Budapest oder Barcelona? Die Rolle der Europäischen Union als Wohlstandsinsel Herbert Leuninger (1995) | |||
ie
Europäische Union betrachtet sich als prosperierende Weltregion, die auf
unabsehbare Zeit Ziel grosser Wanderungsbewegungen ist. Dabei spielt der
Unterschied zwischen Arbeitsmigranten und Flüchtlingen keine Rolle. Beider
Gruppen Kommen gilt als politisch und wirtschaftlich unerwünscht. Es soll
mit allen Mitteln verhindert werden. Dafür gibt es bislang zwei
Strategien. Sie werden - wohl um die Längerfristigkeit wie auch die
Flexibilität des Vorgehens zu betonen - als "Prozesse" bezeichnet. Der Budapester Prozess
| |||
er
"Budapester Prozess" wurde 1993 mit einer grossen internationalen
Konferenz in der ungarischen Hauptstadt eingeleitet. Er steht ganz im
Zeichen der Abwehr und Abschottung. Hierbei spielte die Bundesregierung
eine massgebliche Rolle. Auf ihre Initiative wurde z.B. im Juni 1998 eine
Sonderkonferenz im Rahmen des Budapester Prozesses in die osteuropäische
Kapitale einberufen. Sie widmete sich der "Bekämpfung illegaler
Zuwanderung auf Routen durch Südosteuropa". Im Konferenzbeschluss heisst
es in bester deutscher Regierungssprache: "Die Staaten Südosteuropas sowie die Staaten auf den Routen der
Wanderungsströme über Südosteuropa gehen von dem bewährten Grundsatz aus,
dass Gefahren und Risiken besonders erfolgversprechend beim Versuch des
ersten Eindringens in die Region mit massierten Kräften und im weiteren
Verlauf durch nacheinander gestaffelte Sicherungslinien im Rahmen eines
abgestimmten Vorgehens abgewehrt werden können" (Anlage "Sonderkonferenz
im Rahmen des Budapester Kongresses über illegale Wanderung durch
Südosteuropa, Budapest, 29./30.Juni 1998" zur Pressemitteilung des
Bundesministeriums des Innern vom 30. Juni 1998, Bonn/Budapest, S.3). Der Barcelona-Prozess
| |||
on
einem anderen Ansatz ist der "Barcelona-Prozess" bestimmt, der 1995 die EU
und die Anrainerstaaten des Mittelmeers in der Hauptstadt Kataloniens
zusammenführte. Es geht um eine Zusammenarbeit, die sich zum einen auf die
nordafrikanischen Maghreb-Länder (Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen)
sowie den Raum des arabischen Mashrek (Ägypten, Jordanien, Libanon und
Syrien), zum anderen auf Israel, die Türkei, Malta und Zypern bezieht.
Diese Länder sollen langfristig (bis zum Jahr 2010) mit der erweiterten EU
und den Ländern Mittelosteuropas (soweit sie bis dahin nicht bereits
selbst Mitglieder der EU sind) zur "größten Freihandelszone der Welt"
zusammenwachsen. Es wäre ein Binnenmarkt mit 600-800 Millionen Einwohnern
in 30-40 Ländern. Das wirtschaftliche Interesse, das sich in dieser Perspektive
ausdrückt, ist aber im "Barcelona Prozess" in ein grösseres Konzept
eingebettet. Er soll "den Mittelmeerraum zu einem Gebiet des
Dialogs, des Austauschs und der Zusammenarbeit machen, in dem Frieden,
Stabilität und Wohlstand gewährleistet sind". Ähnlich wie seinerzeit bei
der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird beim
Barcelona-Prozess auch von verschiedenen "Körben" gesprochen. Sie enthalten die politische und sicherheitspolitische Partnerschaft,
die Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft sowie eine Partnerschaft im
sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich. Im politischen und sicherheitspolitischen Bereich wird ein regelmäßiger
politischer Dialog geführt mit dem Ziel der schrittweisen Errichtung eines
Friedens-, Stabilitäts- und Sicherheitsraums. Dabei werden geeignete
Mittel und Methoden zur Umsetzung der Grundsätze der Erklärung von
Barcelona (Friedliche Streitbeilegung, Nichtverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, Rüstungskontrolle einschließlich vertrauens- und
sicherheitsbildender Maßnahmen, Zusammenarbeit bei Bekämpfung von
Terrorismus, Förderung von Demokratie und Rechtsstaat, Achtung der
Menschenrechte) geprüft. Das Schwergewicht der Arbeit liegt bei einem
Katalog vertrauensbildender Maßnahmen und dem Projekt einer "Charta für
Frieden und Stabilität im Mittelmeerraum". Kern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die schrittweise
Errichtung einer Freihandelszone. Für die erforderlichen
Strukturanpassungen ist die finanzielle Unterstützung der EU aufgestockt
worden und beläuft sich für den Zeitraum 1995-1999 auf ca. 10 Mrd DM.
