Churchill
Dr. Fluck zitiert den großen britischen Staatsmann Sir Winston Churchill (*1874 +1965)

Grußwort Landrat Dr. Manfred Fluck


Sehr geehrte Familie Leuninger,
sehr geehrte Damen und Herren!

E

in halbes Jahrhundert ist es inzwischen her, daß ein Westerwälder Gewerkschafter namens Franz Leuninger, der fest im christlichen Glauben stand, sein Leben lassen mußte im aktiven und dennoch vergeblichen Kampf gegen ein Unrechtsregime, das in der Geschichtsschreibung mit dem Begriff "Drittes Reich" bedacht wird, sich selbst aber in verblendeter Überheblichkeit als tausendjähriges Reich bezeichnete.

50 Jahre - nach heutigen Maßstäben unserer schnellebigen Welt fast eine halbe Ewigkeit. Wer die Zeit von 1933 bis 1945 bewußt miterlebt oder sich in der Literatur mit dieser Epoche befaßt hat, kann nachempfinden, daß viele Deutsche - zumal mit fortschreitendem Kriegsverlauf - sich ein Ende der Gewaltherrschaft herbeiwünschten, jedoch fast alle in Bewegungslosigkeit verharrten. Das läßt sich nicht abschließend und allgemeinverbindlich bewerten. Franz Leuninger jedenfalls bildete eine Ausnahme. Er entstammte in Mengerskirchen einem Umfeld, das sich durch bemerkenswert deutliche Ablehnung gegenüber den Nationalsozialisten auszeichnete. Ihre Wahlergebnisse in dem Westerwaldort gehörten zu den schlechtesten im ganzen Reich. Immer wieder versuchten SA und SS das Dorf mit besatzungsähnlichen Zuständen einzuschüchtern. Sie scheiterten. An einer für alle Dorfbewohner anberaumten nationalsozialistischen Schulung erschienen lediglich der Referent, zwei SA-Leute, zwei Lehrer und ein neugieriger Bewohner. Vor diesem Hintergrund kann man auch erklären, daß eine Jüdin von einer Bewohnerin versteckt, Krieg und Holocaust in Mengerskirchen überleben konnte.

Es hat viele Jahre gedauert, ehe die Widerstandsbewegung jenen ehrenden Rang erhalten hat, der ihr historisch zusteht. In der Öffentlichkeit wurde jahrzehntelang lediglich an den 20. Juli 1944 erinnert. In wissenschaftlichen Seminaren erfolgten dann begleitend staatsrechtliche und staatsphilosophische Erörterungen über Moral und Ethik, über die Rechtfertigung des Tyrannenmordes unter den Gesichtspunkten Notwehr, Nothilfe und übergesetzlicher Notstand.

Die Größe und Bedeutung der gesamten Widerstandsbewegung wird erst in jüngster Zeit gewürdigt. Es ist in unserer Demokratie, insbesondere nach der Wiedervereinigung äußerst wichtig, daß nachfolgende Generationen weiterhin nach den Quellen, nach Aufklärung, nach Verhaltensweisen und nach dem Kampf um die Menschenrechte jener Zeit fragen. Wer heute fragt, wo der Mut der Deutschen, gegen das Unrechtsregime vorzugehen, zu suchen ist, der wird bei Franz Leuninger und seinen Freunden eine Antwort finden.

Besonders unseren Jugendlichen darf diese schlimmste Zeit in der deutschen Geschichte nicht vorenthalten werden. Die sich abzeichnende Tendenz, das fürchterliche Geschehen zu verherrlichen und die Greueltaten zu leugnen, darf sich nicht fortsetzen. Das sind wir nicht zuletzt auch den Menschen des Widerstandes wie Franz Leuninger schuldig, die ihr Leben hingaben, um Deutschland zu retten.

Lassen Sie (Originalton) mich, verehrte Damen und Herren, mit einem Satz von Winston Churchill mein kurzes Grußwort schließen. Er sagte nach dem Kriege: "In Deutschland lebte eine Opposition, die quantitativ durch ihre Opfer und eine entnervte internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten und Größten gehört, das die politische Geschichte aller Völker kennt!"

Franz Leuninger, an den wir heute am 50. Jahrestag seiner Hinrichtung denken, gehört dazu.

