Franz Leuninger zum Gedenken 



Franz Leuninger mit seiner Gattin Paula, seinem Bruder Georg und dessen Frau Gertrud (im Vordergrund) wohl bei einer Silvesterfeier in Breslau.

 
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einen Familienangehörigen und seinen Freunden stand Franz Leuninger rein menschlich immer sehr nahe und auch in ihrer politischen Gesinnung wußte er sich mit ihnen verbunden. Aber selbst in diesen Kreisen ist über seine Tätigkeit im Widerstand wenig bekannt, so daß eine umfangreichere Darstellung derselben nicht möglich ist. August Weimer und andere ihm nahestehende Menschen, die sein Vertrauen hatten, hat er lediglich dahingehend unterrichtet, daß es Widerstandsgruppen gibt, sie jedoch nicht darüber aufgeklärt, daß er einer solchen angehört. So hat man schon gar nichts über irgendwelche Funktionen, die er im Rahmen des Widerstandes ausgeübt hat, in Erfahrung bringen können. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang vielleicht die Tatsache, daß er, als die Bombenangriffe vor allem auf die westdeutschen Großstädte erfolgten, des öfteren Reisen nach Westdeutschland unternahm, um sich als Fachmann im Wohnungsbau über die Auswirkungen der Bombenangriffe zu informieren. Es ist wohl die begründete Vermutung geäußert worden, daß der genannte Zweck dieser Reisen eine Tarnung war für die Ausführung irgendwelcher Aufträge der Widerstandsbewegung. Es ist zu bedenken, daß die Widerstandsgruppen und ihre Angehörigen untereinander Informationen nur im persönlichen Gespräch austauschen und Kontakte pflegen konnten und weder schriftlich noch fernmündlich tätig werden durften.

Indessen besagen einige bekannte Fakten, daß Franz Leuninger eine nicht unerhebliche Aktivität in der Widerstandsbewegung entwickelt haben muß. So reiste er des öfteren nach Berlin, wo er mit Jakob Kaiser Gespräche führte. Hieran nahm auch einmal Fritz Voigt teil. Hermann von Lüninck erinnert sich an eine Besprechung im Herbst 1943 in Berlin, deren Teilnehmer u. a. Goerdeler, Jakob Kaiser und Franz Leuninger waren. Es ging dabei um sozialpolitische und Ernährungsfragen nach einem erfolgreichen Umsturz.

Die Unruhe über die Entwicklung in Deutschland, insbesondere hervorgerufen durch das Kriegsgeschehen, die sich unter seinen Freunden und Familienangehörigen immer mehr steigerte, veranlaßte Franz Leuninger hin und wieder zu Äußerungen, die beruhigend und tröstend wirken sollten. In vorsichtiger Form wies er auf Kräfte hin, die bestrebt seien, das Chaos zu beseitigen und die Ordnung wiederherzustellen. Diese Haltung erreichte einen dramatischen Höhepunkt bei seinem letzten Besuch in Mengerskirchen im Frühjahr 1944, gelegentlich einer Reise nach Westdeutschland. An einem Abend war er mit seinen nächsten Angehörigen im Elternhaus versammelt. Bedrückend war die Atmosphäre, die durch die Nöte und die Sorgen der anwesenden Frauen und Mütter hervorgerufen wurde. Die Väter und erwachsenen Söhne standen im Kriegsgeschehen. Er aber sprach von der Hoffnung auf ein Ende der Schrecken, das nicht mehr ferne sei. Männer wären bereit, ihr Leben dafür einzusetzen, weil sie das ihrem Volke schuldig zu sein glaubten. Die Soldaten an der Front stünden immer in Lebensgefahr. Aber es muß ihn doch eine bange Ahnung erfüllt haben, denn ehe man auseinanderging, hakten sich alle auf sein Geheiß in die Arme, wobei er sagte: ,,Es werden aber doch noch schwere Zeiten kommen und dann müßt ihr alle so zusammenstehen, wie in diesem Augenblick." Noch deutlicher wurde die Ahnung an ihm sichtbar, als er Abschied nahm, um die Rückreise nach Breslau anzutreten. Seinen alten Vater umarmte er dreimal und sein lautes Schluchzen, das er zu unterdrücken suchte, schüttelte seinen ganzen Körper. Zu seinen Schwestern sagte er, daß er seinen Vater wohl nicht mehr sehen werde und zu ihnen würde er sicher lange Zeit nicht mehr kommen können. Der Krieg sei verloren, Deutschland werde in Zonen eingeteilt und dann sei das Reisen unmöglich. Seine älteste Schwester fragte er noch, ob ihre Söhne auch keine Nazis seien; es wäre furchtbar, wenn sie mit diesen Verbrechern etwas zu tun hätten.

