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Der Speigel

Bericht
ein Jahr nach
dem Gottesdienst

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DER SPIEGEL
Nr. 23 vom 29. Mai 1972, S. 82

KIRCHE
Küsse in der Kniebank

Geraucht, gegessen und zu Popmusik getanzt wurde im umstrittensten Gottesdienst des Jahres 1971. Jetzt verhinderte Limburgs Bischof Kampf ein Buch über die Affäre.

Zigarettenqualm statt Weihrauch stieg während der Messe unter die Kirchendecke. In der Kniebank küßte ein Siebzehnjähriger seine Freundin. Im Altarraum servierte Vikar Herbert Leuninger, 39, nach der Kommunion Cola und Würstchen. Das geschah bei einem Jugendgottesdienst in der Gemeinde St. Bonifatius zu Hofheim im Taunus.

Noch Wochen später wetterte Pfarrer Hans Milch aus der Nachbargemeinde Hattersheim, es sei "der sakrilegischen und gotteslästerlichen Gemeinheit genug".

Was der Priester Milch für Gotteslästerung hielt, war ein Versuch des für den Bezirk Main-Taunus zuständigen Jugendpfarrers Leuninger, etwa 650 Jugendlichen die katholische Messe als "Meß-Festival" anziehender zu machen: mit unkonventionellen Gesprächen, Texten, Popmusik, einem der Urgemeinde nachempfundenen Liebesmahl ("Agape") und Tanz in der Kirche.

Konservative Hirten der Limburger Diözese alarmierten den Bischof Wilhelm Kempf und die römische Kurie. Das heiter-gelöste Festival vom 13. Juni 1971 wurde unversehens für katholische Geistliche zum umstrittensten Gottesdienst des Jahres.

Der Streit droht jetzt erneut aufzuflammen. Bischof Kempf verweigerte dem Limburger Lahn-Verlag, der eine Dokumentation über die Hofheimer Messe vorbereitet hatte, die Abdruck-Rechte von sechs teils internen, teils längst veröffentlichten bischöflichen Stellungnahmen.

Dieses Macht-Wort Kempfs brachte die Dokumentation zu Fall, für die der Verlag bereits mit 5 000 Prospekten und mit Anzeigen in Zeitschriften geworben hatte. Werbetext: "Dieses Buch will allen Gemeinden helfen, neue lebendige Formen des Gottesdienstes zu finden." Kempf ließ den Verlag wissen, er wünsche dem Beispiel von Hofheim keine weitere Verbreitung.

Kern der Dokumentation sollte ein vom Bischof bestellter - und nun ebenfalls zurückgezogener - Bericht dreier Geistlicher sein. Sie hatten selbst am Meß-Festival teilgenommen, unter ihnen des Bischofs Persönlicher Referent Werner Böckenförde.

Um so schwerer wog, daß der Rapport eher zum Lob-Lied auf den sonst verketzerten Gottesdienst geraten war. Verblüffend frei von frommen Vorurteilen schilderten die drei Priester ihre Eindrücke:

[> "Man sah einzelne umschlungene Pärchen. Dieses Verhalten wirkte nicht als Provokation mit sexuellem Akzent."

> "Es wurde applaudiert, herzlich gelacht, geraucht ... Nach der Veranstaltung hat man an den Holzteilen des Gestühls keinen Brandfleck finden können."

> Man vernahm keine Gesprächsbeiträge, die platt, unernsthaft oder intolerant gewesen wären."

Andere Kleriker freilich urteilten anders. Die Priester eines eher konservativen "Pastoral-theologischen Arbeitskreises" erklärten unter anderem für "gotteslästerliches Geschehen", daß

- Vikar Leuninger in Schlips und Kragen statt im Meßgewand am Altar fungierte,

- der Geistliche statt der kirchlich vorgeschriebenen Texte die Gebete selber formulierte,

- zur Kommunion einfaches Weißbrot aus Körben statt Hostien aus goldener Schale verteilt und

- "geschmust" und "Kaugummi gekaut" wurde.

Hattersheims Pfarrer Milch jammerte im "Höchster Kreisblatt" über die "Brandung niedriger Aspekte". Und der Frankfurter Priester Franz Gypkens, penetrantester Scharfmacher unter Deutschlands konservativen Priestern, höhnte über Hofheims "blasphemische Messe".- "Verballhornungen der hl. Messe bis zur Satansmesse hat es immer gegeben."

Von Bischof Kempf forderte der Pastoral-theologische Arbeitskreis einen Schuldspruch über Leuningers Frevel "Ohne jede Verklausulierung". Die Geistlichen über Mitbruder Leuninger: "Ein solcher Bezirksvikar ist für uns nicht mehr tragbar."

Limburgs Kempf reagierte zwar prompt, aber fair. Er hatte die Probleme für "zu vielschichtig und zu tiefgehend, als daß zu einer wirklichen Bereinigung, rein disziplinäre Maßnahmen genügten". Kempf an alle Christen seiner Diözese: "Konflikte lassen sich nicht lösen, wo autoritär' verfahren wird.-

Der Bischof verurteilte zwar die Formen des Hofheimer Festivals, ließ den Bezirksvikar aber ungeschoren. Kempf betonte sein Verständnis für "die schwierige Situation der Jugendseelsorge zwischen kirchenamtlichen Vorschriften und einer Jugend, die solchen Vorschriften verständnislos gegenübersteht",

Solch "vorbildliche bischöfliche Lösung eines innerkirchlichen Konfliktes" ermutigte Pallotiner-Pater Engelbert Tauscher, Verlagsleiter des ordenseigenen Lahn-Verlages, die Veröffentlichung des gesamten Hofheimer Materials vorzubereiten.

Daß Kempf die Veröffentlichung nun doch verhindert hat, erklärt Vikar Leuninger so: "Dahinter stecken Limburgs konservative Gruppierungen, die den Bischof massiv unter Druck setzen."

Verlags-Pater Tauscher hält sogar einen Rüffel aus Rom nicht für ausgeschlossen. Bischofs-Referent Böckenförde auf die Frage nach Pressionen aus Rom: "Für diese Frage ist der Bischof nicht zu sprechen."