Grußwort Gert Lütgert (MdL)


Stellvertretender Vorsitzender des DGB-Hessen

Liebe Familie Leuninger, meine Damen und Herren!

W

Wenn wir heute (Originalton) gemeinsam Franz Leuningers gedenken, dann ehren wir mit ihm auch die Umgebung, die ihn prägte, und die Gefährten, die den schweren Weg im Kampf gegen die Nazibarbarei gemeinsam mit ihm gingen.

Zur Umgebung, die ihn prägte, gehört seine Familie, deren Namen man seit vielen Jahrzehnten immer wieder dort findet, wo Menschen für die Rechte der Schwachen und Verfolgten eintreten.

Dazu gehört aber auch diese Gemeinde, deren Einwohner dem NS-Regime widerstanden, wie wir heute mehrfach gehört haben.

Die Weggefährten Franz Leuningers waren Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, Religion und politischer Zielsetzung - einig aber in ihrem Einsatz für Freiheit und Humanität.

Denn Franz Leuninger hat über Grenzen hinweg das Bündnis mit allen gesucht, die die Gleichwertigkeit, Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller Menschen zu bewahren suchten.

Es hat ihn weniger interessiert, ob die einen diese Haltung Nächstenliebe nannten und die anderen sie vielleicht als Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten bezeichneten. Ihm und seinen Freunden war klar, daß nicht Rückzug, Resignation und Verzweiflung, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt erhalten können, sondern nur der aktive Einsatz für diese Werte.

Und er kannte das Risiko. Er ist es bewußt eingegangen wie Tausende Gleichgesinnter. Doch noch mit dem Tod hat er seinen Mördern den Triumph genommen!

Indem sie ihn ermordeten, bewiesen die Nazis, daß das, was sie zerstören wollten, Nächstenliebe, Solidarität und Humanität, ein so hohes Gut ist, daß Menschen sogar ihr Leben dafür opfern.

Eine Minderheit der Deutschen, aber doch immerhin Tausende aus allen Kreisen der Bevölkerung, leisteten Widerstand gegen das Naziregime. Viele haben ihr Leben lassen müssen, viele haben ihre Gesundheit verloren.

Wenn heute Konservative von der Ehre des deutschen Volkes reden und gegen das Aufarbeiten der Vergangenheit polemisieren, dann sagen wir ihnen: Diejenigen, die ihre Ehre und die des demokratischen Deutschlands verteidigt haben, waren die Frauen und Männer des Widerstandes; sie haben gezeigt, daß die Deutschen nicht nur ein Volk der Richter und Henker waren. Sie haben den Grundstein gelegt für die Möglichkeit einer demokratischen Zukunft.

Das Vermächtnis der Frauen und Männer des Widerstandes ernstzunehmen, heißt für uns heute, den Verfall sozialer Sicherheit und die Zerstörung von Frieden und Demokratie zu bekämpfen!

Vielen Widerstandskämpfern, nicht nur denen aus der Arbeiterbewegung, schwebte eine neue Gesellschaft vor. Eine Gesellschaft, in der Faschismus und Krieg nie mehr möglich sein sollten, eine Gesellschaft, in der die Lebensperspektiven aller Menschen gesichert sein sollten.

Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht bedeutete nicht nur die Befreiung der überlebenden Opfer. Sie war zugleich die Beendigung einer monströsen Barbarei: Der planmäßigen industriellen Vernichtung des europäischen Judentums. Seit ihrer Vertreibung aus Palästina erfuhren Juden vielerorts Haß und Verfolgung. Die systematische Ausrottung wurde einzig im Deutschen Reich geplant und praktiziert, bis die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition den Mördern das Handwerk legten.

Heute müssen wir feststellen, daß wieder Feindbilder entworfen werden. Sozial Schwache werden gegeneinander ausgespielt, Fremdenhaß und Rechtsextremismus machen sich breit. Die Rechtsextremisten rühren damit an die Wurzeln der Demokratie. Bis weit ins bürgerliche Lager, vereinzelt sogar bis in unsere eigenen Reihen, finden sie Anklang mit mancher ihrer Parolen. Es ist eine Grauzone entstanden, in der die Grenzen verschwimmen; rechtsextremes Denken wird salonfähig gemacht.