Und dann kam der 20. Juli. Einige Tage vorher sprach er noch in engstem Familienkreis über die Konzentrationslager und die Gewaltherrschaft. ,,Die Verbrechen sind so furchtbar, daß sie nur mit dem Blut der Besten gesühnt werden können." So seine Worte! Die Nachricht von dem Attentat und seinem Mißlingen erreichte ihn in seinem Büro in Breslau. Es trieb ihn nach Hause, wo er seine Frau und seine Schwägerin antraf. In tiefer Bestürzung sprach er über die Geschehnisse, die ihn auffällig nachdenklich stimmten. Es war, ohne daß er es kundtat, die Sorge um das Schicksal der eigenen Person und das der Schicksalsgefährten. Schon am 22. Juli benachrichtigte man ihn von der Verhaftung Voigts durch die Gestapo. Sofort setzte er sich mit einem Rechtsanwalt und anderen Persönlichkeiten in Verbindung, um über dessen Schicksal Näheres zu erfahren, wodurch er sich selbst in Gefahr begab. Weitere Verhaftungen von Bekannten erfolgten. Bei den Informationen hierüber verwendete man Decknamen und verschlüsselte Wortlaute. Wenige Wochen später erreichte auch ihn sein Schicksal. Die Gestapo holte ihn von seinem Büro ab. Die Vorwürfe, die man gegen ihn erhob, vermittelt ein Auszug aus dem Haftbefehl gegen Franz Leuninger, in dem folgendes zu lesen ist:

,,Leuninger hat bereits in den Jahren 1941/42 von dem ihm von früher gut bekannten ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Fritz Voigt erfahren, daß gewisse Kreise des Adels und der Wirtschaft zur Herbeiführung eines Sonderfriedens mit den Westmächten eine Änderung der Regierung anstrebten. Dies wurde ihm später von dem früheren Landesgeschäftsführer der Christlichen Gewerkschaften, Jakob Kaiser, in Berlin bestätigt, der ihm auch nähere Mitteilungen über die geplante Überführung der DAF in eine deutsche Einheitsgewerkschaft machte. Wenn Leuninger auch über die Kräftegruppe, die hinter der neuen Bewegung stand, und über ihren Weg nicht näher unterrichtet gewesen sein will, so nahm er doch an, daß sich diese Gruppe unter der Beseitigung der gegenwärtigen Regierung auf irgendeine Art der Gewalt im Staate bemächtigen würde. Obwohl er also über den hochverräterischen Charakter dieser Bestrebungen nicht im Zweifel sein konnte, unterließ er nicht nur eine Anzeige, sondern beteiligte sich im Spätherbst 1943 in der Wohnung Voigts in Breslau, zusammen mit Voigt, dem früheren sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Wirsisch und dem früheren sozialdemokratischen Landrat Winzer an der Erörterung der Frage, wer bei der Regierungsänderung für den leitenden politischen Posten in Niederschlesien in Frage käme. Auch Leuninger erklärte sich zur Mitarbeit für die neue Regierung durch Überwachung der wirtschaftlichen Organisation bereit."

Dieser Auszug umfaßt nur einen Abschnitt aus der Tätigkeit Franz Leuningers im Widerstand, wie die Darlegungen im vorstehenden Kapitel zeigen. Für die Machthaber reichte aber das in dem Haftbefehl Gesagte aus, um ihn ins Gefängnis zu bringen.



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