Franz Leuninger zum Gedenken

Marktflecken Mengerskirchen
Der Marktflecken Mengerskirchen, jetzt Teil der Großgemeinde Mengerskirchen




1979 beging der Marktflecken Mengerskirchen seine 700-Jahrfeier. 1279 wird der Ort erstmals in einer Urkunde des Chorherrenstiftes Sankt Lubentius in Dietkirchen an der Lahn erwähnt. Als "oppidum" (lat. Stadt) wird Mengerskirchen bereits 1307 bezeichnet.
Bilder vom Festzug 1979 Die Kerkerbachbahn

Vorwort

Die Heimat

Land und Leute

(Forts.: Die Familie)

M

engerskirchen (Karte) liegt im Südteil des Westerwaldes. Es gehört nicht mehr zu jener Landschaft, die als hoher Westerwald bezeichnet wird, wenn auch seine Gemarkung in nördlicher Richtung zum Teil in sie hineinreicht. Eingebettet in einer Talmulde südlich des Knoten (604 m) ist es Grenzgebiet des Westerwaldes. Weniger als 10 Kilometer Luftlinie trennen es von der Lahn, der natürlichen Grenze zwischen Westerwald und Taunus. Indessen entspricht der Gemarkungsteil am Südhang des Knoten weitgehend dem Landschaftscharakter des hohen Westerwaldes; eine ausgedehnte Viehweide, dicht besät mit Basaltblöcken und Grauwacken, gekrönt durch den ,,Galgenkopf", einer hohen Klippe aus mächtigen Steinquadern. Ein Drittel der 1078 ha großen Gemarkung ist Wald, der andere Teil, von einigen kleineren Flächen abgesehen, wird landwirtschaftlich genutzt. Der Boden ist allerdings von sehr unterschiedlicher und oft minderer Qualität. Die Gemarkung gab deshalb nicht her, was die 1041 Einwohner, die Mengerskirchen im Jahre 1905 hatte, zum Leben benötigten; zu Ende des Dreißigjährigen Krieges betrug die Einwohnerzahl vielleicht noch zweihundert.

Ehedem muß die wirtschaftliche und soziale Situation in dem großen Marktflecken recht gut gewesen sein, was daraus hervorgeht, daß dort bereits im 18. Jahrhundert ein Arzt ansässig war. Allerdings bekam Mengerskirchen keinen Anschluß an die moderne Industriewirtschaft. Dies hat seine Gründe in der ungünstigen geographischen Lage des Ortes abseits größerer Verkehrswege und dem Fehlen hochwertiger Bodenschätze wie Kohle und Erz. Der Bau der Kerkerbachbahn im Jahre 1908 hatte nur vorübergehend eine geringfügige Änderung der Verhältnisse zur Folge. Nur eine kleine Anzahl Männer fand in der damaligen Zeit Arbeit beim Abbau von Basalt- und Tonvorkommen. Den Abtransport besorgte die Kerkerbachbahn, die auch einen Personenverkehr zur Lahnbahnstrecke durchführte. Bis dahin verkehrte die Postkutsche zwischen Mengerskirchen Weilburg Rennerod, die Personen und Postgut beförderte. Den übrigen Transport besorgten Fuhrleute mit Pferdegespannen.

Mit der starken Bevölkerungsvermehrung, die zu Ende des 17. Jahrhunderts einsetzte, wuchsen auch Armut und Not. Ganz sicher hat man in Mengerskirchen schon sehr frühzeitig versucht, diesen Fakten durch die Schaffung von Verdienstmöglichkeiten entgegenzuwirken. Beweis hierfür ist eine öffentliche Spinnerei, die aber nicht lange bestand, und das Gewerbe der Nagelschmiede, das bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts von einer größeren Zahl von Handwerkern ausgeübt worden sein dürfte.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren zeitweilig bis zu 150 Nagelschmiede in Mengerskirchen tätig. Das Einkommen aus dieser Arbeit war gering. Deshalb gaben mit dem steigenden Bedarf an Arbeitskräften im rheinisch-westfälischen Industriegebiet viele Nagelschmiede ihre ganzjährige Tätigkeit als solche auf und suchten Arbeit vorwiegend im Baugewerbe. Das führte vielfach zur Trennung von der Familie über Monate hinaus. Nur im Winter waren die Männer zu Hause und arbeiteten in dieser Zeit als Nagelschmiede, ebenso wie die Kleinbauern während der arbeitsarmen Zeit in der Landwirtschaft zusätzliches Einkommen durch die Fertigung von Nägeln suchten. Hin und wieder gab es auch noch andere Verdienstmöglichkeiten, wie beispielsweise beim Straßenbau, die jedoch nur kurzfristig waren. In diesem Zusammenhang ist auch noch auf die Konsolidierung der Gemarkung, den Bau der Wasserleitung und Kanalisation in dem letzten Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg hinzuweisen. In den Wintermonaten waren Kleinbauern als Holzfäller im Gemeindewald beschäftigt.

Aber die Existenzgrundlage des überwiegenden Teils der Bevölkerung waren die Landwirtschaft, die Tätigkeit der Männer als Bauarbeiter in der Fremde und das Nagelschmiedegewerbe.

Gewiß war der Verdienst gerade der Nagelschmiede gemessen an der Leistung gering, aber die Arbeit brachte Bargeld, an dem es meistens mangelte. Es hat Zeiten gegeben, in denen in einer Winterarbeitswoche in Mengerskirchen 1,2 Millionen Schuhnägel geschmiedet wurden. Das dürfte einen Gesamtwochenverdienst der Nagelschmiede von etwa 1500 Mark ergeben haben. Wenig genug, denn es entfielen auf den einzelnen Nagler im Durchschnitt etwa 10 Mark. Wesentlicher war das, was die Bauarbeiter in der Fremde von ihrem Lohn für die Familie erübrigten.

Die Kleinbauern hatten mitunter auch dadurch einen kleinen Nebenverdienst, daß sie für Familien, die kein eigenes Fuhrwerk besaßen, einige Äcker mitbestellten. Man nannte sie "Äckermänner". Eine kleine Begebenheit möge auch zeigen, wie man Bargeld schätzte: Der Vater des Verfassers übernahm von einem befreundeten jüdischen Viehhändler den Auftrag, mit seinem eigenen Kuhgespann einen Bauernwagen von Mengerskirchen nach dem etwa 12 km entfernten Steinbach zu bringen. Hierfür bekam er 3 Mark. Franz damals etwa 12 Jahre alt machte die Fahrt mit, zu der man mehr als 6 Stunden benötigte. In Steinbach nahmen der Vater und er einen kleinen Imbiß für 25 Pfennige zu sich, der aus einem Glas Bier und zwei Portionen trockenen Brotes bestand. So verblieben als Entgelt für den aufwendigen und strapaziösen Auftrag 2,75 Mark, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß die Kühe, wegen des langen Weges, am Abend weniger Milch gaben als sonst.