Hinzukommen noch EIB-Darlehen. Ob diese finanziellen Hilfen aber
ausreichen, oder aber das 10-fache dem wirklichen Bedarf gegenüber
angemessener wäre, bleibt offen. Im dritten Korb, der Partnerschaft im sozialen, kulturellen und
menschlichen Bereich stehen im Vordergrund die Förderung eines besseren
Verständnisses zwischen den Kulturen und Religionen, die Anerkennung
grundlegender sozialer Rechte, die Anerkennung und Förderung der
Zusammenarbeit nicht-staatlicher und autonomer gesellschaftlicher
Gruppierungen ("Zivilgesellschaft"), Migrationsfragen und die Bekämpfung
der organisierten Kriminalität (vgl. Presserklärung des Auswärtigen Amtes,
EU-Mittelmeerpolitik/Barcelona-Prozess, homepage
http://www.auswaertiges-amt.de/4_europa/7/4-7-1a.htm). Veranstaltungskalender
| |||
us
dem Brüsseler Veranstaltungskalender wird deutlich, wie vielseitig die
Ebenen und Bereiche sind, in denen eine Zusammenarbeit angestrebt oder
intensiviert wird. Er umfasst nicht nur Ministertreffen, sondern auch die
Zusammenkünfte von Beamten verschiedener Ebenen und Ressorts. Dazu zählen
Zusammenkünfte eines gemeinsamen Komitees für den Barcelona-Prozess , das
Treffen von Spitzenbeamten, die für Politik und Sicherheitsfragen
zuständig sind, ein Seminar für Teilnehmer mit militärpolitischer
Verantwortung über den militärischen Einsatz bei humanitären Aufgaben, das
Treffen eines Lenkungsausschusses für das Projekt zur Verhinderung von
Natur- und Humankatastrophen, eine Konferenz der Institute für
Verteidigungsfragen, ein Workshop für Beamte über den Dialog der Kulturen
wie auch das Seminar zur besseren Nutzung des Internet. Des weiteren gibt es die Euro-Mediterrane-Konferenz über Finanzmärkte,
die Konferenz der Energie-Minister, einen Workshop für die schrittweise
Einrichtung eines Netzwerks für technologische Innovation, eine
Folgekonferenz der Arbeitsgruppe der Industrie-Minister zur Entwicklung
der Industrie- und Unternehmensstrukturen, der einer weiteren
Arbeitsgruppe zu Rechts- und Verwaltungsstrukturen, eine
Euro-Mediterrane-Konferenz zur Beteiligung von Frauen am wirtschaftlichen
und sozialen Leben oder ein Forum über die Informationsgesellschaft. Schliesslich enthält der Veranstaltungskalender des Barcelona-Prozesses
einen Workshop über den Dialog der Kulturen und Zivilisationen,
Expertentreffen über Migration in der Euro-Mediterranen Region und ein
Trainingsseminar zur polizeilichen Zusammenarbeit, Das Brüsseler Programm sieht vor, dass sich die Präsidenten der Parlamente des Euro-Mediterranen
Raums treffen, es ist ein Parlamentarisches Forum geplant, ausserdem gibt es eine Konferenz
zur parlamentarischen Zusammenarbeit (vgl. European Commission, Calendar
of priority actions in the Barcelona process, 16/09/1997) Mit dieser Aufzählung, die nur die Veranstaltungen der 2. Jahreshälfte
von 1998 benennt, wird der umfassende Ansatz des Barcelona-Prozesses
einigermassen deutlich. Es ist ein Stil der Zusammenarbeit, der über die
üblichen Modelle zwischenstaatlicher und internationaler Kooperation
hinausgeht. Er verlässt in einem gewissen Sinn auch das Schema, wie es
sich in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit herausgebildet hat,
nämlich das der Geber- und der Nehmerstrukturen. Erinnerung an KSZE
| |||
er
Ansatz erinnert an die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (KSZE) von Helsinki und Genf, natürlich auch an die Kooperation der
auf der KSZE basierenden Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE). Die Schlussakte von Helsinki (1975) war von dem Versuch
bestimmt, ein neues Klima der Zusammenarbeit und des Vertrauens zwischen
Ost und West zu schaffen. Hier werden die Themen gesetzt, die auch für den