Unterdrückung und Menschenverachtung kommen eben nicht nur mit Getöse in den Nagelstiefeln der SA oder der terroristischen Neonazis daher, sie treten auch in den Lackschuhen scheinbarer Seriosität auf, und sie schleichen sich auch auf den Filzlatschen des Gleichgültigen in unser Bewußtsein.

Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, im alltäglichen Handeln zu zeigen, daß unser Gedenken an Franz Leuninger und seine Weggefährten mehr ist als nur ein Ritual. Wir werden ihrem Vermächtnis nur dann gerecht, wenn wir selber dafür sorgen,

  • daß Menschen in unserem Lande nicht verfolgt werden,
  • daß Hilfesuchende nicht zu Mörderregimen zurückgeschickt werden,
  • daß Arme nicht ins Elend und in die Obdachlosigkeit gedrängt werden und
  • daß Andersdenkende und anders Lebende nicht diskriminiert werden.

Lassen Sie mich enden mit einigen Sätzen, die vor 25 Jahren der verstorbene ehemalige Vorsitzende des DGB Hessen, Philipp Pless, sprach, als er die Widerstandskämpfer des 20. Juli ehrte:

"Im Gedenken an unsere Freunde, im Gedenken an die zahllosen Opfer nationalsozialistischen Unrechts rufen wir alle Schaffenden und die, die guten Willens sind, auf, nicht zuzulassen, daß die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden. Dies würde die Demokratie erneut zum Scheitern bringen. Dem Frieden, der sozialen Gerechtigkeit und der Fortentwicklung unserer demokratischen Freiheit gilt unser Schaffen. Nur so handeln wir im Geiste unserer Freunde, die wir auf immer in ehrenvoller Erinnerung bewahren."

Schlußwort Bürgermeister Robert Becker:


Sehr geehrte Familie Leuninger, verehrte Ehrengäste, meine sehr geehrten Damen und Herren!

D

ie Gemeinde Mengerskirchen, für die ich die Ehre habe, hier zu sprechen, ist stolz darauf, daß es aus ihren Reihen Frauen und Männer gab, die aus humanitären, ethischen, moralischen, religiösen und rechtlichen Gründen Widerstand gegen das NS-Unrechtssystem geleistet haben.

Der Bedeutendste war Franz Leuninger, der heute vor 50 Jahren, am 1. März 1945, sein Leben ganz bewußt und ganz klaren Willens, für uns und sein Vaterland geopfert hat.

Ich danke Ihnen, auch im Namen der Familie Franz Leuninger, sowie der hiesigen Grundschule, die nach ihm benannt wurde, all denen, die heute am Gottesdienst teilgenommen haben und die an dieser Gedenkfeier mitgewirkt haben.

Ich habe mich sehr gefreut über den Beitrag der Kinder der Grundschule, aber auch danke ich herzlich dem Ensemble der Westerwaldschule, das die musikalische Umrahmung hier geleistet hat.

Ich hatte vor, in meiner Rede noch kurz ein Bild zu zeichnen, über die damalige Situation Mengerskirchens, und es ist ja immer das Leidwesen desjenigen, der am letzten spricht, daß viel vorweggenommen wurde. Ich denke, dieses Bild von Mengerskirchen wurde sehr ausführlich beschrieben, so daß ich darauf auch nicht mehr zurückkommen brauche.

Auch im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit möchte ich aber meine Gedanken zu dem Vermächtnis Franz Leuningers doch noch Ihnen vortragen:

Meine Damen und Herren! Franz Leuninger war, lieber Walter, ein Patriot, würde ich sagen. Er leistete mit seinen Freunden Widerstand und kämpfte entschlossen gegen die braune Diktatur. Heute (Originalton)wissen wir, daß der Widerstand sich aus Menschen aller Schichten, aus allen weltanschaulichen und politischen Richtungen zusammensetzte. Von ausgesprochen rechts stehenden Konservativen bis hin zu Kommunisten. Nicht wenige hatten sich zeitweise blenden lassen. Nicht wenige irrten, schwankten, zeigten sich schwach. Doch stärker war in ihnen schließlich die Stimme des Gewissens und das Bewußtsein der Verantwortung. Über alle Unterschiede hinweg aber war ihnen eines gemeinsam: Die Bereitschaft, ihr Leben für Menschlichkeit, Freiheit, Recht und Frieden zu wahren. Deshalb ist es unsere Aufgabe, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir diesen edlen Vorbildern nachfolgen. Ihre Leistungen und ihr Engagement nicht nur zu würdigen, sondern es auch vor allem unserer Jugend zu vermitteln und wachzuhalten. In diesem Zusammenhang verhehle ich nicht meine Enttäuschung über die äußerst schwache Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl am 19. Februar 1995.

