzlich die Regierung eines Landes formuliert hat, das sich noch 1977 rühmte, seine restriktiven ausländerpolitischen Vorstellungen in der Bund-Länder- Kommission durchgesetzt zu haben, und das sich dem Wandel dieser Politik stellt. Es handelt sich um die erste von elf Thesen zur Ausländerpolitik des Landes Baden- Württemberg, in der es heißt: "Sie (die Ausländerpolitik) muß sich von den sozial-ethischen Grundsätzen der Chancengleichheit, der sozialen Gerechtigkeit, der Mündigkeit und der Partnerschaft leiten lassen."