Barcelona-Prozess bestimmend sind: u.a. die Zusammenarbeit zwischen den
Staaten vor allem in den Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Technik
und Umwelt, der Austausch im Bereich der Kultur, die Betonung der Achtung
der Menschenrechte und Grundfreiheiten, vertrauensbildende Massnahmen zu
Sicherheit und Abrüstung, und nicht zuletzt die Festlegung auf friedliche
Regelungen von Streitfällen (vgl. Volle, Hermann u. Wagner, Wolfgang,
Hrsg., KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Bonn,
1976, S.237ff). Ausdrücklich wird von der KSZE auch die Migration behandelt und dabei
betont, dass die "Wanderbewegungen von Arbeitskräften in Europa einen
bedeutenden Umfang angenommen haben und dass sie einen wichtigen
wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Faktor sowohl in den Aufnahme-
als auch in den Herkunftsländern darstellen". Noch stehen im Vordergrund
die Bemühungen für "einen geordneten Ablauf der Wanderbewegung", aber auch
die zu fördernden Bemühungen der Herkunftsländer, "im eigenen Lande
erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen" (aaO ,s.264). Das
übergeordnete Ziel von Helsinki ist die durch den ideologischen Konflikt
zwischen Ost und West und das Bemühen bestimmt, eine drohende
kriegerische, vielleicht sogar atomare Auseinandersetzung zu verhindern.
Dies galt als ein entscheidender Beitrag zur Entspannungspolitik. Helsinki war eine Sache des Westens und des Ostens. In der Schlussakte
wurde aber der Zusammenarbeit mit den Mittelmeerstaaten ein eigener
Abschnitt gewidmet und dabei auf die bestehenden "geografischen,
historischen, kulturellen, wirtschaftlichen Aspekte" der Beziehungen
hingewiesen (aaO.,S.265ff). So müsse sich auch der "Prozess der
Verbesserung der Sicherheit" auf den Mittelmeerraum erstrecken. Es sei
u.a. "mit den nichtteilnehmenden Mittelmeerstaaten die Entwicklung einer
beiderseitig nutzbringenden Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen
der Wirtschaft, besonders durch die Ausweitung des Handels, zu fördern.
Politisches Ziel ist es, "zum Frieden, zur Verminderung von Streitkräften
in der Region, zur Festigung der Sicherheit, zur Verringerung der
Spannungen und zur Ausweitung des Umfangs der Zusammenarbeit beizutragen".
Man könnte dies bereits als Kern des "Barcelona-Prozesses" ansehen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bekommt Helsinki mit der OSZE,
die ja nicht nur der Erhaltung oder der Schaffung des Friedens dienen
soll, ganz neue Aufgaben. Es geht um den Aufbau demokratischer, sozialer,
wirtschaftlich leistungsfähiger und rechtsstaatlicher Gemeinwesen in
Osteuropa. Dabei spielt die Angst in Westeuropa eine nicht zu
unterschätzende Rolle, dass ein Misslingen dieses Prozesses Migrations-
und Fluchtbewegungen in der Grössenordnung von vielen Millionen Menschen
auslösen könnte. Hinter dem Aufbauprozess in Osteuropa ist also bereits
eine ausgeprägte Abwehrhaltung Westeuropas auszumachen. Immerhin ist aber
die Verteidigungseinstellung mit einem politischen Gesamtkonzept
kombiniert. Die umfangreichen Fördermassnahmen schliessen nicht mehr wie in der
konventionellen Form der Entwicklungshilfe nur finanzielle und technische
Transfers ein, sondern stellen für viele gesellschaftlichen Bereiche
besondere Programme zur Verfügung, die dem Auf- und Ausbau stabiler und
moderner Gesellschaften dienen. Dabei wird auch die Bedeutung der
Errichtung und Stützung einer Zivilgesellschaft mit eigenen Strukturen
gesehen und Wert darauf gelegt, eine Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen
und zu entfalten. Allerdings scheint doch in einem weiten Umfang die Geber- und
Empfängerstruktur, wie sie sich auf dem Entwicklungssektor eingespielt