Mit knapp 48 % lag die Wahlbeteiligung hier in Mengerskirchen im unteren Bereich dessen, was landauf landab festgestellt wurde. Diese bedauerliche Entwicklung eines zunehmenden Desinteresses breiter Bevölkerungsschichten an der staatlichen Entwicklung, ist für mich alarmierend. Die Ursache hierfür sind sicher vielschichtig. Ich denke, es fehlt auch das positive Beispiel vieler, aber auch unserer Volksvertreter. Wasser auf die Mühle derer, die nicht mehr wählen gehen, sind Aktionen, wie das aktuelle Beispiel der Diätenerhöhung durch den Thüringischen Landtag. Da ist die Hessenwahl acht Tage vorbei, da streiken Arbeitnehmer in Bayern für eine 6 %ige Lohnerhöhung. Allenthalben sprechen Politiker von der Notwendigkeit von Verschlankung unseres Staatswesens und der Aufgabenbeschränkung an allen Ecken und Enden. In einer solche Situation, meine Damen und Herren, ist eine 43 %ige weit über die Steigerung der Lebenshaltungskosten liegende Einkommenserhöhung, von der nur Normalbürger träumen können, nicht tragbar. Ich denke, es ist von uns allen mehr Zivilcourage erforderlich. Mißstände, und das ist im Sinne von Franz Leuninger, müssen massiv angesprochen und notfalls auch angeprangert werden. Wir müssen verhindern, daß unsere Demokratie Schaden nimmt und dieses Phänomen sich im Bewußtsein der Bevölkerung verfestigt. Die positive Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg war insbesondere geprägt durch die soziale Verantwortung der politisch Handelnden. Die Abwendung der Bürger von der Politik ist eine große Gefahr. Freiheit wird ohne soziale Verantwortlichkeit schnell zur Freiheit der wenigen über die vielen. Das begründet die Notwendigkeit einer sozialen Ethik, die immer wieder ins Bewußtsein gerufen wird und die Franz Leuninger vertreten hat.

Meine Damen und Herren! Freiheit wird ohne soziale Verantwortung schnell zur Freiheit der wenigen über die vielen. Unsere Chance, die vielen großen Probleme von heute zu lösen, liegt nicht in einseitiger kompromißloser Interessenpolitik, sondern in der Erkenntnis, daß nur das solidarische Miteinander, welches Freiheit und Gerechtigkeit umschließt, schwere soziale Konflikte verhindern kann. Kurzfristige Vorteile, die der Besitz der Macht bietet, dürfen nicht dazu führen, die Vernunft aus den Augen zu verlieren und den sozialen Konsens außer acht zu lassen. Der Appell an die Menschlichkeit, an das gemeinsame Ganze, das es zu erhalten und zu entwickeln gilt, ist keine Leerformel, sondern eine dringende Notwendigkeit. Ich denke, daß wir das Vermächtnis von Franz Leuninger - wir insbesondere hier in Mengerskirchen - achten und hochhalten sollen und in diesem Sinne stets für Demokratie, für eine freie und gerechte Gesellschaft eintreten. Dazu würde aber auch die Beteiligung am Staatsgeschehen, d.h., daß man sich auch an Wahlen beteiligt, gehören.

Mit diesem Ausblick und mit diesem Appell möchte ich mein Schlußwort beenden und nochmals all denen danken, die heute uns so beispielhaft und so interessant das Leben und das Werk von Franz Leuninger hier dargeboten haben durch seinen zweitältesten Sohn Walter, durch seine Neffen Ernst und Herbert und durch die Beiträge von Herrn Landrat Dr. Fluck, Herrn Lütgert vom DGB, den Schülern der Franz-Leuninger-Schule und ihrem Rektor und den Musikern. Allen danke ich nochmals...