hat, erhalten geblieben zu sein, d.h. die Einstellung, dass die anderen,
in diesem Fall die Länder Osteuropas die Lernenden und die EU und alle
beteiligten Organisationen Westeuropas die Lehrmeister der politisch und
wirtschaftlich unterentwickelten Völker sind. Standortpapier der CDU/CSU
| |||
enn Mittel- und Osteuropa für die Europäische Union (EU) zwar immer noch einen Schwerpunkt ihrer Beziehungen bilden, haben die "Mittelmeermitglieder der EU, nämlich Frankreich, Spanien und Italien, die 1995/96 drei aufeinander folgende EU-Präsidentschaften gestellt haben, darauf gedrängt, daß die EU sich intensiver um ihre südliche Nachbarregion kümmert" Der spanische EU-Kommissar Marin fordert für die Union ein ''Gleichgewicht in ihren Beziehungen nach Osten und Süden''. Der Europäische Rat bestätigte diese Politik auf seinem Gipfeltreffen im Dezember 1994 in Essen (vgl. Falk, Rainer, Euro-Mediterraner Wirtschaftsraum, Die neue Strategie der EU für die Südflanke, in Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft 6/95) Ein Standortpapier "Die Trennung überwinden -Vorschläge für eine Mittelmeerpolitik der Europäischen Union" hat 1994 der aussenpolitische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion Karl Lamers MdB anläßlich der EU-Mittelmeerkonferenz am 27./28.11.1995 in Barcelona vorgelegt. (CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1997) Danach liege eine "engagierte Teilnahme an einer aktiven Mittelmeerpolitik der Europäischen Union in Deutschlands Interesse". Schon heute werde es stark von den Problemen und Konflikten in der Region betroffen, darunter Migration nicht nur aus der Türkei. Die Tendenz sei steil ansteigend. Andererseits wird der Mittelmeerbereich aber auch als ein interessanter, potentiell sehr attraktiver Markt gewertet, der in fünfzehn Jahren ca. 300 Mio. Menschen umfasse. In der politischen Bestandsaufnahme sieht Lamers die Mittelmeerregion geprägt von "Gegensätzen, Konflikten und Schwierigkeiten in höchster Konzentration". Hier verliefen Grenzlinien zwischen Zonen unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung, Sicherheit, politischer Systeme und politischer Kulturen, religiöser Bekenntnisse und Kulturen. Ein hohes Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd und die Unterentwicklung würden durch ein rasantes Bevölkerungswachstum verschärft. "Zwischen den Jahren 1990 und 2000 wird die Bevölkerung der nicht zur Europäischen Union gehörenden Mittelmeeranrainerstaaten mindestens um 20 %, das sind 50 Millionen Menschen, anwachsen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in den arabischen Staaten und der Türkei ist jünger als 16 Jahre. Auch aufgrund dieses Bevölkerungswachstums sind die Länder seit längerer Zeit nicht mehr in der Lage, ihre Bevölkerung selbst zu ernähren. Daraus könnte ein erheblicher Migrationsdruck erwachsen auf die jeweiligen Nachbarländer, aber auch auf die Europäische Union". Lamers verweist auch auf die hohe Arbeitslosigkeit von teilweise über 30%, die in besonderer Weise Jugendliche treffe. Kulturelle und ethnische Gegensätze führten teilweise zu zwischen Regierungen und Minderheiten gewalttätig ausgetragenen inneren Konflikten. "Minderheiten haben im südlichen und östlichen Mittelmeerraum in der Regel nur unzureichende Möglichkeiten, ihre Interessen wahrzunehmen. Dies gilt für christliche Minderheiten in verschieden islamischen Ländern ebenso wie für die in mehreren Staaten lebende kurdische Bevölkerung oder die Berber in den Maghreb-Staaten". Lamers Fazit: Die in vielen Mittelmeerdrittländern drohende offene Krise, könne "nur durch eine umfassende wirtschaftliche und politische Strukturanpassung vermieden werden".
Cordon Sanitaire | |||
uch wenn mit dem Barcelona-Prozess ein partnerschaftlicher und alle Politikbereiche einschliessendes Konzept verfolgt wird, scheinen die migrationspolitischen Fragen eine besonders hohe Motivation der EU auszumachen. So zitiert die Financial Times vom 20.10.1994 den spanischen EU-Kommissar Marin bei der Vorstellung des Gesamtkonzeptes in Brüssel mit dem Satz: "Wenn wir rund 5 Mrd. Ecu bereitstellen, werden viele Länder darauf bestehen, daß die Drogen- und Einwanderungskontrolle eine zentrale Rolle dabei spielt." Es wird deutlich: "Die südlichen und östlichen Mittelmeeranrainer sollen ähnlich wie das östliche Europa eine Art migrationspolitischen cordon sanitaire an der südlichen Flanke der EU bilden". Der Londoner "Economist" hat in seiner Vorausschau für das Jahr 1995 die nordafrikanischen Staaten als einen der "explosivsten Teile der Welt" bezeichnet. Als Gefahren sieht das Magazin "Alle sind Diktaturen; alle sind überbevölkert, mit einem beängstigend hohen Bevölkerungsanteil unter 25. Keiner hat seinen Frieden mit der modernen kapitalistischen Welt gemacht. Alle sprechen (mit verschiedenen Akzenten) arabisch; alle sind natürlich Anhänger des Islam. Alle diese Länder befinden sich an der Türschwelle Europas. Und es gibt genügend Zündstoff, der 1995 hochgehen könnte wie ein Pulverfaß." (Zitate in: Falk,Rainer, aaO.) Ähnlich beschreibt es die EU-Kommission: "Unter den gegenwärtigen
politischen Bedingungen gibt es in einer Reihe dieser Länder Quellen der
Instabilität, die zu massenhafter Migration, zu fundamentalistischem
Extremismus, zu Terror, Drogen und organisiertem Verbrechen führen
können." Perspektiven
Der Barcelona-Prozess ist an den Interessen der Europäischen Union orientiert, den Wohlstandsgraben zwischen ihr und den Mittelmeerländern aufzufüllen, ohne aber das wirtschaftliche Übergewicht und die damit verbundenen Privilegien zu verlieren. Die bisher für das ganze Projekt ausgewiesenen finanziellen Beträge stehen in keinem Verhältnis zu den Ansprüchen, auf die sich der Prozess selbst festgelegt hat. Ausserdem verhindert die dem ganzen Konzept zugrundeliegende Sicherheits- und Abwehrmentalität gegenüber Flucht und Migration eine Sicht, die sich von den Vorstellungen einer gerechten Wirtschaftsordnung und dabei von der einer gerechten Verteilung der Ressourcen und ihres Verbrauchs leiten liesse. Abgesehen davon wird es sich als politisch nicht stimmig und damit als kontraproduktiv erweisen, die Freizügigkeit des Kapitals und der Dienstleistungen auf der einen Seite zu fördern und die Freizügigkeit der Menschen massiv zu behindern. Die Freizügigkeit wird voraussichtlich menschenrechtlich betrachtet in der Zukunft einen höheren Stellenwert bekommen und in dem Masse, wie nationalstaatliches Handeln zurückgeht, auch stärker abgesichert werden. Das Asylrecht ist dabei ein zentraler Bestandteil.
Der Barcelona-Prozess ist sehr regierungs- und behördenlastig. Dies wiederum ist ein Charakteristikum des europäischen Einigungswerkes. Dennoch wird dem Sektor der regierungsunabhängigen Organisationen konzeptionell ein nicht unwichtiger Part zugestanden. Nur gibt es die europäische Zivilgesellschaft noch nicht, geschweige denn eine mediterrane, die sich ihrer Rolle bewusst ist und sie auch nur annähernd auszufüllen versteht. Der Barcelona-Prozess ist vielleichteine Chance, dies zu ändern.
Budapest oder Barcelona? Beide Prozesse haben grosse Gemeinsamkeiten in der Sichtweise (West-) Europas, das sich als Wohlstandsinsel versteht. Der Prozess, der konzeptionell stärker in die Zukunft weist, dürfte allerdings Barcelona sein. Sein Partnerschaftsmodell entspricht eher dem neuen Stil internationaler Zusammenarbeit, wie er sich allmählich durchzusetzen scheint. |